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Bundespräsident Köhler                   5. Juli 2005

Dr. Horst Köhler, Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Vertrauensfrage.

Horst Köhler, Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland

Heinz Drews                                                                            Hamburg, den 5. Juli 2005

Postfach 605475

22249 Hamburg

 

An den

Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland

Herrn Dr. Horst Köhler

Spreeweg 1

10557 Berlin

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

 

Bei Ihrem letzten Staatsbesuch in Israel haben Sie in Yad Vashem, der zentralen Gedenkstätte in Israel für die jüdischen Opfer der NS-Herrschaft, erklärt, die Geschichte, die Deutschland mit den Folgen der NS-Herrschaft verbindet, sei Teil  einer deutschen Identität. Gegen eine solche Feststellung muss Widerspruch erhoben werden. Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland lehne ich es ab, mit NS-Herrschaft und Ideologie identifiziert zu werden. Ich identifiziere mich mit Ereignissen und Persönlichkeiten der Deutschen Geschichte, die ich dafür als würdig erachte. Adolf Hitler und seine Politik gehören nicht dazu, und niemand hat das Recht, mir das als Identitätsmerkmal aufzuzwingen auch nicht der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Denn es wird hier gegen alle Regeln demokratischer Grundsätze und Verfassungsgrundsätze ein Zwang ausgeübt. Hitler und sein ideologischer Anhang werden dazu genutzt, um eine geistige Mauer zu errichten, mit welcher der Zutritt zur übrigen Deutschen Geschichte verwehrt wird. Wer es unternimmt, diese Mauer zu überwinden, gerät unter starken geistigen Beschuss, weshalb allzu viele ein solches Unternehmen als zu waghalsig ansehen.

Bevor weitere Ausführungen dazu folgen erlaube ich mir den Hinweis auf den Inhalt eines Schreibens, das von mir  am 6. August 1985 an den damals amtierenden Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, gerichtet worden ist. Bundespräsident Weizsäcker hat dieses Schreiben am 27. August 1985 ausführlich persönlich beantwortet. Beide Schreiben sind als Ablichtungen beigefügt.

Besonders in Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart ist die Deutsche Geschichte so abgehandelt worden, als gäbe es in ihr nichts anderes als Hitler und als sei NS-Ideologie der Inhalt Deutscher Geschichte. Deutschsein wird so gleichgesetzt mit Nazisein. Dem psychischen Druck, der so ausgeübt wird, können sich die Menschen in Deutschland allein schon nur deshalb schwer entziehen, weil nötige Geschichtskenntnisse nicht vorhanden sind oder vorenthalten werden.

Empfindungen oder das Bewusstsein einer Nation anzugehören, soll deutschen Menschen nicht gestattet werden. Das gilt auch für Sozialdemokraten und Christen und  andere Zugehörigkeiten und Überzeugungen, die außerhalb der NS-Ideologie angesiedelt werden müssen. So ist  nach dem Zweiten Weltkrieg auch von jenen Deutschen ein Schuldbekenntnis abverlangt worden, die sich geopfert haben und aufgeopfert worden sind im Widerstand gegen die NS-Diktatur.

Das alles hat bei den Menschen in Deutschland dazu geführt, eine Abneigung gegen die deutsche Nationalität zu entwickeln und zu verfestigen. Solidarisches Handeln und Verantwortung für die Nation als Ganzes sind verpönt. Darum ist auch die Wiedervereinigung gescheitert und Deutschland eilt mit großen Schritten auf einen gefährlichen Abgrund zu. Es zeichnet sich eine verhängnisvolle Entwicklung ab, von der nicht nur Deutschland betroffen sein wird.

Ein Mahnmal für die Vertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten soll verhindert werden. Eine Gedenkstätte für die Opfer an der Berliner Mauer musste unter fadenscheinigen Vorwänden wieder abgeräumt werden. Ein Vergleich dürfe nicht stattfinden, heißt es in solchen Fällen. Die Verbrechen der Deutschen Geschichte werden als „einzigartig“ deklariert. Die Verbrechen der NS- Herrschaft können auf diese Weise dazu dienen, über alle Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die begangen worden sind, und die begangen werden bis zum heutigen Tage, einen Schleier auszubreiten. Oder wie anders soll der Begriff von der „Einzigartigkeit“ gedeutet und interpretiert werden?

Es kann nicht um Gegenrechnungen oder Relativierungen gehen, sondern es geht um die Schaffung versöhnlichen Geistes unter den Völkern, gerade auch unter den Völkern Europas. Genau das wird mit der gegenwärtigen Politik verhindert.

