Lutherrose

Schreiben an die Tschechische Botschaft

Brief an: Oskar Lafontaine

Heinz Drews                                                              Hamburg, den 6. November 2002

Postfach 605475

22249 Hamburg

 

Herrn                                                                         Motto:

Oscar Lafontaine                                                        Die Masse der Menschen versteht

Am Hügel 26                                                              vom Geld nicht mehr als das Schaf

66123 Saarbrücken                                                    von einer Wollspinnerei, obwohl die

                                                       Wolle von seinem eigenen Rücken kommt.

                                                       (George Bernhard Shaw, 1856 - 1950)

Sehr geehrter Herr Lafontaine!

Ihr Buch „ Das Herz schlägt links“ hat unlängst die politischen Leidenschaften über das übliche Maß hinaus entfacht. Eine Notwendigkeit in einer sonst eher resignativen und apathischen politischen Stimmung. Schon in den Vorabveröffentlichungen Ihres Buches in der Presse war erkennbar, dass es nicht nur Persönliches, sondern auch eine Fülle von Sachaussagen enthält, die eine sachbezogene Argumentation verdient gehabt hätten.

Stattdessen sind uns die unterschiedlichsten Charakterstudien vorgesetzt worden und sehr viel Psychoanalytisches. In der Ausgabe der „Bild am Sonntag“ vom 11. September 1999 wurden vier Psychologinnen und Psychologen vorgestellt, die Ihnen eine psychiatrische Behandlung anempfehlen. Wer in der politischen Auseinandersetzung zu solchen Mitteln greift, muss ein gestörtes Verhältnis haben zu den unveräußerlichen Grundrechten, wie sie im Grundgesetz formuliert sind.

Eine Reihe Ihrer Kritikpunkte hat Eingang gefunden in politische Überlegungen und Handlungen. Das gibt zwar niemand offen zu. In der Polarisierungspolitik gegenüber der PDS zeichnet sich eine Wende ab. Als CDU-Mitglied hätte ich keine Abneigung gegen eine Koalition zwischen CDU und PDS in Berlin. Eine solche Entwicklung könnte zu einem Brückenbau führen über Gräben, die „alte“ und „neue“ Bundesländer durchziehen.

Ihrer Aussage vom wild gewordenen Kapitalismus muss zugestimmt werden. Nicht Arbeit, Produktion und Investition, sondern die Spekulation steht im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens. Allen Greenspan sprach denn auch von einem Ballon, der zu platzen drohe und der „Spiegel“ konzedierte, Ludwig Erhard habe eine Share-Holder-Value-Politik nicht geduldet. Täglich erfahren wir von Großfusionen und Elefantenhochzeiten der Wirtschaftsgiganten, nach Marx die Akkumulation des Kapitals. Immer mehr Menschen sinken unter die Armutsgrenze, so hat eine Erhebung der Caritas ermittelt, nach Marx die Verelendungstheorie. Es sieht so aus als wolle der Kapitalismus nachgerade dem Marxismus zu neuem Ruhm verhelfen.

Die Entwicklung kann auf einen Weg führen, auf dem der Unterschied zwischen privatwirtschaftlichen und staatswirtschaftlichen Monopol nicht mehr auszumachen sein wird. Privatisierung heißt das Zauberwort, das den Weg freizumachen verheißt und Pforten zum wirtschaftlichen Paradies aufspringen lässt. Dem schrankenlosen Kollektivismus sozialistischer Prägung folgt ein kapitalistisch inspirierter ebenso schrankenloser Individualismus.

Die Deutschen orientierten sich zu sehr an Immanuel Kant und seien zu wenig pragmatisch, ließ sich unlängst ein Amerikaner in einem deutschen Presseorgan vernehmen. Wie gut wäre es, wenn sich die Deutschen an Immanuel Kant orientierten, das unternehmen die Deutschen nämlich gerade nicht, sich an einem System ausrichten, in dem der Pflichtbegriff und der Freiheitsbegriff aufeinander bezogen sind.

Drei Säulen sollten das Dach der Volkswirtschaft tragen: Das staatsrechtliche, das privatrechtliche und das genossenschaftsrechtliche Wirtschaftssystem, unter Beibehaltung des Wettbewerbsprinzips. Was jetzt freier Wettbewerb genannt wird, ist ein Wettbewerb nach dem k. o. –System. Bei sportlichen Veranstaltungen erhöht dieses System die Spannung, im Wirtschaftsleben ist es tödlich und unsozial.

