Martin Luther und die Medien September 2007
Die Reformation Martin Luthers war nicht nur ein
Bestreben zur Erneuerung der Kirche und des damit verbundenen christlichen
Glaubens, von dem die Gesellschaft der Zeit, vielfach unbewusst, weit
abgewichen war. Diese Reformation war auch ein Medienereignis und ihr Star
eben Martin Luther. Selbst das Hochtechnologiezeitalter, mit seinen
Informationsmöglichkeiten rund um den Globus wie das Internet, hat der
Geschwindigkeit nichts Vergleichbares entgegenzusetzen, mit welcher in der
Reformationszeit, beginnend im Jahr 1517, der Informationsfluss Ausbreitung
fand.
Die Schlagkraft des reformatorischen Gedankens ist in der
Geschwindigkeit seiner Ausbreitung zu suchen. Dieser Gedanke stieß auf eine
Gesellschaft, die dem Ereignis erwartungsvoll entgegengesehen hatte, ohne
zuvor genaue Vorstellungen zu besitzen. Der Boden war also bereitet, und die
Saat konnte gelegt werden. Die Drucktechnik war zu dem Zeitpunkt gerade ein
gutes halbes Jahrhundert alt, und der Anteil der Bevölkerung, die des Lesens
und des Schreibens unkundig war, überwog. Ein solcher Bildungsgrad war nur
wenigen vergönnt. Dennoch, so schnell und so durchschlagend will es im
Hochtechnologiezeitalter nicht gelingen, wie es im „finsteren" Mittelalter
gelungen ist. Dafür gibt es Gründe, die den Anreiz bieten zu einer
Untersuchung. Die Hindernisse, die sich diesbezüglich auftürmen, gab es auch
schon zu Martin Luthers Zeiten, und sie zu überwinden war nicht leichter als
heute, eher schwieriger. Zu der Zeit wurde für unliebsame Zeitgenossen schon
mal ein Scheiterhaufen angezündet.
In unserer Zeit, im Jahre 2007, gibt es die
verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit und eine Flut von
Meinungen und Informationen, die alles unter sich begraben. Aber der
mächtige Strom, der hier fließt, wird gesteuert. Er fließt in einem Bett,
das bereitet und ausgehoben ist. Das ursprünglich natürliche findet in
diesem System nicht statt. Milliardenschwere Individuen und Konzerne haben
ganze Arbeit geleistet. Die Kraft, die der Strom bieten könnte, ist
sorgfältig gelenkt und abgeschöpft worden. Joachim Fest, bekannter Publizist
und Hitlerbiograph, erklärte kurz vor seinem Tode sinngemäß in einem
Fernsehinterview, Staatsmänner wie Adenauer oder Bismarck könnten in einer
von den Medien beherrschten politischen Landschaft nicht gedeihen und ihre
Fähigkeiten entwickeln. Es soll hier keinem Missverständnis der Weg geebnet
werden. Presseorgane benötigen Kapital, damit sie gute Informationsarbeit
leisten können. Kapital ist nicht böse. Böse ist Kapital erst dann, wenn es
von bösen Menschen böse gesteuert wird.
Das Medienzeitalter begann Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts mit der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes
Gutenberg. Gleich am Beginn dieses Zeitalters hat der Frühkapitalismus
zugeschlagen. Gutenberg musste zusehen, wie die Früchte seiner Arbeit und
seines Erfindergeistes in die Hände seines Kapitalgebers Johann Fust
gelangten, nachdem Gutenberg die finanziellen Mittel ausgegangen waren, und
er das begonnene Werk nicht vollenden konnte.
Der Stil Martin Luthers lässt deutlich scharfe Konturen
erkennen, er war nicht intellektuell verschwommen oder demagogisch und
dennoch tiefschürfend, und bot so die Voraussetzung für eine Breitenwirkung.
Die Botschaft war kraftvoll und durchdringend. Die geistige Flut und die
Strömung konnten sich fruchtbringend in das Land ergießen. Martin Luther hat
nach eigenen Worten „dem Volk auf’s Maul geschaut", aber nicht dem Volk nach
dem Munde geredet.
Anders Philipp Melanchton, er hat die Reformation
intellektuell verarbeitet, und für die Reformation ein theologisches -
wissenschaftliches Fundament geschaffen. Selten haben sich zwei
Persönlichkeiten in der Geschichte gegenseitig so ergänzt für ein
gemeinsames Ziel. Melanchton wirkte mäßigend gegenüber dem Stil Martin
Luthers, der zeitweise radikal anmutet. Melanchton, auf sich allein
gestellt, hätte der Reformation nicht zum Durchbruch verhelfen können.
Er hätte allenfalls die theologisch- philosophische
Wissenschaft um ein weiteres Werk bereichert, zugänglich nur für einen
kleinen Kreis wissenschaftlich gebildeter Hochschulabsolventen. Das allein
reicht nicht.
Martin Luthers Auftritt war umwälzend. Die Umwälzung war
bahnbrechend, sie veränderte bleibend den Lauf der Geschichte. Aus
heilsgeschichtlicher Sicht, so hat es der Mitbegründer der pietistischen
Bewegung in Preußen, Philipp Jakob Spener, sinngemäß ausgedrückt, war es das
größte Ereignis seit den Tagen der Apostel, die den Beginn der Ausbreitung
des christlichen Glaubens markierte.