 

Ein weiteres Beispiel, wohin Fehlinterpretationen zu historischen Ereignissen führen können, kann an der jüngst in Deutschland angestoßenen Kapitalismuskritik festgemacht werden. Wer das kapitalistische Wirtschaften der Gegenwart beleuchtet und auf seine Auswüchse aufmerksam macht, der muss gewärtig sein, als Klassenkämpfer und DDR-Marxist verdächtigt zu werden. Die Taktik, die hier angewandt wird, ist durchsichtig. Die Geschichte des einst real existierenden Sozialismus’ wird genutzt, um über die Ergebnisse kapitalistischer Willkür, einen Schleier auszubreiten. Nicht wenige schweigen aus diesem Grunde, um nicht Verdächtigungen und Verleumdungen ausgesetzt zu werden.

Dabei ist es der Kapitalismus selbst, der mit seiner bewussten Politik Karl Marx wieder zu Ehren bringt und marxistische Lehrsätze bestätigt. Täglich lesen wir von Fusionen großer Konzerne oder von Übernahmeschlachten, für die zwei und dreistellige Milliardensummen eingesetzt werden, begleitet von steigenden Aktienkursen, Sonderausschüttungen und Massenentlassungen. Die von Karl Marx aufgestellte Theorie von der Akkumulation des Kapitals, der eine steigende Armut gegenübersteht, von Karl Marx als Verelendungstheorie dargestellt, finden so ihre Erfüllung. Die Politik wird zunehmend ausgeschaltet und von der Wirtschaft verdrängt. Die Frage ist berechtigt, wann wohl der Tag kommen könnte, an dem zwischen Privatmonopol und Staatsmonopol kein Unterschied mehr bestünde.

Beachtenswert ist auch die Begriffsverwirrung, die in der stattfindenden Kapitalismusdebatte gestiftet wird.  In solchen Diskussionen und hitzigen  Debatten muss der Eindruck entstehen, als seien Kapitalisten und Unternehmer gleichbedeutend am Wirtschaftsleben beteiligt. Das ist irreführend. Ein Kapitalist ist kein Unternehmer und ein Unternehmer kein Kapitalist. Beide erfüllen im wirtschaftlichen Geschehen gänzlich andere und unterschiedliche Funktionen. In der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg war unternehmerisches Denken bestimmend, heute lenkt spekulatives Denken die Wirtschaft und die Politik in eine gewünschte aber verhängnisvolle Richtung.                                                                                                                             

 

Freie Marktwirtschaft ist in diesem System der Diktatur des großen Geldes nicht möglich, und soziale Marktwirtschaft schon gar nicht. Das Attribut sozial ist ohnehin gestrichen worden.

Nicht nur die Wirtschaft, auch Politik und Gesellschaft werden auf einen Weg gewiesen, den sie eigentlich gar nicht beschreiten wollen und wollten. Gegen die Kapital- und Geldströme sind selbst die fleißigsten Hände machtlos, wie immer sie sich entgegenstemmen. Wann, wo, wie gearbeitet werden soll bestimmt das Geldkapital.

Der Unternehmer wirtschaftet mit Immobilien, Werkzeugen und Maschinen, um Produkte als Arbeitszeugnisse auf dem Markt abzusetzen. Der Kapitalgeber stellt das Geld zur Verfügung, damit Produkte zirkulieren können. Die Funktionen sind also eindeutig abgegrenzt, uns stellen sich nicht so dar, wie es in vermischten Begriffsverwirrungen .aufgezeigt wird.

Der Ruf nach dem Gesetzgeber, um einer von sozialer Ungerechtigkeit gesteuerten Wirtschaft in ihren Auswüchsen zu begegnen, wird nur bedingt ein Erfolg beschieden sein. Gesetze allein können den Erhalt ethischer Standards  nicht gewährleisten, ebenso wenig Appelle an die Entscheidungsträger und die Gesellschaft in ihren Gruppen und unterschiedlichen Funktionen, solange der politische Wille zu gemeinsamen und individuellen Entschlüssen nicht vorhanden ist, die sich an erkannten Notwendigkeiten orientieren. Die Notwendigkeiten sind deutlich erkannt worden, die Reaktionen darauf wirken müde, trotz des wachsenden Druckes.

