Lutherrose

Schreiben an die Tschechische Botschaft

Prognosen zur Wiedervereinigung

Prognosen zur Wiedervereinigung        Oktober 2004

 

Die ganz große Zuversicht der Jahre 1989 und 1990 ist längst verflogen. Was wurde zu dem genannten Zeitpunkt nicht alles gehofft und versprochen? Die Entwicklung seither hat Gegenteiliges bewirkt. 1990, unmittelbar bevor die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 vollendet war, konnte das schon gewusst werden. Nur wenige waren bereit sich von Illusionen zu befreien. SPD- Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine hat 1990 zwei Kritikpunkte in seinen Wahlkampf einfließen lassen, die ihm den Wahlsieg gekostet haben. Er hatte verkündet, es werde ohne einschneidende Opfer nicht vorangehen, und er hatte eine Abneigung gegen die Aufrechterhaltung der Nato, während der Warschauer Pakt aufgelöst wurde. Ihm ist daraus der Vorwurf erwachsen, er habe die Wiedervereinigung nicht wirklich gewollt. Können wir das, was wir heute wahrnehmen, vierzehn Jahre danach, wirklich als Wiedervereinigung ansehen? So müsste die Frage lauten.

Das Schreiben der Ständigen Vertretung der DDR vom 2. August 1990 ist mit Datum vom 20. August 1990 beantwortet worden. Der Ausblick, der in diesem Antwortschreiben gegeben wird, gibt genau den Verlauf wieder, wie er in der politischen Realität stattgefunden hat. Wie bereits oben angemerkt: Die Entwicklung war vorhersehbar. Dem folgenden Inhalt des Schreibens ist ein begleitender Kommentar angefügt.

 

 

Heinz Drews                                                                        Hamburg, den 20. August 1990

Postfach 605475

2000 Hamburg 60

 

Herrn

Botschaftsrat Klötzer

Ständige Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik

Godesberger Allee 18

5300 Bonn

 

Sehr geehrter Herr Klötzer!

 

Für das Schreiben vom 2. August 1990 möchte ich Ihnen sehr herzlich danken, auch für den beigefügten Text der Rede, die der Ministerpräsident der DDR, Herr Lothar de Maizière, am 21. Juni 1990 in Bonn gehalten hat.

Erlauben Sie mir zwei Punkte daraus, zu einer kurzen Kommentierung herauszugreifen.

In der Rede findet sich ein Zitat von Thomas Mann: „Wir wollen ein europäisches Deutschland und nicht ein deutsches Europa.“ Als Thomas Mann diese Äußerung gemacht hat, bestanden andere politische Voraussetzungen, die mit der heutigen Situation nicht vergleichbar sind. In diesem Zitat sind Maximalforderungen enthalten, die zu politischem Unrecht führen können.

 

 

Der Versuch, Europa eine deutsche Herrschaft aufzuzwingen, war ein Unrecht, ebenso ist aber der Versuch, Deutschland eine europäische Herrschaft aufzuzwingen, ein Unrecht.

Gegenwärtig ist viel von einer „multikulturellen Gesellschaft“ die Rede. In dieser so bezeichneten Gesellschaft soll nationale deutsche Identität und kulturelle Eigenständigkeit nicht stattfinden. Deutschsein soll darin als etwas Minderwertiges und Rückständiges gelten. Wer dies kritisch vermerkt, wird sehr schnell verleumdet, verdächtigt und in die rechte politische Ecke gestellt. Das kann ich aus eigenem Erleben bestätigen, darum ist diesem Schreiben einiges Informationsmaterial beigefügt.

Der gegenwärtige Entwicklungsprozess zur deutschen Einheit zeigt Begleiterscheinungen, die auf unheilvolle Folgen hindeuten. Dafür gibt es viele Gründe. Vielleicht darf ich mir als Bürger der Bundesrepublik Deutschland einige kritische Anmerkungen über die eigene Gesellschaft erlauben.

