Lutherrose
Reformen
Themen29
NavHome A09
Leer-Feld10
Leer-Feld11
Leer-Feld12

März 2003

Die Themen, die für den Ausflug in die Deutsche Geschichte vorgesehen sind, sollen alle von der Fragestellung begleitet werden, ob und wo Hitler in der Deutschen Geschichte wieder gefunden werden kann, und ob es gerechtfertigt ist, Hitler als notwendigen Ausfluss der Deutschen Geschichte darzustellen.

Martin Luther der Reformator

Zeit im Umbruch und Aufbruch

Am Tage von Martini, dem 10. November im Jahre des Heils 1483 wurde Martin Luther geboren. Was war das für eine Zeit zu dem Zeitpunkt? Neun Jahre später gingen Columbus und seine Mitstreiter in der „Neuen Welt“ an Land. Mit der Neuen Welt begann eine neue Zeit. Aber es begann nicht nur eine neue Zeit, die ganze Menschheitsgeschichte begann neu. Die Welt war im Umbruch und Aufbruch, es schien, als ob die Geschichte durchgeschnitten worden sei und von einer Kontinuität nicht mehr gesprochen werden konnte. Die Glanzzeit des Heiligen Römischen Reiches  hatte ein Ende gefunden. Die Herrscherpersönlichkeiten dieser Zeit in all ihrer Tragik und Größe, sie gehörten der Vergangenheit an. Niemand hat ihnen ein Denkmal gesetzt. Einen Shakespeare wie für die Englische Geschichte, suchen wir in der Deutschen Geschichte vergeblich. Die Kaiser aus dem Geschlecht von Hohenstaufen hatten es noch einmal mächtig werden lassen. Danach bestand es nur noch formal, bis es 1806 durch die Politik des Franzosenkaisers Napoléon I. auch de jure ein Ende fand, was Goethe(1749-1832) zu der Aussage veranlasste, der Streit zwischen seinem Kutscher und seinem Gärtner habe ihn mehr berührt als der Untergang dieses monströsen fiktiven Gebildes. Um 1483 begann alles neu. Das Zeitalter der Entdeckungen nahm seinen Anfang. Neue Imperien entstanden, errichtet durch die Portugiesen, die Spanier, die Engländer, die Franzosen, die Holländer und schließlich die Russen, begünstigt durch ihre geographische Lage. Deutschland wurde zu einer Randerscheinung. Gut zweihundert Jahre waren vergangen seit Konradin, der letzte aus dem Geschlecht von Hohenstaufen durch den Herzog von Anjou hingerichtet wurde. Der universale Staatsgedanke trat in den Hintergrund, Nationales begann sich zu regen, schon erkennbar in der Auseinandersetzung Kaiser Friedrich Barbarossas ( 1122- 1190) mit Papst Alexander III. Die führte zum Gegensatz mit Frankreich und England. In Frankreich lagen sich die Heere gegenüber, und der englische Adelige John of Salisbury stellte die Frage: Quis Teutonicus constituit judices nationum( wer hat die deutschen zu Richtern über die Völker gesetzt)? Zum Äußersten ist es damals nicht gekommen. Noch eins brachte die Zeit, in der Luther in diese Welt gestellt wurde: Die Renaissance, die Wiedergeburt der Antike, die dem Humanismus den Weg bereitete. Angeknüpft werden sollte an die Welt der Antike, die Tausend Jahre zuvor mit dem Untergang des Weströmischen Reiches(476) ein Ende gefunden hatte, dem Ansturm der Germanenstämme war es erlegen. Darum wurde aus der Renaissancebewegung der Anspruch erhoben, der „barbarischen Zäsur“ der Germanen ein