Das Genossenschaftswesen wirksam in Wirtschaft und Gesellschaft wieder zu etablieren, das wäre eine große Zukunftsaufgabe für die Gewerkschaften. Dazu wären allerdings starke Gewerkschaften erforderlich, die jedoch einen stetigen Mitgliederschwund zu verzeichnen haben. Das haben sie mit den Kirchen gemeinsam. Das Genossenschaftswesen hat gerade nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland große Erfolge zu verzeichnen gehabt.

Es muss sich einiges bewegen in der bundesdeutschen politischen Landschaft, wenn unheilvolle Entwicklungen verhindert werden sollen. Die Illusion mit einem Sparpaket von 30 Milliarden, einen Schuldenberg von 1,5 Billionen überwinden zu können, reicht dazu nicht. Es ist außerdem irreführend mit dem so genannten Sparprogramm, von einer Sparpolitik zu sprechen. Es ist allenfalls eine Schuldenabbaupolitik. Sparpolitik wäre es, wenn Haushalts-Überschüsse zurückgelegt werden könnten.

Ich kann mich noch an eine Fernsehdiskussion erinnern, die im Wahljahr 1976 stattgefunden hat. Beteiligt waren daran: Der damalige Finanzminister Matthöfer sowie der damalige Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff, der finanzpolitische Sprecher der Opposition Gerhard Stoltenberg und CSU-Schatzmeister Dollinger. Die Runde kam auch auf die Schuldenpolitik der Regierung Schmidt zu sprechen , die Alex Möller und Karl Schiller zum Rücktritt bewogen hatte. Stoltenberg richtete an Lambsdorff die Frage: „Graf, wie konnten Sie eine solche Politik unterstützen?“ Worauf Graf Lambsdorff antwortete: „ Wir sind so unter Druck gesetzt worden, eine Schuldenpolitik zu machen, einem solchen Druck hätten auch Sie nicht widerstanden.“ So hat es begonnen. Wer damals die Bundesrepublik „so“ unter Druck gesetzt hat, ist uns nicht mitgeteilt worden. Die Frage wäre aber leicht zu beantworten.

Der gegenwärtige Ritt mit der 30 Milliarden- Mark- Lanze gegen die Windmühlenflügel von 1,5 Billionen Staatsverschuldung ist wenig Erfolg versprechend. Das mächtige und gewaltige Rauschen der Windmühlenflügel ist zu vernehmen, die ein ebenso gewaltiges und kompliziertes Mahlwerk in Bewegung halten und getrieben werden von einem Zinsschub mit einem Haushaltsposten von mehr als 80 Milliarden Mark. Das Schlachtross Rosinante ist bereitgestellt. Mit ihm will der Ritter dem kreisenden Ungeheuer Einhalt gebieten. Des Rosses Gebeine, jedoch, erzittern schon, wenn nur erst das Sattelzeug aufgelegt ist, und der Reiter selbst es noch gar nicht bestiegen hat. Rosinante ist in dem 20%-Turm eben nur kümmerlich ernährt worden. Dennoch, das Wagnis muss gelingen. Das 30 Milliarden- Sparbuch unter dem Arm ist der Ritter fest entschlossen, das Ross zu besteigen und es in Galopp zu versetzen. Die Sparsumme ist eine fiktive Summe, denn bisher ist noch kein Pfennig einbezahlt worden. Es ist auch gar nicht daran gedacht, das kreisende Ungeheuer zu besiegen und zu überwinden, vorerst ist nur beabsichtigt, sich bemerkbar zu machen.

Auf hoher Steilküste stehen der König und seine Mannen und schauen hinab in die Tiefe, wo ein monotones Grollen vernehmbar ist, krachend wie eine Explosion schlagen die Meereswellen gegen das Ufer und drohen die Küste zu unterhöhlen. Der König hält einen goldenen Becher im Werte von 30 Milliarden in der Hand, und mit der ihm eigenen Kraft schleudert er ihn in das unübersehbar wogende und schäumende Meer, verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund der nächsten Zinserhöhung. Der beherzte Jüngling der Finanzen wagt den Sprung in die Tiefe nicht, die Gefahren, die einen solchen Sprung umlauern, sind einfach zu groß.