Der Auftritt Martin Luthers begegnete einer tief
empfundenen Sehsucht nach Veränderung, die alle Gesellschaftsschichten der
Zeit erfasst hatte. Diese zwei Komponenten bildeten die kritische Menge, die
durch die Medien aufeinander geschossen, zur Explosion gebracht wurden. Zwar
gab es noch keine Zeitungen, aber die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte
in großem Umfang die Verbreitung von Büchern. Vor allem aber gab es
Flugblätter, mit denen schnell und umfassend Informationen verbreitet werden
konnten.
Die Notwendigkeit einer Kirchenreform, einer „Reform an
Haupt und Gliedern" war in der katholischen Kirche schon lange vor Martin
Luther erkannt worden, über Willensbekundungen aber nicht hinaus gekommen.
Die Reformation Martin Luthers spaltete die Kirche, eine Spaltung, die bis
heute nicht überwunden ist. Als ein unüberwindliches Hindernis ist der
Primat des Papstes und das unterschiedliche Amtsverständnis der zwei großen
christlichen Konfessionen anzusehen. Die katholische Kirche unterscheidet
zwischen Amtsträgern und Laien. Luther hatte das allgemeine Priestertum
aller Gläubigen dagegen gesetzt. Ein theologischer Sozialismus geradezu, der
den Protestantismus in viele größere und kleinere Kirchen auseinander
dividiert hat.
Bis zur Französischen Revolution hatten beide
Konfessionen in ihrem Herrschaftsbereich sich eine gesellschaftliche
Herrschafts- und Monopolstellung bewahrt, dem Bündnis von Thron und Altar,
die zum Absolutismus führte, der sich auf ein von Gott verliehenes
Herrschaftsrecht berief. Einen Anstoß zum Obrigkeitsstaat schuf der
Augsburger Religionsfriede 1555. Protestanten und Katholiken einigten sich
auf die Formel: Cuius regio- eijus religio(wessen das Land- dessen der
Glaube). Der „Landesherr" konnte demzufolge über den Glauben seiner
„Untertanen" verfügen. Wer sich nicht fügen wollte musste in vielen Fällen
das Land und seine Heimstadt verlassen. Es kam so vielfach zu
konfessionellen Vertreibungen. Der brandenburgische Kurfürst Johann
Sigismund verzichtete 1613 auf dieses landesherrliche Privileg, als 1613 vom
lutherischen zum reformierten Glauben überwechselte. Die Französische
Revolution, mit der Aufklärung als geistiger Grundlage, gab den Anstoß zu
politischen Reformen, verbunden mit Bestrebungen, den christlichen Glauben
und seine Kirchen davon auszuschließen. Ein Bemühen, das ebenfalls bis in
die politische Gegenwart erkennbar ist.
Wenn die Verkündigung der christlichen Botschaft, der
Botschaft des Evangeliums, an Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit
einbüßte, führte das in der Geschichte zu einem Prozess der Säkularisierung.
Die ständig wiederkehrenden Machtkämpfe zwischen Kaiser
und Papst, die oft auch zu kriegerischen Verwicklungen führten, hatten nicht
nur zum Niedergang der universellen Kaiseridee geführt, sie hatten auch die
Glaubwürdigkeit der Kirche und somit der christlichen Botschaft
beeinträchtigt. Was zu einer allgemeinen Abkehr führte. Noch einmal hatten
die Kaiser Friedrich I.(1152-1190) und Friedrich II.(1215-1250) aus dem
Geschlecht der Hohenstaufen und Papst Innozenz III.(1198-1216) kaiserliche
und päpstliche Höhepunkte der Machtentfaltung gesetzt. Danach begann der
Niedergang.. Die Entwicklung zehrte an der päpstlichen Autorität, von 1302
bis 1377 residierten die Päpste im französischen Avignon in völliger
Abhängigkeit vom französischen König. Das Ereignis ist in der Geschichte als
die „Babylonische Gefangenschaft der Kirche" bezeichnet worden.
Von 1254-1273 dauerte das Interregnum, die „kaiserlose,
die schreckliche Zeit". Es war die Zeit eines Doppelkönigtums. 1257 wurde
Alfons der Weise, König von Kastilien und Spanier zum Deutschen König
gewählt. Im gleichen Jahr wurde Richard von Cornwall, Sohn des englischen
Königs Johann ohne Land(1199-1216), ebenfalls zum Deutschen König gewählt.
Beide konnten den Verfall der königlichen und kaiserlichen Reichsgewalt
nicht aufhalten.
Wenn auch die Geschichte dem Interregnum keine gute Note
erteilt, so enthält diese Zeit doch etwas sehr Bedeutsames: Das deutsche
Königtum des Mittelalters, aus dem nach päpstlichem Segen der Kaiser
hervorging, war ein Wahlkönigtum und nicht auf eine dynastische Erbfolge
gegründet. Die Wahl eines Spaniers und eines Engländers zum deutschen König
lässt das universelle und nicht das nationale Prinzip der Kaiseridee
hervortreten.
Kaiser Karl V., der 1519 von den Fürsten zum Deutschen
Kaiser gewählt wurde, fühlte sich weit eher als Spanier und nicht als
Deutscher. An seinem Hof, so hatte er verfügt, musste spanisch gesprochen
werden, was vielen „spanisch" vorkam.