Ende zu setzen. Das ist zwar eine Vereinfachung. Am Hofe Karls des Großen wurde dem Bildungsideal der Antike eine große Bedeutung zuerkannt. Die Reformation, die mit Martin Luther Bahn brechend ihren Verlauf nahm, stand eigentlich im Gegensatz zum Humanismus. Der Humanismus in Deutschland ging auf Distanz zur Reformation, die er bei Beginn begrüßt hatte. Eines aber taten die Humanisten in Deutschland nicht: Eine Abkehr vom christlichen Glauben zu vollziehen, obwohl der Aufstand gegen die Bevormundung der alles beherrschenden Kirche als Grundlage ihres Wirkens angesehen werden muss. Der Humanismus hat seine Wurzeln im klassischen Griechenland und in der lateinischen Welt der Antike. Die Humanisten im Reich unternahmen es, Christentum und antike Geisteswelt miteinander zu verbinden. Die Reformation stellte Gott und den Glauben in den Mittelpunkt, der Humanismus den Menschen und die Vernunft. Das ist sicher auch eine Vereinfachung, aber als Orientierungsmarke dennoch geeignet. Festmachen lässt sich das auch an der Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam. Im Dezember 1524 Veröffentlichte er seine Schrift: De libero arbitrio(Über den freien Willen). Ein Jahr später antwortete Luther mit einer Gegenschrift: De servo arbitrio(vom unfreien Willen). Abendländische Kultur- und Geistesgeschichte haben eine gemeinsame Wurzel und stehen auf zwei Säulen: Israel und der hebräische Kanon der Heiligen Schrift, aus dem das Christentum hervorgegangen ist und das antike Griechenland als Fundament der Geistes- und Naturwissenschaften. Diese Säulen einzureißen, ist mit Verlust und Zerstörung verbunden. Wer in der Renaissance und Rückbesinnung auf die Antike etwas Rückwärtsgewandtes zu erkennen glaubt, ist einem Irrtum erlegen. Es war weit eher ein Neuanfang und Aufbruch. Die Naturwissenschaften mit ihren Erkenntnissen, ließen vieles hinter sich, was bis dahin als unumstößlich galt, und der Humanismus unternahm es, der Enge theologischer Dogmen zu entfliehen. „Es ist eine Lust zu leben“, so empfand es Ulrich von Hutten als erkennbar wurde, wie das Alte sich auflöste und in Trümmer gelegt wurde. Giordano Bruno(1548- 1600) war zu der Überzeugung gelangt, gestützt auf die Erkenntnisse des Nikolaus Kopernikus, das Universum sei unendlich. Er hatte sich mit dieser naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht begnügt, sondern sich damit auf das Feld der Theologie vorgewagt und dem Erlösungswerk Jesu Christi eine andere Deutung gegeben, und das war gefährlich in jenen Tagen, in denen ein denkender Mensch schnell auf den Scheiterhaufen gelangen konnte. Luther hatte sich zwar gegen das Verbrennen von Menschen ausgesprochen, sich aber nicht durchsetzen können. Besonders nach seinem Tode wurden auch im protestantischen Bereich vermehrt die Scheiterhaufen angezündet. Johannes Calvin(1509-1564) hat in seinem „Gottesstaat“ in Genf dreihundert Menschen verbrennen lassen. Eine unterschiedliche Auffassung zur Dreieinigkeitslehre oder eine andere Einstellung in der Interpretation zum Abendmahl, konnte zu einer Entscheidung werden zwischen Leben und Tod.