Grundsätzlich muss festgestellt werden: Das Interesse der Deutschen an Deutschland ist äußerst gering, und insgeheim die Gesellschaft der Bundesrepublik ist geprägt von einem Egoismus, der nur noch materielle Werte gelten läßt .

Was die Einstellung der bundesrepublikanischen Gesellschaft gegenüber der DDR kundtut, das ist nicht nur ein Mangel an Solidarität, das hat streckenweise schon brutale Züge angenommen. Hinzu kommt die schneidende Arroganz, mit der verantwortliche westdeutsche Politiker verhohlen und unverhohlen auftreten, um das, was an politischen Fehlentscheidungen auf den Weg gebracht worden ist, zu übertünchen.

Wenn mit den Maßnahmen, die beschlossen worden sind, um die deutsche Einigung herbeizuführen, ein Nutzeffekt erzielt werden soll, dann ist eine Änderung der Bewusstseinshaltung in beiden Teilen Deutschlands unumgänglich. Das aber stößt auf erhebliche Widerstände, nicht umsonst wird immer wieder vor einer „deutschen Gefahr“ gewarnt und damit im In- und Ausland lähmendes Entsetzen verbreitet. In dieser Stimmungsmache wird deutlich erkennbar, wie unerwünscht eine Stärkung und Kapazitätsausweitung der deutschen Wirtschaft eigentlich ist. Die deutsche Vergangenheit wird immer gerne herangezogen, um entsprechenden Warnungen Gewicht zu verleihen. Mit der historischen Wahrheit wird es dabei nicht so genau genommen und Objektivität, ein entscheidendes Kriterium zur Interpretation historischer Vorgänge, ist nicht gefragt.

Der Nationalsozialismus, auf den gerne abgehoben wird, war nicht in der Kontinuität der Deutschen Geschichte, er war ein Bruch mit der großen christlichen und humanistischen Tradition der Deutschen Geschichte. Ebenso standen preußische Tradition und Nationalsozialismus von Anbeginn in Gegensatz zueinander, der mühsam durch erzwungene Kompromisse verdeckt worden ist.

 

Einen zweiten Punkt in der Rede des Ministerpräsidenten der DDR möchte ich kurz ansprechen. Die Rede enthält den Hinweis auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR und die Möglichkeit, sie für eine gesamtdeutsche Wirtschaft zu nutzen. Das ist ein sehr begrüßenswerter Gesichtspunkt. Eine Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der UdSSR und Deutschland ist nicht nur eine Notwendigkeit; es wäre damit auch ein umfassender Verständigungsprozeß und eine Neugestaltung menschlicher Beziehungen verbunden. Auf dem Weg zu einer solchen Entwicklung stehen einige Hindernisse. Rapallo heißt das Stichwort, das in zahlreichen Publikationen immer wieder auftaucht. Was war Rapallo wirklich? In Rapallo hat 1922 der damalige Außenminister Walther Rathenau den Versuch unternommen, den Würgegriff der Siegermächte des Ersten Weltkrieges für das Deutsche Reich durch Verträge mit der Sowjet- Union zu mildern. Dem Würgegriff unrealisierbarer Reparationsforderungen ist die Weimarer Republik schließlich erlegen. Diesen Punkt habe ich auch in einem Schreiben vom 14. April 1990 an den „Spiegel“ - Herausgeber, Herrn Rudolf Augstein, angesprochen. Das Schreiben ist beigefügt.

Abschließend weise ich noch hin auf beigefügte Schreiben und Stellungnahmen, die in Zusammenhang stehen mit meinem heutigen Schreiben und mit Informationsmaterial, das ich meinem Schreiben vom 31. Juli 1990 an die Ständige Vertretung der DDR beigefügt hatte.