Das dynastische und nicht das nationale Element stand im
Vordergrund. Dieser Grundsatz hat sich in der europäischen Geschichte
erhalten bis zum Wiener Kongress 1815 und noch danach.
Kriege und Grenzverschiebungen hatten dynastische
Interessen und nicht nationale Interessen als Grundlage. Der auf dem Wiener
Kongress 1815 von den europäischen Mächten ausgehandelte Friede war ein
dynastischer Friede. Dieser Friede hat länger gehalten als der von
parlamentarischen Demokratien 1919 ausgehandelte Friede von Paris. Dieser
Friede hat kaum zwanzig Jahre gehalten, und Europa in die größte Katastrophe
seiner Geschichte geführt.
Zurück ins Mittelalter! Nach dem Ende der päpstlichen
Herrschaft in Avignon 1378 ereignete sich das Abendländische Schisma, in dem
sich zeitweise drei Päpste bekriegten und den Kirchenbann übereinander
aussprachen. Es fand 1417 auf dem Konzil zu Konstanz ein Ende, auf dem auch
Johann Hus verurteilt wurde und auf dem Scheiterhaufen endete.
Es schloss sich die Zeit der Renaissance an, die
gemeinhin auf den Zeitraum von 1420 bis 1520 festgelegt ist. Die
Kunstepochen unterscheiden sich in Früh- Hoch- und Spätrenaissance, die zum
Jahr 1600 andauerte. Sie folgte der Bau- und Kunstepoche der Gotik in dem
Zeitraum von Mitte des 12. Jahrhunderts bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts.
Gotik ist abgeleitet von dem italienischen Wort „ il
gotico", was übersetzt „barbarisch" heißt. Mit der Renaissance sollte die
„barbarische Zäsur" der Germanen beendet und angeknüpft werden an die Zeit
der Antike, die Tausend Jahre zurückliegend ein Ende gefunden hatte. Das
Jahr 476 markiert das Ende des Weströmischen Reiches.
Es wäre aber nicht gerechtfertigt die Renaissance als
eine ausschließlich rückwärtsgewandte geistige Strömung zu betrachten. Sie
war verknüpft mit dem Wiedererwachen von Wissenschaft und Literatur der
Antike, und führte zum Fortschritt in den Wissenschaften und zur Begründung
der modernen Naturwissenschaften. Die Gegensätze zwischen Theologie und
Naturwissenschaft nahm in der Zeit ihren Anfang und hat sich bis in die
Gegenwart hingezogen. Oft haben sich beide Seiten in Bereiche eingemischt,
ohne die nötige Kompetenz zu besitzen. Das gilt für Vertreter der Theologie
genauso wie für Vertreter der Naturwissenschaft.
In der Gegenwart sind es protestantische Kreise, die auf
sich aufmerksam machen in dem Streit um die Lehre der Evolution. Da sind
merkwürdige Thesen zum Vorschein gekommen. So die Behauptung, es habe in dem
Zeitraum vor 6000 Jahren keine Menschen auf der Erde gegeben. Das erinnert
ein wenig an mittelalterliche Zustände. Es gibt allerdings keine Kultur mit
allem, was den Menschen als Menschen auszeichnet, die älter ist als 6000
Jahre. Dazu gehören die wissenschaftlichen Leistungen der Antike. Wir denken
an die Cheopspyramide, an die Erfindung der Schrift, an Mathematik. Ohne
hervorragende Erkenntnisse in der Mathematik wären die Monumentalbauten der
Antike nicht möglich gewesen.
Für alle Wissenschaften auch für die
Geisteswissenschaften der Philosophie und Literatur ist in dem Zeitraum der
Antike das Fundament gelegt worden, auf dem spätere Jahrtausende aufgebaut
haben. Israel und seine Geschichte brachte den Monotheismus, aus dem
Christentum und Islam hervorgegangen sind.
Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit Adam und schreibt
das Jahr 5767. Adam ist das hebräische Wort für Mensch. Der Name steht
symbolhaft für die Menschheit. Es gab vor Adam schon Menschen auf der Erde,
nur Adam unterschied sich dadurch, weil ihm der Odem Gottes eingegeben
wurde. Evolutionslehre und die damit verbundenen wissenschaftlichen
Erkenntnisse und der Schöpfungsbericht der Bibel schließen einander nicht
aus, sie ergänzen und bestätigen einander. Die Frage nach der Entstehung des
Universums ist hiervon unberührt, ob durch eine Schöpfermacht ins Dasein
gerufen oder ob es einfach als Zufallsprodukt dasteht.
Der christliche Apologet Lactantius(250-320), der
entscheidend den Lebensweg Kaiser Konstantins(306-337) beeinflusst und so
für das Christentum den Weg bereitet hat zur Staatsreligion des Römischen
Reiches, setzt sich in seinen Büchern mit der Lehre des griechischen
Philosophen Epikur auseinander.
Epikur hatte eine ganz eigene Theorie begründet.
Demzufolge hätten Atome sich wahllos im Weltraum bewegt, und sich dann
jeweils passend ineinander gehakt. Eine geistige Leitung, die vorausschauend
ordnet und schafft ist in dieser Theorie nicht vorgesehen. Lactantius
unternimmt es natürlich, das zu widerlegen. Wie kann etwas entstehen ohne
eine geistig ordnende Schöpfermacht? Diese Frage lässt sich nicht umgehen.