Leer-Feld 01
NavNext07
NavHome A10

In dieser Zeit, wo die Geschichte neu begann, hat Martin Luther ihr einen unübersehbaren kräftigen Schub gegeben, der unübersehbar war und bleiben wird. Martin Luther hat dem Lauf der Geschichte eine andere Richtung gegeben, das ist nicht übertrieben. Zum Guten sagen die einen, zum Schlechten die anderen. Das Urteil ist geteilt, aber Luther war keine geteilte Persönlichkeit, er war aus einem Guss, sein Lebenswerk zu wieder rufen, dazu hat er sich nicht hinreißen lassen.

In seiner Kindheit hat er eine strenge Erziehung genossen. Die Eltern hatten sich aus ganz kleinen Anfängen emporgearbeitet. Hans Luther, der Vater, hatte als Bergmann angefangen und war die Leiter in der Bergwerkshierarchie langsam und stetig empor geklommen, und dabei eine gesellschaftliche Position mit beachtlichem Wohlstand errungen. Der Aufstieg ist bestimmt unter erschwerten Umständen verwirklicht worden in einer Zeit, wo die Herkunft höher bewertet wurde als die Leistung. So streng und hart wie gegen sich selbst war er auch in der Erziehung, die Hand saß locker und der Stock zur Züchtigung war griffbereit. Luther hat sich in späteren Jahren manches Mal darüber beklagt. Die Lutherfamilie war in den Erziehungsmethoden keine Ausnahme, es war das übliche und verbreitete Verfahren. Die Luthers hatten es geschafft, sie konnten eine Ausbildung finanzieren und ihren Sohn auf eine Lateinschule schicken. Das war zu der Zeit nicht vielen Kindern vergönnt. Die Schulen der Zeit waren eine Paukanstalt, Schläge und andere ausgeklügelte Strafmaßnahmen gehörten zum Tagesablauf. Erasmus von Rotterdam ,einer der Großen unter den Humanisten, hatte ein anderes pädagogisches Modell entwickelt, damit aber wenig Anklang gefunden. Von Martin Luther wird berichtet, er sei ein Musterschüler gewesen, nicht spießig, streberhaft und ehrgeizig, aber fröhlich und gutgelaunt und Frohsinn um sich verbreitend. Auch in Erfurt als Student wird er diesen Wesenszug beibehalten. Wenn Anlass bestand, konnte Luther zu einem derben Humor seine Zuflucht nehmen. Fromme Bigotterie ist bei Luther nicht zu finden. Frommer Lebenswandel war ihm ansonsten von Kind auf anerzogen worden, auch ein Zeichen der Zeit. Nach dem Besuch der Lateinschule ging Luther nach Erfurt, dem Wunsch seiner Eltern folgend, an die Universität zum Jurastudium. Das Universitätsleben war strengen Regelungen unterworfen, die Kleidung war einheitlich, ein langer schwarzer Rock war von einem Gürtel gehalten, an dem ein scharfes Schwert angebracht war und das nicht nur zur Zierde, wie authentische Berichte aus der Zeit es bezeugen. Studenten waren überall in der Öffentlichkeit erkennbar. Der Vater hing insgeheim dem Gedanken nach, den Sohn als juristischen Berater an einem der Fürstenhöfe zu sehen. Vier Jahre blieb Luther in Erfurt, um dann abrupt ins Kloster zu gehen und zur Theologie zu wechseln. Ein Akt des Ungehorsams gegen die Eltern, in der Zeit etwas Außergewöhnliches. Der Vater hat es letztlich verkraftet und den Sohn besucht, nach dem auch das Theologiestudium sich Erfolg versprechend gestaltete, im Wagen mit Pferdegespann, ein Zeichen gesunden Wohlstandes. Er hinter lies denn auch im Augustinerkloster zu Erfurt eine Spende. In seinem Aufenthalt im Kloster, auf der Suche nach einem gnädigen Gott, hat sich Luther allen möglichen Härten des Klosterlebens unterworfen. Das gehörte nicht zu den Selbstverständlichkeiten eines Klosterlebens, da sind gegenteilige Berichte auf uns gekommen, die in damaliger Zeit Anlass zur Belustigung gaben, aber auch den Volkszorn steigerten. Ein verbogenes Wesen ist bei Luther nicht zu entdecken. Er ist geradlinig. Er ist kein Politiker, kein Diplomat und wer es mit ihm verdorben hatte, bekam seinen Zorn zu spüren, ob die Bauern, die Fürsten, die Juden oder die Deutschen. Maßlos konnte er werden in Worten, tätlich angegriffen hat er niemanden. Er hat das Kirchen und Bildungswesen organisiert, aber keine militärischen auf Blutvergießen ausgerichtet Unternehmungen angeführt wie sein großer Gegner, Thomas Müntzer. Das Wort werde alles richten, davon war er in seiner Überzeugung durchdrungen. Stolz war er auf das Erreichte, und das sich alles ohne Schwertstreich und Blutvergießen vollzogen hatte. Dann wurde die Glaubensfrage zu einer sozialen Frage, die der Reformation einer schweren Schlag versetzte, von dem sie sich in den nachfolgenden Jahrhunderten nie ganz erholt hat.