In einem Punkt, jedoch, herrscht Einigkeit quer durch alle Schattierungen bundesdeutschen gesellschaftlichen und politischen Lebens: Kein zurück in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Da herrscht Konsens von den Altliberalen bis zu den Neoliberalen und von den Altachtundsechzigern bis zu den Neuachtundsechzigern. Die Zahl der letzteren ist zunehmend im Abnehmen begriffen. Die Berührungsängste mit dieser Zeit haben zuweilen merkwürdige und irrationale Formen angenommen. Die Spaßgesellschaft fürchtet diese Zeit und das von ihr hinterlassene Erbe ebenso wie der auf Spekulationsgewinne ausgerichtete Börsenkapitalismus. Diese Form kapitalistischen Wirtschaftens und das damit verbundene spekulative Denken verkünden triumphierend erreichte und angestrebte Zielmarken, die bei 25% und 30% Rendite liegen und liegen müssen. Der unternehmerisch Tätige und Denkende müsste diese Tatsache, genau genommen verwundert zur Kenntnis nehmen. Der strebsame Unternehmer wäre mit 5% Rendite schon zufrieden, wenn nicht ein drohender Herzinfarkt seinem Streben Grenzen setzte. Vierzigtausend Unternehmen, die alljährlich in die Insolvenz gehen, erreichen nicht einmal diese Marke. Die physischen und psychischen Leiden, die damit einhergehen, finden in dieser Negativstatistik keine Erwähnung. Fonds,  mit einer zum Teil geheimnisumwitterten Namensgebung, die an der Börse gehandelt werden, bieten 7%, 18% und darüber hinaus bis zu 25% und mehr an Rendite. Wenn nun diese so erzielten Gewinne in den unternehmerischen Bereich der Wirtschaft flössen, und eine soziale Funktion damit verbunden wäre, dann ginge das vielleicht noch an. Aber genau das geschieht nicht, denn die Entwicklung unterliegt einem Zwang, der Börsianer sieht sich genötigt, seine erzielten Gewinne in weitere Spekulationen zu investieren. Die Spekulation nährt so die Spekulation, ein Sog, der alles in den Abgrund reißt wie in Friedrich Schillers Ballade „Der Taucher“, der beim zweiten Anlauf nicht mehr wiederkehrte.

Dreißig Dax- Unternehmen haben in 2004 ihren Gewinn verdoppelt und gleichzeitig angekündigt, 35000 Arbeitsplätze „abzubauen“ und Betriebe ins Ausland zu verlegen. Eine solche Verlagerung bringt auch noch steuerliche Vergünstigungen. Die Lastenträger der Gesellschaft werden doppelt herangezogen. Sie müssen die Entlassungswelle auffangen, und Finanzierung der Verlagerungen mittragen. Die Lastenträger werden weniger, und die Lasten mit steigender Tendenz ausgeweitet. Ob sich das wohl auf die Länge der Zeit rechnet?

In Ländern, wo zu einem Bruchteil des deutschen Arbeitslohnes gearbeitet wird, reicht der Lohn in vielen Fällen gerade zur Reproduktion der Arbeitskraft. Mit dem Export von Arbeitsplätzen ist kein Export von sozialen Leistungen verbunden, was doch eigentlich nahe gelegen hätte, schon um globale soziale Verwerfungen zu reduzieren.       

Der Begriff „Globalisierung“ ist von einem internationalen Flair umgeben, ob die politische Wirklichkeit sich entsprechend entwickelt und der Völkergemeinschaft in ihren Erwartungen entgegenkommt, hängt vom politischen Willen der Marktdirigenten ab, denn der Markt ist nicht frei, er wird durch die Geldströme gelenkt. Es ist ein Wirtschaftskrieg ausgebrochen, der in seinen Formen Erinnerungen weckt an die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen im vorigen Jahrhundert. Es entwickeln sich so Gefahrenherde mit einem sehr gefährlichen Explosivgemisch, die den rechten Rand in Politik und Gesellschaft bedrohlich anwachsen lassen. Unternehmen werden aufgekauft, zerstückelt und wieder verschachert, wenn sie nicht verlagert oder ganz stillgelegt werden. „Humankapital“ wird nach Börsenwert gehandelt, je höher die Entlassungswelle, um so höher die Börsennotierungen.

Ein Kapitalismus hebt sein Haupt, weil er die Konkurrenz des einst real existierenden  Sozialismus nicht mehr fürchten muss. In dieser Politik gewinnt die von Karl Marx axiomatisch vertretene These, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sei in dem Privatbesitz an Produktionsmitteln begründet, wieder an Bedeutung.