Wie kann der Mensch etwas schaffen, ohne den geistigen Ursprung in seiner
Gedankenwelt? Es müssen also die Atome, die sich da im Universum bewegen,
ohne Sinn und Ziel, sich ein passendes gegenüber gesucht und so zu einander
gefunden haben. Zwei Möglichkeiten gibt es: Entweder nach dem Zufallsprinzip
oder durch eine ordnende lenkende geistige Schöpfermacht. Woher wussten die
Atome eigentlich zu wem sie passend gehörten und zu wem nicht?
Die Renaissance brachte den Humanismus als vorherrschende
geistige Strömung. Der Mensch war in ihr das Maß aller Dinge. Der Gott, wie
ihn die Kirche der Zeit vermittelte, hatte alle Anziehungskraft verloren.
Das wurde anders mit der Reformation Martin Luthers. Ein großes
Missverständnis um das Wirken und die Lehre Martin Luthers bedarf der
Korrektur. Der Mensch brauche nur auf einen gnädigen Gott hoffen, und könne
ansonsten unbekümmert sein Dasein genießen, so ist Luthers Theologie nicht
selten interpretiert worden. Wäre dem so, dann wäre Luther dem sittlichen
Verfall der Zeit nicht so entschlossen entgegengetreten.
Die Orgien mancher Renaissancepäpste hatten berüchtigte
Berühmtheit erlangt.
Die Glaubenskriege, die im 16. und 17. Jahrhundert Europa
heimsuchten mit Exzessen der Grausamkeit im Namen des christlichen Glaubens,
hatten tief begründete Zweifel genährt am Sinn der christlichen Botschaft.
Hinzu kam der Absolutismus, der sich auf dem europäischen Kontinent als
Herrschaftsform durchsetze. Anders verlief die Entwicklung im
angelsächsischen Herrschaftsbereich. Politiker mussten hier ihre
staatsmännischen Fähigkeiten vor einem Parlament beweisen, was auch
erzieherische Wirkung hatte. Es gingen daraus Staatsmänner hervor, anders
geartet als auf dem Kontinent.
Der Absolutismus war unvernünftig, auch nach christlichem
Verständnis war er unvernünftig, weil er seine Herrschaftslegitimation auf
eine von Gott verliehene Gnade und Berufung zurückführte. Allein die
Prunkentfaltung und die Willkür absolutistischer Herrscher standen zu diesem
Legitimitätsanspruch im Gegensatz.
Dieser Unvernunft stellte die Aufklärung, die sich durch
Literatur besonders im 18. Jahrhundert bemerkbar machte, die Vernunft
entgegen. Verfassungsstaat und Menschenrechte waren die Kernforderungen, um
die unumschränkte Macht des absolutistischen monarchistischen
Alleinherrschers einzuschränken oder auch ganz zu beseitigen. Die
Entwicklung in England erfüllte dazu eine Vorbildfunktion.
Hatte der Humanismus noch die völlige Abkehr vom
Christentum und der Kirche vermieden, und sich einem Synkretismus zugewandt
und so die Vereinbarkeit und Gemeinsamkeit von Christentum und klassischer
Philosophie zu beweisen versucht, wie Erasmus von Rotterdam in seinem Werk
„Lob der Torheit", vollzog die Aufklärung eine radikalere Abkehr vom
christlichen Glauben und der Kirche.
Den Kirchen verschiedener Konfessionen gelang es nicht
auf die sich abzeichnenden politischen Strömungen, die 1789 zur
Französischen Revolution führten, Einfluss zu nehmen. Der Missbrauch, den
der Absolutismus mit den christlichen Wertvorstellungen betrieben hatte, war
nicht ohne Wirkung geblieben.
Eine andere Entwicklung hatte ihren Verlauf in Preußen
genommen. Hier gelang es dem Pietismus, sich zu verbreiten und Einfluss zu
gewinnen. Pietisten hatten die Reformation Martin Luthers als unzulänglich
angesehen. Er habe, so die Kritik, nur eine Reform der Lehre bewirkt, nicht
aber eine Reform des Lebens. Pietisten wurden aus dem Westen Deutschlands
und sogar aus Sachsen, dem einstigen protestantischen Kernland, vertrieben
und fanden Aufnahme in Preußen. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter war
August Hermann Franke, dem Begründer der Halleschen Waisenhäuser, die zu
einer vorbildlichen Bildungseinrichtung wurden, und über die Grenzen
Preußens hinaus Aufmerksamkeit erregten. Auch der russische Zar Peter der
Große schickte eine Abordnung nach Halle, um sich ein Bild zu verschaffen.
August Hermann Franke gelangte an den Hof des preußischen Königs Friedrich
Wilhelm I(1713-1740) und hielt dort Andachten.
Sein Einfluss hat den preußischen König bewogen, 1717 mit
der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Preußen zu beginnen.
Behauptungen, die allgemeine Schulpflicht sei in Preußen eingeführt worden,
um preußische Rekruten in die Lage zu versetzen, die Gebrauchsanweisung für
das Zündnadelgewehr zu lesen, sind grober Unsinn.
Das Zündnadelgewehr wurde in den sechziger Jahren des 19.