Leer-Feld 01
NavNext08
NavHome A11

Luther war nicht nur Theologe. Er war ein Verkündiger, wortgewaltig. Alle seine Schriften sind davon durchdrungen. Scharf und durchdringend wie die Propheten Israels hat er sich vernehmen lassen. Diese Ausdrucksformen finden sich nicht in der Politik und in der Diplomatie. Damals nicht und heute nicht. Hier ist eine Voraussetzung für das Verständnis Martin Luthers zu suchen. Nebenbei wurde Martin Luther auch zum Sprachschöpfer. Es gab schon mehr als ein Dutzend Bibelübersetzungen, ehe die Übersetzung Martin Luthers erschien. Sie sind alle der Vergessenheit anheim gefallen. Der Stil Martin Luthers bleibt unübertroffen. Die Sprachschöpfungen späterer Jahrhunderte in Deutschland, in Prosa und Lyrik, der Klassik, der Romantik, sie können auf Luthers Sprachgewalt zurückgeführt werden.

Alles Unheil in der Geschichte der späteren Jahrhunderte ist Luther angelastet worden bis hin zu dem Vorwurf, er sei ein Wegbereiter Hitlers gewesen. Glaubens- und Kirchenspalter, Fürstenknecht und Begründer des Obrigkeitsstaates, Aufrührer der Bauern und damit letztlich verantwortlich für das vergossene Blut der Bauernkriege und schließlich Antisemitismus.

Zu allem ist auch sein theologisches Werk nicht ohne Kritik geblieben. Die Pietisten sollten ihm mehr als ein Jahrhundert nach seinem Ableben vorwerfen, er habe nur eine Reform der Lehre bewirkt, nicht aber eine Reform des Lebens. Eine Kritik, die schon zu seinen Lebzeiten nicht verstummen wollte. „Bruder Sanftleben“ lies sich Thomas Müntzer vernehmen. Aber noch eine andere Tendenz gründete sich in späteren Zeiten auf den Reformator. Stilgerecht ist Luther mehrfach in der Deutschen Geschichte zum Nationalhelden aufgebaut worden. Das hatte besonders im Deutschen Kaiserreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wurzeln in den Boden getrieben, die dann nach dem Ersten Weltkrieg einen Baum emporwachsen ließen, der unheilvolle Früchte reifen lies. Luther gehört nicht in die Politik, sie ist ihm Wesensfremd geblieben, obwohl er auf diesem Felde nicht völlige Abstinenz geübt hat. Er hat sich geäußert ausführlich zur Frage des Zinsnehmens, ganz belanglos waren politische Entwicklungen nicht für ihn. Er konnte sich ihnen nicht entziehen, aber die sind für ihn immer zweitrangig geblieben. Jesus Christus und der Glaube an die Erlösung, die der Sohn Gottes für alle Menschen durch seinen Tod am Kreuz erwirkt hatte, die nicht nur für ein diesseitiges Leben Bestand hatte, das stand im Zentrum seiner Botschaft. Darauf und nur darauf ist das Werk Martin Luthers ausgerichtet, alles andere hat dahinter zurückzustehen. Und der Glaube, der Luther bewegt und angetrieben hat wie nur wenige in der Geschichte, kannte nicht das Taktieren, das für Politik und Diplomatie bestimmend ist. Seine Sprache war eine andere Sprache: „ Man muss in die Gassen und auf die Märkte gehen und zu den Bauern auf dem Felde und dem Volk aufs Maul schauen und hören wie sie reden und also schreiben.“ Das waren andere Grundsätze, und das Volk liebte „die Wittenbergisch Nachtigall“ wie der Schuhmacher und Poet, Hans Sachs(1494-1576), es ausdrückte, dem Richard Wagner(1813-1883) in „Den Meistersingern von Nürnberg“ ein Denkmal setzte und der Handwerkerzunft insgesamt, bis diese Liebe in Hass umschlug, und Luther sich gedrungen fühlte, zu „Herrn Omnes“(Herr Jedermann) auf Distanz zu gehen. „Otto Normalverbraucher“ wäre in der gegenwärtigen Zeit der gängige Ausdruck. Was hat zu diesem tragischen Bruch geführt? Wir müssen eintauchen in die Zeit, um das herauszufinden.