 

Es handelt sich um folgende Schreiben und Stellungnahmen:

 

  • An die Israelische Botschaft vom 12. Januar 1985.
  • An die Israelische Botschaft vom 21. Oktober 1985 mit dem Antwortschreiben vom 24 Oktober 1985.
  • An die Griechische Botschaft vom 16. Februar 1985.
  • An die Griechische Botschaft vom 26. Februar 1990.
  • An „Spiegel“ – Redakteur Rainer Weber mit dem persönlichen Antwortschreiben vom 12. März 1985.
  • An die Redaktion des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vom 27 Januar 1990 mit Antwortschreiben vom 15. Februar 1990.
  • An den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Richard von Weizsäcker, vom 24. Mai 1989 mit Antwortschreiben vom 12. Juni 1989 und  einem weiteren Antwortschreiben vom 1. Juli 1989.
  • Weiter habe ich einen anwaltlichen Schriftsatz vom 20. August 1986 beigefügt, der eindeutig in Zusammenhang steht mit meinen politischen Stellungnahmen. Abwertend ist darin die Rede von „gesammelten Werken“ und es wird der Vorschlag gemacht, durch ein sogenanntes „Sachverständigengutachten“ über meinen geistigen Zustand zu befinden.

    Wie sich die Dinge weiter entwickelt haben, wird in meinem Schreiben an Bundespräsident Weizsäcker vom 24. Mai 1989 deutlich. Ebenfalls im Mai vorigen Jahres sah ich  mich veranlaßt ein Ermittlungsverfahren bei der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen mich selbst zu beantragen. Der Antrag wurde anschlägig beschieden. Die entsprechenden Schreiben vom 22. Mai 1989 und die Antwort der Staatsanwaltschaft sind beigefügt.

    Was ich in der Bundesrepublik Deutschland erleben mußte in Zusammenhang mit meiner zum Ausdruck gebrachten politischen Überzeugung, das hat mich einigermaßen irritiert und nachdenklich gestimmt.

    Erlauben Sie mir als Abschlußbemerkung noch eine Auffassung darzulegen: Ein Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre verhängnisvoll, insbesondere für die Menschen in der DDR. Ist die Vereinigung erst einmal erfolgt, dann gibt es für die Menschen in der DDR keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten mehr. Sie können dann mit billigen Schlagworten und allerlei Ausreden abgefunden werden, wie es bis zum heutigen Tage immer wieder geschieht.

    Investitionen, in der Euphorie der ersten Stunde großartig angekündigt, sind bisher ausgeblieben. Es sind nicht einmal Ansätze erkennbar, die zu gewissen Hoffnungen berechtigen könnten. In zwei „Spiegel“ – Ausgaben stand unlängst, sinngemäß zu lesen, die westdeutsche Industrie bräuchte in der DDR eigentlich gar nicht zu investieren, sie wäre in der Lage, den Markt der DDR „nebenher“ zu bedienen.

    Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann werden Jahr für Jahr Zig – Milliarden in die Luft gejagt, von denen dann nur die Zinsbezieher einen Vorteil hätten.

    Noch ist die DDR ein souveräner Staat genauso wie die Bundesrepublik Deutschland auch.

     

             Mit freundlichen Grüßen

         Heinz Drews19

     

     

     

    Lothar de Maizière hat in seiner Rede vom 21. Juni 1990 auf das Tempo hingewiesen, in dem sich die Schritte zum Wiedervereinigungsprozess vollzogen hatten. Es herrschte eine hektische Stimmung,  die für die Zwei – Plus - Vier Vertragsverhandlungen nicht ohne Auswirkungen blieb. Ein Klima des Vertrauens konnte so zwischen sechs Verhandlungsmächten Frankreich, Großbritannien, UdSSR, USA und den beiden deutschen Staaten nicht entstehen. Vor allem die Regierung Kohl wurde von der Befürchtung getragen, es könnte eine politische Konstellation entstehen, mit der die Möglichkeit zur Wiedervereinigung sich verflüchtigt hätte. Die Befürchtungen waren nicht unberechtigt, und so war Eile geboten, die Verträge zum Abschluss zu bringen. Vieles, was besser hätte ausgehandelt werden müssen, unterblieb. Für das alles kann noch Verständnis aufgebracht werden. Nach der vollzogenen Wiedervereinigung hätte gegengesteuert werden müssen. Dafür war der politische Wille nicht vorhanden, zu keinem Zeitpunkt. Daran hat sich bis in die unmittelbare Gegenwart nichts geändert. Die Talfahrt Deutschlands wird sich solange fortsetzen, bis durchgreifende Entschlüsse einen Wandel schaffen, und das gilt nicht nur für die deutsche Politik.