Jahrhunderts in der preußischen Armee eingeführt.
Der Sohn und Nachfolger Friedrich II. (1740-1786) hatte
wenig Sinn für die frommen Neigungen seines Vaters und missachtete auch den
Rat, den dieser in seinem politischen Testament von 1722 gegeben hatte, nie
einen Krieg zu beginnen, weil das ein Strafgericht Gottes nach sich zöge.
Als der Kavalleriegeneral Hans Joachim von Ziethen, der
sich in vielen Schlachten bewährt hatte, verspätet zur königlichen Tafel
erschien, und sich entschuldigte, er habe den Gottesdienst nicht versäumen
wollen, fragte ihn der König: „Na hat Er den Leib des Herrn gut verdaut?"
Friedrich II. lebte wie ein Franzose, umgab sich mit Franzosen, las, sprach
und schrieb französisch und vertiefte sich in die Aufklärungsliteratur. Für
die verschiedenen christlichen Konfessionen hatte er die Losung ausgegeben:
„Hier muss ein jeder nach seiner Facon selig werden." Friedrich der Große
hat eine kirchenfeindliche Politik aber sorgfältig vermieden.
Der Aufklärung fühlte er sich verpflichtet, aber als
absoluter Monarch, nicht in einer Hinwendung zum demokratischen
Verfassungsstaat. Im Sinne der Aufklärung wollte er den Staat reformieren
und zu einem Rechtsstaat umgestalten.
Eine pietistische Linie zieht sich durch die preußische
Geschichte, die auch Otto von Bismarck erfasste. Er geriet unter den
Einfluss pietistischer Kreise in Pommern, denen auch seine Frau Johanna von
Puttkamer entstammte. Sie ist öffentlich nicht sonderlich in Erscheinung
getreten, hat aber großen Einfluss auf Bismarck ausgeübt. Der Briefwechsel
zwischen beiden ist ein Stück Literatur, das Beachtung verdient.
Behauptungen, Bismarck habe seine christliche Überzeugung nur vorgetäuscht
aus Gründen der Staatsraison oder um seiner Frau zu gefallen, sind nicht
gerechtfertigt.
Das 19. Jahrhundert brachte aber im protestantischen Raum
in Deutschland eine theologische Strömung mit der Bezeichnung
„Kulturprotestantismus". Eine Strömung, die sich im 20. Jahrhundert
fortsetzte. Der Kulturprotestantismus führte die Evangeliumsbotschaft in
nationales und politisches Fahrwasser. Darüber hinaus hatte der Fortschritt
in den Naturwissenschaften eine liberale Theologie genährt und zum
Durchbruch verholfen, womit ein Verlust an Glaubenssubstanz einherging.
Die Evangeliumsbotschaft ist keine nationale Botschaft,
sondern eine universelle Botschaft, vor allem aber ist diese Botschaft keine
politische Botschaft. Wer als Christ politisch aktiv ist,
kann das nur auf ethischer Grundlage im Sinne der
ethischen Prinzipien des christlichen Glaubens, nicht aber auf dogmatischer
Grundlage. An einem Beispiel lässt sich das verdeutlichen: Der
Versöhnungsbegriff in seiner theologisch-dogmatischen Bedeutung, in der
Jesus Christus durch seinen Tod am Kreuz die gefallene Schöpfung erlöst und
mit Gott versöhnt hat, gehört nicht in die Politik. In seiner ethischen
Bedeutung kann und soll der Versöhnungsbegriff in der Politik Anwendung
finden..
Den Anstoß zur Verwirklichung des demokratischen
Verfassungsstaates gaben die Amerikanische Revolution, hervorgegangen aus
dem Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht England, und die
Französische Revolution. Mit der Französischen Revolution hat es noch eine
andere Bewandtnis, sie war auch ein Klassenkampf, wie Karl Marx ganz richtig
festgestellt hat. Das Bürgertum fühlte sich zu Recht zurückgesetzt und
wollte eine gerechte Teilhabe an der Macht in Politik und Gesellschaft, wenn
es nicht sogar beabsichtigte alle Macht an sich zu reißen.
Das Bürgertum, der Dritte Stand, hatte sich am 17. Juni
1789 in Paris zur Nationalversammlung konstituiert, und sich drei Tage
später im „Ballhausschwur" das Versprechen gegeben, nicht auseinander zu
gehen, bis eine Verfassung in Kraft sei. Am 26. August 1789 wurden die 17.
Artikel der Menschenrechte deklariert.
Der Weg zum demokratischen Verfassungsstaat war
beschritten, aber das Ziel damit noch nicht erreicht. Das Ziel wird immer
sein, die Ausbreitung eines Machtmonopols, sei es das Machtmonopol einer
Gesellschaftsschicht, einer Religion, einer Konfession, einer Nationalität
oder einer Ideologie zu unterbinden. An seine Stelle tritt der freie Dialog,
der eine freie Entscheidung ermöglicht.
Als besonders wichtiger Baustein, der in das Fundament
zum demokratischen Verfassungsstaat eingefügt wurde, gilt das Werk des
französischen Rechts- und Staatsphilosophen Charles de Montesquieu (1689-
1755): De l’esprit des lois( Vom Geist der Gesetze) aus welchem er die Idee
von der Gewaltenteilung von Staat und Gesellschaft in Exekutive, Legislative
und Judikative ableitete. Tugend und Ehre finden in seinem literarischen
Werk ihren Niederschlag. Die historische Erfahrung hat es oft gezeigt, dass
der demokratische Verfassungsstaat auf Tugenden und ethische Maßstäbe nicht
verzichten kann.