Luther wurde rasend, wenn Glaubensinhalte und politische Inhalte vermischt oder zu einer Identität geführt wurden. Der Nationalprotestantismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich dieser Linie verschrieben, indem er Glaubensinhalte zu national-politischen Inhalten umfunktionierte, und ist damit gescheitert. Luthers streben war jenseitsgerichtet. Deshalb ist er zu allen Zeiten missverstanden worden. Er glaubte, was in der Heiligen Schrift, der Bibel, zu lesen war, vorbehaltlos. Sola scriptura, sola fide, sola gratia (allein die Schrift, allein der Glaube, allein die Gnade). Davon wollte Luther nicht abweichen. Die gläubige Einfalt ist in der Geschichte oft ausgenutzt worden, von Herrschern und Herrschaftsformen, die sich als von „Gott begnadet“ ansahen und auch so angesehen werden wollten. Der Glaube an das Jenseitige sollte als Trost gelten für alle, die im Diesseits nichts zu erhoffen hatten. Das hat Karl Marx(1818- 1883) dann zu der Aussage verleitet: „Religion ist Opium für das Volk.“ Luther glaubte und fand in dem Glauben das, was Menschen oft vergeblich suchen. Der Zweck seiner Verkündigung war nicht darin zu suchen, Staatsraison zu bewirken. Sie war kein taktisches Kalkül, in dem Glaube und ethische Forderungen dazu dienen sollten Herrschaftsstrukturen zu etablieren und zu sichern. Das ist Luther, in den Zeiten, die nach ihm kamen, oft zum Vorwurf gemacht worden. Die Zwei- Reiche- Lehre, um die es hier inhaltlich geht, kann so nicht interpretiert werden. Sie trennt Politik und Gesellschaft in zwei „Reiche“: Das Reich des Glaubens und das Reich weltlicher Macht und Staatsmacht. Beide stehen isoliert für sich, sie überschneiden sich nicht einmal und sind erst recht nicht Deckungsgleich.

NavNext09
Leer-Feld 01
NavHome A12

Friedrich Engels(1820-1895) der gemeinsam mit Karl Marx auf die Soziale Frage eine Antwort suchte, wobei beide überzeugt waren, die Antwort gefunden zu haben, schildert uns das Zeitalter Martin Luthers, gestützt auf das Werk Wilhelm Zimmermanns: „ Der große Deutsche Bauernkrieg“. Friedrich Engels seine Darstellung ist ideologisch eingefärbt. Sie deckt sich dennoch mit vielen anderen Zustandsbeschreibungen, die so ideologisch nicht vorbelastet sind. Wissenschaftliche Akribie kann hier nicht erwartet werden, Wissenschaft ist sachlich, Ideologie weckt Leidenschaften, und die waren im Bauernkrieg entfesselt wie selten in der Geschichte. Das wird bei der Betrachtung seiner Schilderung zu berücksichtigen sein. Wie waren die Verhältnisse der Zeit? Sie waren durchweg schlecht und die Lasten, die breitesten Bevölkerungsschichten auferlegt wurden, waren drückend und der Druck steigerte sich. Wer Schilderungen aus der Zeit und über die Zeit liest, dem müssen diese Lasten unerträglich erscheinen. Wie waren die Verhältnisse in der Zeit, die Lebensbedingungen, die sozialen Schichtungen und die Produktionsverhältnisse, wie es der Marxismus formuliert hat?

