Lutherrose

Schreiben an die Tschechische Botschaft

Otto Schily 02

Heinz Drews Hamburg, den 30. September 2002

Postfach 605475

22249 Hamburg

Geschäftszeichen: A1- 937 000 I I

Herrn

Dr. Otto Schily

Innenminister der Bundesrepublik Deutschland

Altmoabit 101 D

10559 Berlin

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister!

Am 14. und 19. Januar 2002 habe ich jeweils ein Schreiben an Sie gerichtet, die in Ihrem Auftrag am 14. Februar 2002 beantwortet worden sind. Ich habe mich gefreut und danke Ihnen dafür. Besonders auch für die so gegebene Möglichkeit den Dialog fortzusetzen.

Danke auch für das umfangreiche Informationsmaterial, das mir zugegangen ist.

Zur Frage der Zuwanderung stehen sich in Deutschland zwei Blöcke gegenüber. Die Auseinandersetzung im Bundesrat am 22. März 2002 hat das noch einmal deutlich werden lassen. Was diese beiden Seiten zur Zuwanderung vorschlagen und verwirklichen wollen, ist unzulänglich. Es geht um die Schaffung einer Solidargemeinschaft zwischen Deutschen und Ausländern, davon sind die Vorstellungen von Koalition und Opposition noch weit entfernt.

Die Oppositionsparteien, insbesondere die CSU, sehen den Erhalt einer nationalen deutschen Identität gefährdet, für die Regierungsparteien ist diese Problematik eher zweitrangig. Es fehlt in diesen Auseinandersetzungen denn auch nicht an Hinweisen auf Ereignisse der deutschen

Geschichte, besonders auf die NS- Herrschaft. Das ist der eigentliche Kernpunkt, wenn es um Richtlinien und gesetzliche Regelungen zur Asyl- und Ausländerpolitik geht. Es ist unzulässig, ungerecht und schädlich im Rahmen einer Ausländerpolitik das Hitler- Regime zu instrumentalisieren, um so die Beziehungen zwischen Deutschen und Ausländern zu vergiften. In diesem System werden die Deutschen auf dem Boden, auf dem ihre Geschichte gewachsen ist, moralisch deklassiert und in die Zweitrangigkeit abgeschoben, und es gibt Ausländer, die diesen Zustand weidlich ausnutzen. Humanitäre Hilfe müsse geleistet werden, ist oft angemahnt worden, und es fehlte dabei nicht an Hinweisen auf die NS- Herrschaft. Der deutsche Steuerzahler erbringt jährlich Opfer in zweistelliger Milliardenhöhe, um Menschen in politischer und wirtschaftlicher Not zu helfen, zum Dank dafür wird ihm dann Adolf Hitler vorgehalten. Es sieht so aus, als ob hier bewusst eine politische Polarisierung betrieben werden soll. Oder soll Deutschland für die Hinterlassenschaft der Kolonialmächte auch noch die Vergangenheit bewältigen? Diese Frage muss erlaubt sein, weil viele Menschen aus Ländern zu uns kommen, die bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus unter Kolonialherrschaft standen.

Ein Anstoß zu meinen Schreiben zu Beginn dieses Jahres an Sie bildete die Rede, die Sie im Jahr zuvor beim alljährlichen Treffen der Schlesischen Landsmannschaft gehalten hatten.