In Deutschland hatte die Aufklärung ausgehend von der
französischen Aufklärungsliteratur Anklang gefunden. Immanuel Kant
(1724-1804) sprach von der selbstverschuldeten Unmündigkeit des Menschen,
aus der er heraustreten müsse. Die Wucht der Reformation Martin Luthers
hatte ihren prägenden Einfluss im protestantischen Raum durch die Aufklärung
nicht gänzlich eingebüßt. Eine Abkehr vom christlichen Glauben wurde nicht
vollzogen. Wir haben das Wissen geschaffen, um den Glauben Platz zu machen,
so ließ sich Immanuel Kant vernehmen. Der Gegensatz zwischen Aufklärung und
den christlichen Kirchen vollzog sich in der entscheidenden Phase auf
gesellschaftspolitischem, nicht auf naturwissenschaftlichem Gebiet.
Giordano Bruno(1548-1600) hatte in seinem Werk die
Trennung von Theologie und Philosophie vollzogen und verkündet, das
Universum sei unendlich, und die durch Jesus Christus verheißene Erlösung
der Schöpfung sei unnötig. Damit hatte er die Existenzberechtigung der
Kirche und des mit ihr verbundenen Glaubens überhaupt in Frage gestellt.
Ein solcher Angriff auf die Kirche rechtfertigt nicht
Folter und Scheiterhaufen. Es wird immer Irrtümer geben, theologische,
philosophische und naturwissenschaftliche. Sie können in einem
demokratischen Verfassungsstaat durch Dialog und Überzeugungskraft ein Ende
finden, und die nötige Einsicht vermitteln.
Für das Reich des Glaubens heißt es in dem Brief des
Apostels Paulus an die Christengemeinde in Rom, im christlichen Kanon der
Heiligen Schrift: Kapitel 12 Vers 9 und 10 sowie in dem 3. Buch Mose:
Kapitel 19 Vers 18, im hebräischen Kanon der Heiligen Schrift: „Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts
Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung". Das umfangreiche Gesetz
des Mose, das große Teile des hebräischen Kanons der Heiligen Schrift
ausfüllt, wird hier in einem Satz zusammengefasst.
Was für das Reich des Glaubens gilt, hat auch Gültigkeit
für das Reich der Vernunft. Immanuel Kant hat es ebenfalls in einem Satz
zusammengefasst:: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit,
zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."
Beide Reiche können ohne diese Grundsätze keinen Bestand
haben.
Immanuel Kant hat in seiner Schrift zum ewigen Frieden
ein Weltbürgerrecht gefordert, darüber hinaus hat er sich dafür verwandt
eine Weltordnung zu schaffen, wie sie mit der Gründung des Völkerbundes nach
dem Ersten Weltkrieg und mit der Gründung der Vereinten Nationen nach dem
Zweiten Weltkrieg nach Verwirklichung trachtet.
Nach dem Ballhausschwur und der Verkündung der
Menschenrechte folgte in der Französischen Revolution ein Blutrausch mit
Schreckensherrschaften die einander ablösten. Die Guillotine wurde erfunden,
um das Töten in Serie bewerkstelligen zu können. Schließlich ging aus ihr
Napoleon hervor. Er eilte in Europa fünfzehn Jahre von einem Schlachtfeld
zum anderen. Er hatte noch als Konsul der Republik mit guten Vorsetzen
begonnen, mit einem fortschrittlichen Gesetzeswerk: Dem „Code Napoleon", mit
dem absolutistische Willkür durch gesetzliche Normen ein Ende bereitet
werden sollte. Kein Herrscher seit Karl dem Großen(772-814) hatte in Europa
eine solche Machtfülle in sich vereinigen können, wie es Kaiser Napoleon I.
gelungen war. Keiner wäre berufener gewesen als er, den universellen
Kaisergedanken des Mittealters zu erneuern. Diesen Weg ist Napoleon nicht
gegangen. Er wollte ein zentralistisch gelenktes französisches und
französisch dominiertes Europa. Als er am 2. Dezember 1804 sich als Kaiser
und der Kaiserin Josephine die Krone aufsetzte, durfte der Papst
interessiert oder auch uninteressiert als Zuschauer mitwirken. Danach hat
Napoleon einen Nepotismus ohne gleichen betrieben, und vier seiner Brüder in
verschieden Regionen
Europas inthronisiert. Europa sollte so auch zu einem
napoleonischen Familienunternehmen umgestaltet werden. Napoleon I. hat damit
jenen Nationalismus ausgelöst, der für Europa Verhängnis und Unheil brachte.
Es darf hier kein Missverständnis entstehen, es wäre ungerecht Napoleon mit
Hitler auf eine Stufe zu stellen, dazu waren beide in ihrer Persönlichkeit
und ihren politischen Zielsetzungen zu unterschiedlich.
1871 entstand das Zweite Deutsche Kaiserreich unter der
staatsmännischen Leitung Otto von Bismarcks. Dieses Reich war keine
Fortsetzung oder Neuauflage der mittelalterlichen universellen Kaiseridee.