Auch für die Produktionsverhältnisse und verbunden damit für die sozialen Schichtungen, war es eine Zeit im Umbruch und Aufbruch. Ein Umbruch und Aufbruch, der sich aus der geschichtlichen Entwicklung ergeben hatte. Im 14. und 15. Jahrhundert waren Ansätze zu einer industriellen Entwicklung erkennbar. Die ausschließlich feudale Grundlage, gestützt auf agrarwirtschaftliche Strukturen, hatte bis dahin unangefochten das Produktionswesen und die Gesellschaftsstrukturen bestimmt. Die Veränderungen brachten bis dahin bestimmende gesellschaftliche Privilegien ins Wanken. Der zünftige, städtische Gewerbebetrieb, der erste Ansätze einer wirkungsvolleren industriellen Fertigung bot, gewann die Oberhand über die feudal-ländliche Lokalindustrie. Der städtische Gewerbebetrieb produzierte weit mehr über den Eigenbedarf hinaus für breiter angelegte Märkte. Die Weberei grober Wollentücher und Leinwand weitete sich aus zu einem Industriezweig, der sich zunehmend ausbreitete. Für feinere Wollen- und Leinengewebe gestaltete sich Augsburg zu einem Zentrum. Die Stadt war nicht nur ein wichtiger Produktions- und Lagerplatz, der Weiterverarbeitung und Drehscheibe des Handels vor allem nach Norden, sondern erlangte auch als Finanzplatz eine Spitzenstellung durch das Kaufhaus der Fugger, und das nicht nur im Reich. Der Frühkapitalismus hielt Einzug in seiner ureigensten Form.