Zum Abschluss erlaube ich mir noch den Hinweis auf ein beigefügtes Schreiben, das ich mit Datum vom 14. November 1998 an den ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe gerichtet habe. Sollten Sie Zeit finden, es zu lesen, dann hoffe ich, dass es Ihnen nicht zu einem Ärgernis gerät. Das möchte ich unbedingt vermeiden. Volker Rühe hat das Schreiben unbeantwortet gelassen. Ich habe darin eine Apologie der Regierungszeit Konrad Adenauers vorgenommen. Damit habe ich mir aber gemeinhin in der CDU keine Sympathien erwerben können. Im Rahmen einer RCDS- Veranstaltung Anfang Oktober dieses Jahres habe ich Altbundeskanzler Helmut Kohl auf dieses Thema hin angesprochen. Aber er hat sich sorgfältig von meinem Diskussionsbeitrag abgesetzt. Konrad Adenauer wird in der CDU nicht der Stellenwert zuerkannt, den er eigentlich einnehmen müsste. Das gleiche gilt für Kurt Schuhmacher in der SPD. Beide Politiker hatten eine patriotische Linie in ihrer Politik, die auf einem ethischen Fundament beruhte, so dass rechtsextreme Gruppierungen kein Recht besitzen die Namen dieser beiden Politiker mit dem, was sie vertreten haben, in Anspruch zu nehmen.

Mit freundlichem Gruß gez. Heinz Drews

         Heinz Drews


Das Schreiben hat Oscar Lafontaine persönlich beantwortet.

Antwort von Oscar Lafontaine

In meinem Schreiben habe ich Stellung genommen zu einer möglichen Gewerkschaftspolitik.

Der Vertrauensschwund, den die Gewerkschaften gegenwärtig erleben, hat Gründe. Sie beschränken sich darauf, den Inflationsausgleich zu erstreiten, was sie sonst noch anzubieten haben ist dürftig. Die Auswirkungen einer wirtschaftlichen Entwicklung, der sich Gesellschaft und Staat gegenübersehen, werden von den Gewerkschaften tatenlos hingenommen. Die Ansätze einer verfehlten Gewerkschaftspolitik waren schon vor Jahrzehnten erkennbar. In der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland eine Spitzenstellung in der Kameraindustrie, im Motorradbau, in der Unterhaltungselektronik und im Schiffbau um nur einiges zu nennen. Die Spitzenstellung im Hochtechnologiebereich ist dahin. Das alles ist zerstört worden, welcher Sinn könnte in dieser Politik gelegen haben? Stand Ideologie im Vordergrund oder die soziale Absicherung der Menschen in diesem Lande? Die Gewerkschaften haben ihre Forderungen durchgesetzt, ohne außenwirtschaftliche Gegebenheiten zu berücksichtigen. An eine außenwirtschaftliche Absicherung der sozialen Standards, die erreicht worden sind, ist nie gedacht worden.

So gehen denn immer mehr deutsche Betriebe in ausländische Hände über. Dagegen wäre eigentlich nichts einzuwenden, denn auch deutsche Unternehmen kaufen im Ausland ein.

Nur werden bei ausländischen Käufen in Deutschland Methoden angewandt, die bedenklich stimmen. Beispiel: die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone. IG-Metall- Chef Zwickl hat zwar erklärt, er habe sich bei dem „Deal“ der Stimme enthalten und hinzugefügt er habe ohnehin den Lauf der Dinge nicht aufhalten können. Damit hat Herr Zwickl eine Kapitulationsurkunde wohl nicht unterschrieben, aber ihr resignierend zugestimmt. Auf solche Gewerkschaften und Gewerkschaftsfunktionäre können die Arbeitnehmer verzichten.

Die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone ist als „feindliche Übernahme“ beschrieben worden. Allein dieser Begriff muss merkwürdige Empfindungen auslösen.

Ähnliches kann von der Beschäftigung ausländischer Handwerker und Arbeitskräfte in Deutschland gesagt werden. Ausländische Arbeitskräfte arbeiten in Deutschland für einen Bruchteil des tariflich abgesicherten deutschen Stundenlohnes. Als vor einiger Zeit deutsche Bauhandwerker in Berlin dagegen protestieren wollten, wurde von Gewerkschaftsseite die Losung ausgegeben: „Keine Ausländerfeindlichkeit am Bau“. Wo sind denn nun die wirklichen Ausländerfeinde? Sind sie nicht in den Kreisen zu suchen, die ausländische Arbeitskräfte für den Bruchteil des deutschen Stundenlohnes hier arbeiten lassen? Wozu brauchen wir noch Gewerkschaften und Tarifabschlüsse?