Wenn fleißige Hände ein Unternehmen zum Erfolg geführt haben, kommt die Stunde Rationalisierung oder der Verlagerung. Die fleißigen Hände, die vormals noch unentbehrlich waren, werden jetzt „freigesetzt“. Börsianer, die nie einen Beitrag zum Aufbau eines Unternehmens geleistet haben, treten an ihre Stelle.

Den Ausbeutungsprozess durch Geld- und Währungspolitik lässt Karl Marx in seinem umfangreichen Werk unberücksichtigt, das muss hervorgehoben werden, um Missverständnisse auszuschließen.

Die Arbeitskräfte, die aus den östlichen Nachbarländern nach Deutschland einströmen und für den Bruchteil des deutschen Stundenlohnes arbeiten, können sich aber durch das Währungsgefälle einen Vorteil sichern, während deutsche Kollegen und Kolleginnen ihr Dasein bei der Arbeitsagentur fristen müssen.

Das trifft auch für einen anderen Bereich zu. Deutsche Arbeitskräfte, die entlassen worden sind, weil in der Ukraine, Weißrussland oder Moldawien Monatslöhne von 50 € bis 80 € gelten, können  auch als Hartz IV- Anwärter Textilien, die in den genannten Ländern hergestellt werden, gerade noch käuflich erwerben. So leben beide Seiten in einem Wirtschaftssystem, das für große Teile allenfalls ein absolutes Existenzminimum zulässt.

In Deutschland ist zaghaft aber unüberhörbar eine Patriotismusdebatte angestoßen worden. Ein in dieser Debatte erhobener Vorwurf sollte, darin nicht ganz unberechtigt, Unternehmer treffen, die Arbeitsplätze und Unternehmen ins Ausland verlagern. Der Ball, den einst Kaiser Wilhelm II als Vorwurf den Sozialdemokraten entgegengeschleudert und sie als „Vaterlandslose Gesellen“ gebrandmarkt hatte, wurde jetzt zurückgeworfen in die Reihen bundesdeutscher Gesellschaft, die patriotische Gesinnung als Wertmaßstab vordergründigen Betrachtungen unterzogen haben. Unlängst hat ein deutscher Konzernchef in einer der vielen Fernsehgesprächsrunden den Ball wiederum zurückgeworfen in die Reihen bundesdeutscher Konsumenten, indem er ihnen vorwarf, sie entschieden beim Kauf nach Preisgefüge und nicht nach patriotischen Gesichtspunkten.

Damit kann das Eingangs dieses Schreibens angesprochene Thema noch einmal wieder aufgegriffen werden. Deutschland als Nation bedeutet den Menschen in Deutschland nichts mehr und wenn, dann durch und durch verneinend und abwertend. Nach Herder ist die Nation als großes Ganzes, ein Individuum. Deutschland benimmt sich aber nicht wie ein Individuum, das seine Selbsterhaltung- nicht Selbstbehauptung- bewahren will. Es benimmt sich wie ein Individuum, das sein Leben weggeworfen hat oder, modern ausgedrückt, „ausgestiegen“ ist. Seine Geschichte mit all ihren Leistungen und Vorzügen ist zur Bedeutungslosigkeit herabgestuft worden.

In letzter Zeit ist ein Umdenken feststellbar, dennoch ist es über Jahrzehnte üblich geworden, die Deutsche Geschichte zu verbiegen, zu verdrehen oder auch zu fälschen solange, bis schließlich Adolf Hitler aus ihr hervorgeht.                                                                                

Ein Ereignis, das ins Verhältnis gesetzt, nicht so bedeutsam erscheint, kann das beleuchten. Vor kurzem wurde in St. Petersburg das im Zweiten Weltkrieg verschwundene Bernsteinzimmer nach altem Vorbild neu hergestellt. Ein bekanntes Presseorgan schrieb dazu: Der preußische König Friedrich Wilhelm I habe das alte Bernsteinzimmer dem russischen Zaren Peter dem Großen zum Geschenk gemacht, und dann hieß es weiter „angeblich“ als Freundschaftsbeweis. Mit diesem kleinen Wörtchen „angeblich“ wird dem preußischen König ein unredlicher Beweggrund unterstellt. So wurde und wird Deutsche Geschichte vielfach willkürlich ins Negative interpretiert.