Eine Abwärtsbewegung erlebte die Hanse, die bis Ende des 15. Jahrhunderts den europäischen Handel dominierte. Im Zeitalter der Entdeckungen verwandelte sich das Zentrum Europas zu einer Randerscheinung. Die Anlieger der großen Meere gewannen im Seehandel die Oberhand. In England und Frankreich führte die Entwicklung zur politischen Zentralisation, in Deutschland zu partikularen Strukturen. Die Einheit des Reiches erlebte einen weitergehenden Auflösungsprozess. Statt einer reichseinheitlichen zentralen Anlaufstelle bildeten sich lokale Zentren, die der zentralen Reichsgewalt ablehnend gegenüber standen, wodurch die Position des Reiches weiter geschwächt wurde. Die lokalen Zentren wurden zu Zentren fürstlicher Gewalt, der sich Stände und Ritterschaften vermehrt und nicht ganz freiwillig unterordneten. Franz von Sickingens und Ulrich von Huttens verzweifelter Kampf, um diese Entwicklung aufzuhalten, rückt das besonders deutlich ins Licht. Der Kaiser als mögliche Zentralgewalt schied aus. Er beschränkte sich schließlich auf die Erweiterung seiner Hausmacht. Er wurde im Prinzip ein Fürst unter Fürsten. Kaiser Maximilian I. bezeichnet als der Letzte Ritter und das Haus Habsburg sicherten sich hier einen Vorsprung, in dem die Hausmacht beträchtlich erweitert wurde, nicht zuletzt durch günstige Heiratspartien. Bella gerant alii, tu, felix Austria nube!( andere mögen Kriege führen, Du, glückliches Österreich heirate), ein geflügeltes Wort das die Jahrhunderte überdauerte. Die Fürsten waren nahezu unabhängig vom Kaiser. Ihre Hoheitsrechte entzogen sich einer möglichen kaiserlichen Gewalt. Städte und der niedere Adel und gerade auch die reichsunmittelbaren Städte und die ebenso verfasste Reichsritterschaft gerieten unter die Botmäßigkeit fürstlicher Gewalt. Ihre Macht erhielt ein willkürliches Gepräge. Das Steuerbewilligungsrecht der Stände wurde ausgehöhlt. Luxuriöse Hofhaltungen verbreiteten sich und Söldnerarmeen verschlangen große Summen. Ritterschaft und Prälaten, obwohl zunehmend den fürstlichen Gewalten unterworfen, erfreuten sich der Steuerfreiheit. Die Städte kämpften um den Erhalt ihrer Privilegien. So fielen die Lasten und Steuerlasten auf die ganz große, breite Mehrheit der Bauern, Dominalbauern, der Leibeigenen, Hörigen und Zinsbauern der den Fürsten lehnspflichtigen Ritter. Die Bauern und die ihnen gleichgestellten Gesellschaftsschichten wurden die Lastenträger eines sich wandelnden Gesellschaftssystems, und das Gewicht dieser Lasten wurde nicht geringer, es steigerte sich. Dem niederen verarmten Adel gelang es in fürstliche militärische und bürgerliche Ämter unterzukommen. Rechtlichen Schutz für die ausgebeuteten Massen gab es nicht, weil das Rechtswesen käuflich und der herrschenden Macht unterworfen war. Eine weitere Veränderung der Lebensverhältnisse aller sozialen Schichten entstand durch die stetige Ausweitung der Geldwirtschaft, die mit der Ausweitung der Arbeitsteilung immer unentbehrlicher wurde. Es fungierte nicht nur als Tauschmittel, sondern wurde als Finanzmittel zu einem unentbehrlichen Machtfaktor. Reichsritter und der Kleinadel standen zur Geistlichkeit ablehnend bis feindlich , und es waren die materiellen Vorteile, die der Geistlichkeit zufielen, die den Anlass dazu gaben. Zölibat und Kirchenverfassungen sicherten dem Geistlichen Stand den Erhalt seiner Reichtümer und Privilegien. Der Geistlichkeit und ihr hierarchischer Aufbau wirkte nicht darauf hin Ungerechtigkeiten auf sozialer Ebene zu beseitigen, sie erwies sich eher als eine Stütze für ein auf Willkür gegründetes Herrschaftssystems mit all seinen offenkundig betriebenen Unterdrückungsmaßnahmen. Neben den weltlichen Reichen, den Kurfürstentümern, den Fürstentümern, Herzogtümern und Grafschaften gab es die Herrschaftsbereiche der Geistlichkeit, die sich namentlich unterschieden in Titel und Begründung des Machtanspruches von den Reichen dieser diesseitsgerichteten Welt. Eine zweiteilige gesellschaftliche Schichtung hatte der geistliche Zweig im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation herausgebildet. Es gab die Erzbischöfe, die Bischöfe, die Äbte, die Prioren und sonstigen Prälaten. Dem stand die plebejische Geistlichkeit gegenüber, Prediger, Landpfarrer der ländlichen, der Stadt- und Kleinstadtgemeinden. An den Schätzen, die von den Kirchenoberen mit Fleiß eingesammelt und eingetrieben wurden, hatte das geistliche Proletariat, so können wir es nennen, nur einen geringen Anteil.

Höchste Würdenträger der Kirche hatten Teil an der Machtverteilung im Reich, denn neben den vier weltlichen Kurfürsten, die nach der Goldenen Bulle von 1356 berechtigt waren den Kaiser zu wählen, traten drei Erzbischöfe hinzu, denen dieses Recht ebenso zustand. Somit waren sie den weltlichen Gewaltigen ebenbürtig. Es waren die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln.