In gleicher Weise haben Sie in diesem Jahr anlässlich des Treffens der Sudetendeutschen Landsmannschaft gesprochen, und es dabei nicht an Geschichtsklitterung fehlen lassen mit der Feststellung, die Sudetendeutschen hätten mit der Vertreibung begonnen. Die Vertreibung von Tschechen aus dem Sudetenland nach dem Anschluss an Deutschland 1938 war ein ungerechter Akt der Vergeltung, ohne Zweifel. Dennoch ist es ein gewagtes Unternehmen die Vertreibung von Tschechen aus dem Sudetenland mit der Vertreibung von mehr als drei Millionen Sudentendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine Stufe zu stellen. Die Unterdrückung der Sudetendeutschen begann nach dem Ersten Weltkrieg. Sie wurden in den Tschechoslowakischen Staatsverband hineingezwungen, in den sie nicht hinein wollten. Gefragt worden sind sie dabei nicht, obwohl in dem 14 Punkte Programm des amerikanischen Präsidenten Wilson das Selbstbestimmungsrecht der Völker festgelegt worden war, das die Grundlage für den Abschluss des Waffenstillstandes im Ersten Weltkrieg bildete. Dieses so geforderte Selbstbestimmungsrecht ist nur teilweise zur Anwendung gekommen und recht willkürlich gehandhabt worden. Was der Demokratie und ihren Prinzipien verweigert worden war, das bekam dann der Diktator Adolf Hitler im Münchener Abkommen großzügig nachgeliefert. Chamberlain und Daladier und die vielen anderen Chamberlains und Daladiers, die in jener Zeit ihr Unwesen trieben, sind nie zur Rechenschaft gezogen worden. Den Eindruck zu erwecken, die britische und französische Regierung hätten nicht gewusst mit wem sie da gemeinsame Sache machten, das ist etwas für ganz besonders naive Gemüter. Mit dem Münchener Abkommen wurde Hitlers Macht in Deutschland so gefestigt, dass sie ohne schwerste Repressalien nicht mehr angreifbar war, und es wurde dem deutschen Widerstand endgültig das Rückgrad gebrochen. Hohe und höchste Offiziere der Deutschen Wehrmacht hatten im Zuge der Sudetenkrise die Entmachtung Hitlers minutiös geplant. Die britische und die französische Regierung waren darüber informiert, aber sie sind nach München gefahren, um sich vor dem Diktator vor aller Welt bloßzustellen und zu erniedrigen.

In ihrer Charta vom August 1950 haben die deutschen Vertriebenenverbände einem Akt der Vergeltung eine Absage erteilt und die Hand zur Versöhnung geboten, Diese Hand ist ausgeschlagen worden, bis zum heutigen Tag. Die Vertriebenen haben nicht mit Bomben um sich geworfen, sondern die Grundsätze ihrer Charta durch friedliche Aufbauarbeit untermauert. Eine Aufbauarbeit, aus der nicht nur Deutschland seinen nutzen gezogen hat. Eine Anerkennung ist ihnen dafür nicht zuteil geworden. Der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg mit allem, was er im Gefolge hatte, ist ohne die Vertriebenen undenkbar. Sie hatten jenen preußischen Geist mitgebracht, für den über Generationen und Grenzen hinweg das Sprichwort galt: „ Ein Preuße zu sein ist eine Ehre, aber kein Vergnügen.“

Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts kamen aus verschiedenen Ländern Europas Menschen als Arbeitskräfte nach Deutschland. Bis in die Gegenwart wird Klage erhoben, sie seien diskriminierend behandelt worden, insbesondere die Wohnverhältnisse seien menschenunwürdig gewesen. Nun muss eines klargestellt werden: Die Menschen verschiedener Nationalitäten, die zu damaliger Zeit nach Deutschland gekommen sind, wurden dazu nicht gezwungen. Sie sind freiwillig gekommen und auch freiwillig geblieben.

Und noch eines ist in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen: Die Generation, die Deutschland nach Vertreibung, Bombennächten, Krieg und Kriegsgefangenschaft wiederaufgebaut hat, hatte ungleich schwierigere Startbedingungen, angefangen mit den Trümmerfrauen, die den Schutt deutscher Städte mit bloßen Händen weggetragen haben. Diese Zeit mit all Ihren Errungenschaften findet nur noch spöttisch und verächtlich Erwähnung.

Es gibt keine Rechtfertigung dafür, diese Zeit und den Aufbau, der in dieser Zeit vollbracht wurde, heute zu diskreditieren. Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Staatsverschuldung wiederhergestellt worden und erreichte eine Spitzenstellung in der Weltwirtschaft. Franz Josef Strauß war der letzte Bundesfinanzminister, der einen Haushaltsüberschuss vorweisen konnte. Das Erbe, das von dieser Generation hinterlassen wurde, ist verschleudert und verprasst worden. Vor dieser Tatsache stehen wir heute.