Wenn einem Land mit seinen staatspolitischen und geistig kulturellen Leistungen in der europäischen Geschichte Unrecht zugefügt worden ist, dann ist es Preußen. Ist doch von Preußen und seiner Geschichte nicht selten  eine gerade Linie zur NS- Herrschaft gezogen worden. „Preuße ist man durch Bekenntnis, nicht durch Geblüt.“ Mit diesem Satz, mit dem preußisches Wesen und Geschichte begründet werden, ist schon alles gesagt.

In der preußischen Geschichte haben Immanuel Kant, Alexander und Wilhelm Humboldt oder Georg Wilhelm Hegel gewirkt. Diese Namensliste ist keine Rangfolge, und sie könnte lange fortgesetzt werden.

Die  Salons jüdischer Frauen wie Henriette Herz, Dorothea Veit und Rahel Varnhagen waren Treffpunkte namhafter Persönlichkeiten besonders des kulturellen Lebens der Zeit um die Wende zum 19. Jahrhundert.

Dieses Wesensmerkmal Preußischer Geschichte wird verdunkelt durch einen Vorhang mit militaristischem Aussehen, der Preußen in ein anderes Licht tauchen, und einen gegensätzlichen Anblick bieten soll.

Preußische militärische Stärken und Eigenheiten sind schließlich von allen Armeen der Welt übernommen und weiterentwickelt worden, vom Gleichschritt des Alten Dessauers bis hin zum Stechschritt. Aber darum soll es gar nicht gehen. Wer Preußens Aus- und Aufbau seines Militärwesens verstehen will, der muss die Anfänge dieses Staatswesens näher betrachten.

Diese Anfänge beginnen mit dem Regierungsantritt des Brandenburgisch- Preußischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. 1640, noch in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Kur Brandenburg und Hinterpommern, das 1648 dem Brandenburgisch- Preußischen Staat zugeschlagen wurde, hatten mehr als andere Gebiete des Reiches die Unbilden des Dreißigjährigen Krieges zu ertragen, weil die verschiedenen Kriegsparteien mehrfach über dieses Gebiet hinwegrollten. Der brandenburgische Kurfürst sah keinen anderen Ausweg, der Willkür der Sodalteska zu begegnen als durch militärische Stärke.

Kurfürst Friedrich Wilhelm I hat sein Staatswesen im militärischen wie im zivilen Bereich nach holländischen Vorbild reformiert. Er hatte vier Jahre seines Lebens in Leiden zugebracht, das zu dem Zeitpunkt eine von Europas fortschrittlichsten Universitäten beherbergte. Mancher Holländer der Gegenwart wäre vielleicht etwas irritiert, wenn er diese historische Tatsache vernähme.

Der preußischen König Friedrich Wilhelm I(1713-1740) folgte seinem Großvater in einem radikalen Reformeifer. Ein Satz aus der Zeit ist zu einem geflügelten Wort geworden, und hat sich bis in unsere Zeit erhalten: Das Tafelsilber einschmelzen. Das war eine der ersten Amtshandlungen nach der Thronbesteigung dieses preußischen Königs, dem im Laufe seiner Regierungszeit der Begriff „Soldatenkönig“ beigelegt wurde, denn er schuf für Preußen, das zu der Zeit keine drei Millionen Einwohner zählte, eine Armee vergleichbar einer  der europäischen Großmächte. In der Historiographie ist zu Zeiten der Eindruck entstanden, als habe der preußische König das ins Werk gesetzt aus reiner Lust am Krieg und Soldatentum. Diese Tendenz der Geschichtsschreibung lässt sich leicht durch einsehbare Fakten widerlegen. Preußen hat in der Zeit, in der eine schlagkräftige Armee entstand, keine Kriege geführt, was den russischen Zaren Peter den Großen zu der spöttischen Aussage veranlasste: „Friedrich Wilhelm will fischen, ohne sich die Füße nass zu machen.“

Aber das war nicht der Beweggrund, Der „Soldatenkönig“ vermied es einen Krieg herbeizuführen auch aus innerer Überzeugung. In seinem politischen Testament von 1722 hatte er seinem Nach- und Thronfolger eingeschärft, keinen Krieg zu beginnen, das, so begründete er eine Überzeugung, zöge ein göttliches Strafgericht nach sich. Diese Einsicht kann auf den Einfluss August Hermann Franckes, dem Begründer der Halleschen Waisenhäuser, und der pietistischen Bewegung in Preußen zurückgeführt werden.