Die Beschäftigten von Bauwagenfirmen wohnen billig. Für die Löhne, die da gezahlt werden, könnte ein deutscher Bauhandwerker nicht einmal seine Fixkosten bestreiten. Zu dem gewinnen ausländische Arbeitskräfte noch einmal durch für sie günstige Währungsparitäten. Da können sich deutsche Bauarbeiter und Handwerker abrackern wie wollen, sie werden in der Ackerfurche liegen bleiben wie der Hase bei seinem Wettlauf mit dem Igel.

Schon etwas länger zurückliegend äußerte sich ein Vertreter der HWWA (Hamburger Weltwirtschaftsarchiv) im Hamburger Abendblatt mit dem Satz: Das „deutsche System“ sei überholt. Gemeint war sicher das Sozialversicherungssystem, das Bismarck in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eingeführt hat. Dieses System hat zwei Kriege und zwei Inflationen überstanden, heute, nach mehr als fünfzigjährigen Frieden, wird es zur Disposition gestellt.

Um das deutsche Staatsschiff aus stürmischen wieder in ruhige sichere Gewässer zu bewegen, werden einige Anstrengungen unumgänglich sein. Und die Menschen in diesem Lande sind dazu bereit, das ist schon des Öfteren festgestellt worden. Wo aber ist der Hafen als politische Zielvorgabe, den es anlaufen soll? Die Politik müsste es schon leisten und angeben, wo genau die Fahrt ein Ende nehmen soll.

Es lohnt sich nicht, Opfer dafür zu bringen, damit Großkonzerne zwei und dreistellige Milliardensummen über die Tische schieben können, um Übernahmeschlachten zu finanzieren, vielfach auch noch mit Kredit. Soziale Belange bleiben in dieser Entwicklung unberücksichtigt.

Wie verhalten sich Kapital und Unternehmer auch sonst noch? Kapitalflucht hat stattgefunden. Die jüngste Diskussion um die Zins- und Kapitalertragssteuer hat das offenbar werden lassen. So ertönt denn auch der Lockruf der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers, kommt doch zurück, wir tun euch auch nichts. Straffreiheit und freies Geleit werden zugesichert. Balzzeit für Kapitalisten. Es war also nicht ganz legal, was viele da unternommen haben, sonst hätte sich die Zusicherung der Straffreiheit ja erübrigt. Geldkapital ins Ausland zu schaffen, ist nicht besonders mühevoll, ein kleines schwarzes Köfferchen oder ein bunter Scheck, verborgen in einer Brieftasche und transportiert im ICE erster Klasse, damit lässt sich das schon bewerkstelligen.

Der Unternehmer hat es vielen Fällen nicht so leicht, wenn er über die Grenze will, er muss Maschinen und schweres Gerät verladen, und das alles am Zoll vorbeizuschleusen, das dürfte schwierig sein. Dennoch haben sich nicht wenige aufgemacht, grollend und verbittert über die hohen Arbeitskosten in Deutschland. Sie gehen nach Polen, nach Tschechien, nach Ungarn, Hongkong oder Singapur, da wo die Menschen noch fleißig und genügsam sind, da wird wieder aufgebaut. Der Verkauf der Produkte wird auf Hindernisse stoßen, denn wo Menschen wenig verdienen, kann auch nicht so viel verkauft werden. Also zurück in das Land, das gerade schimpfend verlassen wurde, nur nicht zögern, solange sich noch ein Geschäft machen lässt. Das Land wird zwar immer ärmer, die Arbeitslosigkeit steigt, Investition, Produktion und Konsum werden in großem Umfang über die Staatsverschuldung organisiert, trotzdem, darüber sollte sich niemand zu viele Gedanken machen. Die einheimischen Unternehmer, die können sich abmühen bis zum Herzinfarkt, bis zum Umfallen, sie werden aus dem Markt gedrängt, sie haben die Zeichen der Zeit ganz einfach nicht verstanden. Ob dieses System dauerhaft aufrecht erhalten werden kann, wird mancher kritisch und skeptisch fragen. Skeptiker könnten zum Taschenrechner greifen und nachrechnen. Aber die Mühe, es empirisch zu ermitteln, ist nicht notwendig, a priori lässt sich feststellen: Es kann nicht dauerhaft aufrecht erhalten werden. Wer zieht eigentlich Vorteile aus diesem System? Der Börsenjobber, der alles verloren hat und sich ins Proletariat einreiht, der Unternehmer, der Insolvenz beantragen muss oder die wachsende Zahl aller, die sich dem Millionenheer der Arbeitslosen hinzugesellen. Wer eigentlich? Wie lange kann die Spaß- und Konsumgesellschaft hier noch Zuflucht bieten?

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