Das Zweite Deutsche Kaiserreich war ein Nationalstaat, als solcher gedacht
und auch empfunden. Es war protestantisch geprägt, weshalb Bismarck im
Kulturkampf mit der Katholischen Kirche im Reichstag verkündete: „Nach
Canossa gehen wir nicht." Lord- Protektor von England, Oliver
Cromwell(1653-1658), .war an den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von
Brandenburg-Preußen(1640-1688) herangetreten mit dem Vorschlag, ein
protestantisches Gegenstück zur Katholischen Kirche zu schaffen, das sich
nur dogmatisch aber nicht organisatorisch unterscheiden sollte. Friedrich
Wilhelm war durchdrungen vom reformatorisch-protestantischem Glauben, und
damit auf einer Linie mit Oliver Cromwell, aber soweit wollte er nicht
gehen, und die Reichseinheit, die zwar nur noch als Fiktion dastand, opfern.
So blieb das Reich konfessionell geteilt.
Der Gedanke zur straffen Organisation der Katholischen
Kirche ein protestantisches Gegenstück zu schaffen, war nie ganz erloschen.
Als 1905 der Berliner Dom eingeweiht wurde, sollte er dem Petersdom in Rom
nachempfunden werden. Das gelang nur unvollkommen, der Berliner Dom blieb
ein Petersdomverschnitt.
Vor der neu errichteten Kaiserpfalz in Goslar im Harz
stehen die Reiterstandbilder des ersten Kaisers des Zweiten Deutschen
Kaiserreiches, Kaiser Wilhelm I. (1871- 1888), und Kaiser Friedrich I.
(1152- 1190) einträchtig nebeneinander. Der Eindruck könnte entstehen, es
sei hier an eine Verbindung zum Ersten Deutschen Kaiserreich gedacht
gewesen. Ein solches Vorhaben hätte sich nicht verwirklichen lassen.
Eine Politik, die auf die Wiederherstellung des
universellen Reichsgedankens abzielte, wollte Kaiser Karl V. (
1519-1556)verwirklichen.
Die Wahl Kaiser Karls V. zum Deutschen Kaiser war nicht
das Ergebnis einer selbstverständlichen Entwicklung. Um die Wahl hatte sich
auch der französische König
Franz I. (1515-1547) beworben. Schwankende,
wahlberechtigte deutsche Kurfürsten wurden durch Geldzuwendungen für die
Jakob II. der Reiche(1459-1525) aus dem Kaufmannsgeschlecht der Fugger
aufkam, stabilisiert. So entschied das große Geld gegen König Franz I. Die
Fugger waren durch Bankgeschäfte, Minenkonzessionen und Handelsprivilegien
zum reichsten Kaufmannsgeschlecht in Europa aufgestiegen. Das versetzte den
Reformator Martin Luther in Erstaunen. Es überstieg sein Fassungsvermögen,
wie soviel Geld in so wenigen Händen zusammenfließen konnte. „Ich weis die
Rechnung nicht..." hatte er dazu geäußert.
Kaiser Karl V. wollte die Einheit der einen universellen
Kirche wiederherstellen und den universellen Reichsgedanken erneuern und
festigen. Er ist gescheitert. 1556 dankte er ab. Einsam und verbittert
wechselte er 1558 im Kloster Sankt Yuste hinüber vom Zeitlichen ins Ewige.
Nach dem Tode Martin Luthers hat Karl V. das Grab Luthers besucht, wie tief
er dabei ins Nachdenken geraten ist, lässt sich wohl nicht belegen. Napoleon
I. hat im nachhinein festgestellt, Kaiser Karl V. hätte sich mit Luther
verbünden sollen. Wer kann wissen, wie Napoleon I. gehandelt hätte, wenn ein
Mann vom Format Martin Luthers zu seiner Zeit aufgestanden wäre? Dabei wäre
es unerheblich gewesen, ob ein solcher Luther aus der protestantischen oder
aus der katholischen Konfession hervorgegangen wäre. Aber die christlichen
Kirchen der Zeit waren nur ein Anhängsel einer allgemeinen Entwicklung. Die
dogmatischen Hindernisse, die einer Einheit der Christenheit im Wege stehen,
sind nicht unüberwindlich, Gott ist größer als menschliches Denken, Handeln
und Verstehen.
Kaiser Karl V. fühlte sich als Spanier, gab sich spanisch
und in seiner Umgebung durfte nur spanisch gesprochen werden. Deutsch war
verpönt. Die deutsche Sprache gab es auch noch gar nicht, Martin Luther war
zu der Zeit gerade dabei sie zu schaffen.
Die Deutschen haben zu ihrer Sprache in der Geschichte
oft ein zwiespältiges Verhältnis gehabt. Friedrich der Große sprach, nach
eigenem bekunden, deutsch nur mit seinem Kutscher und seinen Hunden. Der
Autor Ludwig Reiners vergleicht die deutsche Sprache in seinem Buch
„Stilkunst" mit den Sprachen der Antike Griechisch und Latein mit ihrer
Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten. (Ludwig Reiners: Stilkunst, München
1961) Die Deutschen, so gibt er darin zu bedenken, hätten diese
Möglichkeiten nur selten genutzt. Wer sich heute an seinen PC setzt, der
will in vielen Fällen „downloaden oder hat downgeloadet oder gedownloadet
oder was auch immer. Solche und andere Mischformen aus deutscher und
englischer Sprache werden auch als „ neudeutsch" bezeichnet. Das ist aber
weder Deutsch noch Englisch, das ist überhaupt nichts. In Frankreich ist
solche Sprachverschandelung gesetzlich verboten.