Der Thronfolger Friedrich II. (1740- 1786), den die Geschichte Größe zuerkannt hat, war weniger gottesfürchtig. Gleich nach seiner Thronbesteigung wurde er gegenüber der testamentarischen Verfügung seines Vaters ungehorsam. Mit der Annexion Schlesiens 1740 führte Friedrich II einen Eroberungskrieg, dem auch nach damaligen Verständnis die rechtliche und völkerrechtliche Grundlage fehlte. Aber der preußische König war mit weitem Abstand der kleinste Eroberer in einer Zeit, in der andere europäische Mächte sich anschickten, ganze Erdteile und Subkontinente zu unterwerfen und zu beherrschen. Die Grundlage für die militärische Stärke, die Preußen zur fünften Großmacht in Europa werden ließ, schuf der „Soldatenkönig“. Er hatte gute Gründe Preußen militärisch stark zu machen. Im Nordischen Krieg 1700 bis 1721 blieb Preußen neutral, Das hat die angrenzenden Krieg führenden Mächte nicht davon abhalten können, preußisches Territorium zu verletzen und seine Souveränität zu missachten. 1709 kostete ein Kosakeneinfall nach Ostpreußen 100 000 Menschenleben. Darum ist die üblich gewordenen einseitige Betrachtungsweise historischer Vorgänge mit einem Mangel behaftet.

1815 wurde nach den Kriegen gegen Napoleon auf dem Wiener Kongress Europa eine neue Ordnung gegeben. Es war ein dynastischer und von Dynastien geschlossener Friede. Er hat für Europa hundert Jahre gehalten. Große über den europäischen Kontinent sich ausdehnende Kriege haben  im 19. Jahrhundert in Europa nicht stattgefunden. Die Kriege der Bismarckzeit 1864, 1866 und 1870/71, die Deutschlands Einheit herbeiführten, können nicht mit den Massenvernichtungskriegen auf eine Stufe gestellt werden, die davor und danach Europa heimgesucht haben. Im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 wurden nahezu zwei Drittel der Bevölkerung im deutschen Reichsgebiet ausgelöscht. Der Siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763, den Winston Churchill in seinem Werk: „Geschichte der englischsprachigen Völker“ als ersten Weltkrieg bezeichnet hat, forderte allein auf preußischer Seite fünfhunderttausend Menschenleben. Preußen war mit weniger als fünf Millionen Einwohnern in diesen Krieg gezogen. Millionenfaches Sterben brachten auch die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege über Europa. Die genannten Kriege der Bismarckzeit waren begrenzt, dauerten nur wenige Wochen oder Monate und haben auf deutscher Seite achtzigtausend Menschenleben gefordert, von denen Bismarck geäußert hat, er werde sie einmal vor Gott verantworten müssen, und diese Aussage war ernst gemeint.

Die Politik Otto von Bismarcks führte zur Auflösung des Deutschen Bundes, der sich aus neununddreißig souveränen deutschen Staaten zusammensetzte. Das hatten die europäischen Großmächte auf dem Wiener Kongress 1815 wohlweislich so geregelt. Bismarck schuf mit seiner Politik einen einheitlichen deutschen Nationalstaat. Diese Politik ist bis in die politische Gegenwart unseres Landes als „deutscher Sonderweg“ angesehen und beschrieben worden. Aber es war kein Sonderweg. Bismarck hat nur das nachvollzogen, was andere vergleichbare europäische Mächte schon lange vorher vollbracht hatten, nämlich mit „Blut und Eisen“ einen nationalen Einheitsstaat zu schaffen. Selbst die Vereinigten Staaten, die gerade erst in die Geschichte eingetreten waren, sind Bismarck noch zuvorgekommen. Der Amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 hat mehr Opfer gefordert als alle drei genannten Kriege der Bismarckzeit zusammengenommen, die Verluste auf beiden Seiten eingerechnet. 1869 erhielten die im Norddeutschen Bund lebenden Juden die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung ohne jede Einschränkung, wie es das in der gesamten Deutschen Geschichte zuvor nie gegeben hatte. Eine Gesetzgebung die 1871 für das neu gegründete Deutsche Reich übernommen wurde.

Alleine dieser historische Tatbestand verbietet es schon, Bismarck mit Hitler in Verbindung zu bringen, was nicht selten geschehen ist.