Wie sah es aus im geistlich christlichen Herrschaftsbereich? Unterschieden sich die Lebensbedingungen der Leibeigenen und Hörigen und anderer Gesellschaftsschichten, die keine Privilegien in Anspruch nehmen konnten? Herrschte in den christlich benannten großen und kleineren Feudalreichen etwas vom Geist des Evangeliums? Übereinstimmende Berichte aus der Zeit belegen etwas, was düster und ungewöhnlich bedrückend wirken muss. Die Zustände in den Herrschaftsbereichen der Erzbistümer, Bistümer und Abteien waren so ausgestaltet, dass der Unterdrückungsmechanismus mit den damit verbundenen Abgabenlasten das Ausmaß, wie es von den weltlichen Gewalten Anwendung fand, noch übertraf.

Zu dem gab es einen zusätzlichen Schub, der die Ausnutzung derer, die ohnehin schon mit unerträglichen Lasten hantieren mussten, noch steigerte. Es war Erpressung in religiösem Gewand. Machtmittel in religiöser Verkleidung kamen zur Anwendung, um den letzten Pfennig, wie es in einem Gedicht von Heinrich Heine(1797- 1856) ausgedrückt wird, zu erpressen. Frömmigkeit und gläubige Einfalt, tief verwurzelt im Kirchenvolk, ergaben die Möglichkeiten. Beichtstuhl, Heiligenbilder, Reliquien und Walfahrtsorte, die zu besuchen zu einer heimlichen Pflicht gemacht wurde. Alle Geschäftigkeiten und sakralen Handlungen gingen einher mit dem Versprechen, sie dienten dazu das Leben im Jenseits besonders herrlich zu gestalten.

Eine herausragende Stellung kam dem Ablasshandel zu. Er erwies sich als besonders einträglich.

Die niedere Geistlichkeit hatte an all diesen Pfründen keinen Anteil. Die vielen Prediger der unterschiedlichen Gemeinden fristeten ein bescheidendes Dasein an der Seite der Armut, die breitesten Bevölkerungsschichten auferlegt war. Einer Armut, aus der es trotz härtester Schinderei kaum ein Entrinnen gab.

Die Vertreter der niederen Geistlichkeit waren ein wenig besser gestellt, sie bewahrten eine Nähe und Sympathie zum Kirchenvolk, das sie im Sinne einer wohl verstandenen Frömmigkeit zu betreuen hatten. Sie näherten sich dem Volk aber nicht zu nahe, denn das hätte sie in den Gegensatz zu ihren Dienstherren, der geistlichen Hierarchie gebracht.

An der Spitze der weltlichen Macht, über Fürsten und Adel, stand der Kaiser, an der Spitze des hohen und niederen Klerus’, der Papst. Beide Institutionen hatten, begründet durch die Auseinandersetzungen im Mittelalter, stark an Einfluss eingebüßt. Ein Höhepunkt des Kräftemessens war der Gang Kaiser Heinrich IV. nach Canossa 1077, eine weitere Zuspitzung erreichte der Machtkampf zwischen dem Stauferkaiser Friedrich II.( 1194-1250) und Papst Innozenz IV.(1243-1254). Mit diesem Kaiser aus dem Geschlecht von Hohenstaufen erlosch der Anspruch, der bis dahin mit dem mittelalterlichen Kaisertum in Verbindung gebracht wurde. Der universale Staatsgedanke trat zurück, nationale Eigenständigkeit und Interessenspolitik traten in den Vordergrund. England und Frankreich erstarkten in dieser Entwicklung. Beide Mächte setzten dem päpstlichen Ansprüchen erfolgreich Widerstand entgegen. Das Reich und mit ihm der Kaiser zerfielen in Partikularinteressen, und dieses Reich wurde im Zuge der Reformation konfessionell noch einmal geteilt.

Themen

NavPrev14NavHome A13NavNext15

Verantwortlich für den Inhalt der Seiten,Copyright © 2003-2005: Heinz Drews