Die Wiedervereinigung ist politisch und wirtschaftlich gescheitert. Eine gigantische Staatsverschuldung, deren Ende noch nicht abzusehen ist, hat das nicht zu verhindern vermocht. Sie hat die Fahrt in einen wirtschaftlichen Abgrund eher beschleunigt.

In dem Schreiben, das mit Datum vom 14. Februar 2002 in Ihrem Auftrag an mich ergangen ist, wird eingegangen auf Vorschläge, die von mir zu einer möglichen Ausländerpolitik auch in meinem Schreiben an Sie gemacht worden sind, mit dem Satz: „Die von Ihnen angeregte politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Menschen, die nach Deutschland kommen, wird täglich auf nahezu allen politischen Ebenen wahrgenommen, auf Regierungsebene insbesondere durch die Arbeit des Auswärtigen Amtes und der anderen zuständigen Ressorts.“

Dazu erlaube ich mir einige Anmerkungen: Die angesprochene Arbeit des Auswärtigen Amtes und anderer Ressorts ist unzulänglich und dürftig angesichts der Herausforderungen und Möglichkeiten, die bestehen.

Es gilt eine Einwanderungsgesetzgebung zu schaffen, die der Zielsetzung einer Zusammenarbeit, wie sie beschrieben und umrissen ist, verpflichtet ist, worin Ausländer, die nach Deutschland kommen, mit Rechten und Pflichten ausgestattet werden können. Eine solche Ausländergesetzgebung gilt es zu schaffen. Integration ist eine gute Sache, aber sie muss freiwillig erfolgen, eine erzwungene Integration ist eine schlechte Integration.

Ich habe den Vorschlag gemacht, einen Nationalitätenkongress zu begründen, in den die verschiedenen Nationalitäten, die in Deutschland leben, Delegierte entsenden. Dieser Nationalitätenkongress könnte mit dem Deutschen Bundestag im Rahmen der vorgeschlagenen Einwanderungsgesetzgebung zusammenarbeiten. Das ehemalige Bundeshaus in Bonn wäre ein guter Ort für ein solches Vorhaben.

Die Einwanderung ins soziale Netz muss zurückgefahren werden, das Netz ist jetzt schon zum Zerreißen gespannt, wenn es platzt, fallen alle auf die Erde, Deutsche und Ausländer gleichermaßen. Das muss verhindert werden. Gelingt das nicht, dann stehen politische Turbulenzen bevor, deren Ausmaß wir nur erahnen können.

Es besteht hier dringender Handlungsbedarf, wir können nicht mehr lange herumdebattieren.

In der Bundesrepublik Deutschland leben gegenwärtig an die dreihunderttausend Polen. Eine gesetzliche Grundlage gibt es dafür nicht. Inzwischen gibt es auch einen Fernsehkanal in polnischer Sprache. Polnische Filme sind darin pikanterweise mit englischen Untertiteln versehen. Damit dokumentieren die Betreiber, dass sie in Deutschland an Deutschland kein Interesse haben, und schon gar nicht an einer deutsch-polnischen Verständigung interessiert sind. Wie wäre es, wenn Deutsche in Polen dieselben Rechte eingeräumt bekämen?

Es ist schon vorgekommen, dass polnische Handwerker, wenn sie sich in selbstständiger Tätigkeit in Deutschland niederzulassen gedenken, dies leichter bewerkstelligen können als entsprechende deutsche Handwerker. Zu Hunderten wandern deutsche Handwerker aus den neuen Bundesländern ab nach Österreich, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern, als ob in dem Teil Deutschlands kein Bedarf mehr bestünde. Aber es besteht Bedarf, ganze Straßenzüge in kleineren und mittleren Städten sind vom Verfall bedroht.

Abschließend weise ich noch hin auf ein als Ablichtung beigefügtes Schreiben, das mit Datum vom 28. Januar an den Herrn Bundesfinanzminister ergangen ist. Das Schreiben ist unbeantwortet geblieben. Es passt aber zur Thematik, die ich in meinem heutigen Schreiben an Sie abgehandelt habe.

Mit freundlichen Grüßen gez. Heinz Drews

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