Der gegenwärtige demokratische Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland orientiert sich an der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 und sucht in diesem Ereignis die Wurzeln seiner demokratischen Identität. Bismarcks Politik wird dazu in einen Gegensatz gestellt. Er habe, so ist nicht selten angemerkt worden, die Einheit der Freiheit vorgezogen. Auch diese Sicht bedarf der Korrektur. Das Wahlrecht zum Deutschen Reichstag war fortschrittlicher als selbst das Wahlrecht zur Frankfurter Nationalversammlung. Es war das fortschrittlichste Wahlrecht, das es zu der Zeit in Europa gab; und die verfassungsrechtliche Kompetenz dieses Reichstages als Parlament war so gestaltet, dass kein anderes Verfassungsorgan am Reichstag vorbeiregieren konnte.

Richard Wagner, dessen geistiges Schaffen in die entscheidenden Ereignisse der Bismarckzeit fiel, hat eine abwegige Beurteilung erfahren, die ihn als geistigen Vorläufer der NS- Herrschaft erscheinen ließ. Es soll hier nicht wiederholt werden, zu welchen Äußerungen sich da manche verstiegen haben. Richard Wagner hat nie physische Drangsalierung oder gar Vernichtung der Juden gefordert. Es ist eine rein geistige Auseinandersetzung, die auf das Thema Musik abgestellt ist, wie es der Titel von Richard Wagners Streitschrift „Das Judentum in der Musik“ erkennen lässt. Richard Wagner, der ausdrücklich Heinrich Heine in seinem politischen Exil in Paris besucht hat, ist denn auch von jüdischer Seite nicht geschont worden, und zwar nicht erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Als Heinrich Heine sich nach Paris begab, folgten ihm giftige Attacken aus Deutschland nach. Bismarck hat ihn dagegen in Schutz genommen mit der Bemerkung, er hätte an Stelle Heinrich Heines, den er als größten deutschen Lyriker seit Goethe bezeichnet hatte, kaum anders gehandelt.

Karl Marx(1818 bis 1883), dessen Wirken und Einfluss in diese Zeit fällt, hat in einer Schrift „Zur Judenfrage“ einiges geäußert, was in unserer gegenwärtigen Zeit strafrechtliche Konsequenzen hätte. Aber daran hat im Laufe der Zeiten niemand Anstoß genommen.

Den oben genannten Beispielen aus der Deutschen Geschichte könnte eine Fülle von Ereignissen und Persönlichkeiten hinzugefügt werden, die zwangsläufig zu der Frage führten, wo Hitler in der Deutschen Geschichte wieder gefunden werden könnte.

Es gibt Themen und Ereignisse der Deutschen Geschichte, die sorgsam gemieden werden. Dazu gehören auch die Jahre des Aufbaus in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, die gerade in der gegenwärtigen Phase, in der Deutschland in allen Bereichen des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens einem bedrohlichen Niedergang unterworfen ist, Vorbildcharakter haben könnte. Das soll offensichtlich nicht sein, wenn diese Zeit von Politikern der Gegenwart angesprochen wird, dann sehr zaghaft und zurückhaltend. Woran kann das liegen? Der Entwicklung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, die besonders aus wirtschaftlicher Sicht zum Staunen der Welt steil nach oben führte, hat seit der Wiedervereinigung einen geradezu entgegen gesetzten Verlauf zu verzeichnen. Über die Gründe wagt niemand offen zu sprechen, obwohl  die Politik insgesamt Offenheit anmahnt zu dem, was Deutschland bevorsteht. Das Thema Staatsverschuldung wird angesprochen, als sei es eine Randerscheinung, obwohl hier die eigentlichen Ursachen liegen für Deutschlands Niedergang. Zwanzig Jahre vom Beginn der Währungsreform 1948 bis zum Ende der Großen Koalition 1969 wiesen die bundesdeutschen Haushalte Überschüsse aus. Gegenwärtig steigt allein die Schuld des Bundes um 1700 € pro Sekunde(!). Wie soll der Wettlauf gegen dieses astronomische Zeit- und Zahlenspiel gewonnen werden? Das ist die Frage, auf die eine Antwort gefunden werden muss. In dem Katastrophenjahr 1946, in einer Zeit größter Not, über die heute nur noch wenige Menschen in Deutschland  eine Vorstellung entwickeln können, wurden in Deutschland 1,2 Millionen Kinder geboren, heute sind es 700 000. Jede deutsche Großstadt bot nach dem Kriege in weiten Teilen eine Trümmerlandschaft.