     

    Die Beibehaltung des Nato- Bündnisses hat sich als ein Hindernis erwiesen zu einem Ausbau besserer Beziehungen nach Osten. Die Nato ist seit Auflösung des Warschauer Paktes inständig auf der Suche nach einem Stück Feindbild.  Beziehungen zwischen Russland und Deutschland werden mit Misstrauen beäugt. Im Zuge des Krieges gegen den Irak wurde das besonders deutlich. Da werden dann historische Reminiszenzen bemüht, um Beziehungen, die sich anbahnen, zu vergiften. Deutschland und Russland erscheinen dann als historische Bösewichter. Wenn sich russische und amerikanische Weltraumforscher auf der ISS umarmen, dann freut sich alle Welt und darf es auch. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Josef Stalin in den Medien der USA als „Uncle Joe“ gefeiert, väterlich mit Pfeifchen. Der Westen hatte auch Hitler großzügig bedacht, bevor er sich mit Stalin freundschaftlich verbunden hat. Michail Gorbatschow wurde nicht mit solch freundschaftlichen Gesten überschüttet, trotz Glasnost und Perestroika. Die Nato und die EU verlegten ihren Einflussbereich weiter nach Osten. Die Teilung Europas ist damit aber nicht überwunden, wie vielfach behauptet wird. Russland gehört mit allen Wurzeln und Fasern seiner Geschichte zu Europa und darf nicht ausgegrenzt werden.

    Auch in der politischen Gegenwart können uns Redewendungen aus der Zeit des Kalten Krieges begegnen. Deutschland bewirbt sich zusammen mit anderen Staaten um einen ständigen Sitz im UNO- Sicherheitsrat. Die „Welt am Sonntag“ vom 17. Oktober 2004 ließ sich in einem fast ganzseitigen Beitrag dazu vernehmen. Der Titel lautete: „Die Illusion von der Weltmacht“. Diese Anspielung ist schon recht deutlich und sollte wohl auch entsprechend verstanden werden. Im Inhalt des Beitrages wurde es noch deutlicher. Die deutsche Außenpolitik, hieß es, „irrlichtert“ und sei „unberechenbar“ geworden. Zur Zeit des Kalten Krieges galt für die deutsche Außenpolitik die Maxime: „Deutsche Politik müsse berechenbar bleiben“. Da sind wir also wieder angekommen. Besagter Beitrag ergeht sich auch sonst in Selbst- und Unfähigkeitsbezichtigungen. Die Opposition begegnet der  Bundesregierung mit dem Vorwurf, sie betriebe eine „Renationalisierung“ der deutschen Außenpolitik und spricht von einem „linken Nationalismus“. Linker Nationalismus, rechter Nationalismus, in diesen Denk- und Verdächtigungskategorien bewegt sich die deutsche Politik seit Jahrzehnten.  Die Geschichte dient in solchen Fällen als politisches Instrumentarium in einer Weise die an eine Aussage Leopold von Rankes(1795-1886) gemahnt:

    „Ein Volk, das seine Geschichte nicht kennt, wird erleben, daß ihm eine schlechte Geschichte gemacht wird.“

    Die Problemfelder, die gegenwärtig beackert werden, sind also nicht neu.

    Großansicht: Maus über!

    Der Verlauf der Wiedervereinigung

    NavPrev91Seiten Anfang19NavNext123

    Verantwortlich für den Inhalt der Seiten,Copyright © 2003-2005: Heinz Drews