 

In diesen Trümmerlandschaften mussten mehr als 15 Millionen Menschen, die aus den an gestammten deutschen Ostgebieten vertrieben worden waren, eine Unterkunft finden.

Trotz dieser Bedingungen, die hier nur andeutungsweise wiedergegeben werden, verdoppelte sich  das Bruttosozialprodukt von 1950 bis 1956. Aktionäre verzichteten bewusst auf hohe Renditen und Dividenden zugunsten der Steigerung von Produktion und Investition. Unternehmerisches Denken, nicht die Börsenspekulation, waren bestimmend für den Verlauf der wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung. Mit Share- Holder- Value- Mentalität und Staatsverschuldung wäre die Bundesrepublik Deutschland bereits am Beginn ihres Bestehens in ein Chaos versunken, so wie es sich nach der Wiedervereinigung in immer größerem Umfang abzeichnet. Die Rutsche, auf der die bundesdeutsche Gesellschaft mit steigender Beschleunigung in den Abgrund schliddert, führt immer tiefer in gefährliche Gefilde, und ein Emporkommen daraus wird sich stetig schwieriger gestalten. Wenn das Ausmaß auch noch nicht erreicht ist, so rücken Weimarer Verhältnisse immer stärker ins Blickfeld. Ein Wirtschaftskrieg, wie zwischen den beiden Weltkriegen im vorigen Jahrhundert, zieht gefährliche Kreise und lässt nichts Gutes erwarten.

Beispielhaft wurde das unlängst in den Medien dargestellt, wie ein gut gehendes Unternehmen zerschlagen und zu Grunde gerichtet wird. Die Firma Grohe hat zur Zeit ihres gut gehenden Bestehens Armaturen in alle Welt geliefert, bis sie von einem „Investor“ aufgekauft wurde. Der Kaufpreis von 1, 2 Milliarden € wurde mit 800 000 € über Kredite finanziert. So stand ein gut gehendes, schwarze Zahlen schreibendes Unternehmen plötzlich mit einem hohen Verschuldungsgrad da. Der Gesetzgeber zeigt sich ratlos und machtlos gegenüber solchen Machenschaften. Er könnte eingreifen, wenn der politische Wille und die Bereitschaft zum Handeln vorhanden wären.

Wie angesichts solcher Vorgänge Leistungs- und Opferbereitschaft erwartet werden, das ist rätselhaft. Aller Fleiß, alle Opferbereitschaft können in diesem System, das in einer Randzone der Legalität angesiedelt ist und naturgegebenes Rechtsempfinden verletzt, jederzeit durch die Diktatur des großen Geldes manipuliert oder zunichte gemacht werden. Die Zeit zum Gegensteuern ist überreif, und es wäre gefahrvoll, solange zu warten, bis die Früchte, die hier heranreifen müssten, verfault vom Baum fallen.

Noch ein Rückblick in die Geschichte ist in diesem Zusammenhang erforderlich. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat Otto von Bismarck ein Sozialversicherungssystem begründet. Es hat zwei Kriege und zwei Inflationen überstanden, heute, nach sechzigjähriger Friedensperiode, wird es von einer Spaßgesellschaft zur Disposition gestellt. Es hat sogar schon Stimmen gegeben, die Bismarck diese Fehlentwicklung anlasten wollen, weil er mit seiner Gesetzgebung die Arbeitskosten erhöht habe. Das geht an der historischen Wirklichkeit vorbei. Bismarcks ursprüngliche Absicht war es, die Kosten zu dritteln. Ein Drittel Arbeitnehmer, ein Drittel Arbeitgeber und ein Drittel aus Steuern. Dieses Vorhaben ist an den Mehrheitsverhältnissen im Reichstag gescheitert.

Ludwig Erhard hat nach dem Zweiten Weltkrieg, nach vollbrachter Tat die bundesdeutsche Gesellschaft gemahnt, nicht in Maßlosigkeit zu verfallen. Er wurde ausgelacht. Heute wird der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht anerkennend, sondern spöttisch gedacht.

Von einer „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ ist jüngst nicht selten die Rede gewesen. Sie ist nicht nötig, die alte war gut, an ihrer Wiederherstellung sollte gearbeitet werden. Dann wüssten die Menschen in Deutschland auch wieder, wohin die geforderten Opfer die bundesdeutsche Gesellschaft führen werden. Eine solche notwendige Voraussicht zeichnet sich gegenwärtig nicht ab.

   Mit freundlichen Grüßen
  Heinz Drews27

Das Ägernis

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