Den dritten großen Umbruch in der europäischen Geschichte
brachte die Oktoberevolution 1917 im zaristischen Russland, der zur Gründung
der Sowjet- Union führte, und diesen Zusammenschluss verschiedener Völker
der marxistischen- leninistischen Ideologie unterwarf. Atheismus wurde
Staatsreligion Kirchen wurden zu Museen und Lagerhäusern umfunktioniert.
Die Reformen des zaristischen Russlands waren zu spät
gekommen und zu zaghaft durchgeführt worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg
dehnte die Sowjet- Union ihren Herrschaftsbereich über weite Teile
Osteuropas aus.
Ein weiterer groß angelegter Angriff auf den christlichen
Glauben und die christlichen Konfessionen und Kirchen nahm durch Hitler,
seine Ideologen und durch die NS-Herrschaft seinen Verlauf.
Am 23. März 1933 hielt Hitler eine Rede im Deutschen
Reichstag zum Ermächtigungsgesetz, in der den Kirchen beider Konfessionen
groß angelegte Versprechungen machte. Während er den Kirchen diese
Versprechen gab, war er schon fest entschlossen diese Versprechen nicht
einzuhalten.
Einige Auszüge: „...Die nationale Regierung sieht in
beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres
Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen
Verträge respektieren; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. Sie
erwartet aber und hofft, dass die Arbeit an der nationalen und sittlichen
Erhebung unseres Volkes,, die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat,
umgekehrt die Gleiche Würdigung erfährt..." (O-Ton Hitler)
In dem letzten Satz ist ein Kompromiss gefordert, nicht
nur mit einer Politik, die mit christlichen ethischen Grundsätzen
unvereinbar war, es wurde auch ein Kompromiss mit einer Weltanschauung
gefordert, die Hitler Deutschland aufzuzwingen gedachte. Dazu sollte das
Ermächtigungsgesetz dienen, um der NS-Herrschaft diktatorische Vollmachten
zu verschaffen.
Der spätere Vorsitzende am „Volksgerichtshof", Roland
Freisler, hat dazu eine eindeutige Aussage gemacht: „Nationalsozialismus und
Christentum schließen einander aus, aber beide verlangen den ganzen
Menschen." Ein wahres Wort.
Hitler weiter: „...Die nationale Regierung wird in Schule
und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluss
einräumen und sicherstellen. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben
von Kirche und Staat.
Der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und
die Wiederherstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft dient ebenso sehr
den Interessen des deutschen Volkes wie denen unseres christlichen
Glaubens..." (O-Ton Hitler)
Hitler verstand sich auf fromme Redensarten, wie sich
später mehrfach zeigen sollte.
1936 wurde der bis dahin christliche auf die Bibel
gegründete Religionsunterricht an deutschen Schulen verboten. Jetzt wachten
Geistliche, die so lange eine neutrale Position bewahrt hatten auf. Der
Konfirmationsunterricht wurde von einem Jahr auf zwei Jahre erhöht.
Es gab in den christlichen Konfessionen Vertreter, die
sich offen zum Nationalsozialismus bekannten, es gab im protestantischen
Raum die Bekennende Kirche, die sich offen in den Gegensatz zur
NS-Herrschaft gestellt hatte. Die Neutralen standen zwischen beiden Fronten.
Dietrich Bonhoeffer bezeichnete in Briefen die Neutralen als BDM, damit war
nicht die weibliche Organisation der Hitler- Jugend „Bund Deutscher Mädchen"
gemeint, sondern der „Bund der Neutralen". Dietrich Bonhoeffer hatte jede
Verhandlung mit NS- Ideologen für sinnlos und nutzlos erklärt. Er sollte
recht behalten. Hitler wollte ein Bekenntnis zu Jesus Christus in seinem
Reich nicht dulden. Genau das, nämlich die Freiheit des Bekenntnisses, hatte
die Bekennende Kirche, die sich als die wahre Kirche ansah, gefordert.
In der Erklärung der Reichsbekenntnissynode der Deutschen
Evangelischen Kirche in Barmen 1934 heißt es dazu: „Jesus Christus, wie er
uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir
zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen
haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als
Quelle ihrer Verkündigung außer neben diesem einen Wort Gottes auch noch
andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes
Offenbarung anerkennen."
Im März 1935 waren mehr als 700 Pfarrer, die sich zur
Bekennenden Kirche hielten, in Haft genommen worden.
Dem Schweizer reformierten Theologen, Karl Barth, kommt
entscheidendes Verdienst zu an der Formulierung der „Barmer Erklärung". Von
seinen deutschen Glaubensbrüdern der protestantischen Konfessionen war er
enttäuscht, sie waren seinem Verständnis nach nicht entschieden genug.
Nachdem ihm von den NS-Machthabern die Lehrbefugnis als Professor an
deutschen Universitäten entzogen worden war, begab sich Karl Barth als
Schweizer Staatsbürger zurück in seine Heimat.
Von der Schweiz aus wiederholte er seine Vorwürfe gegen
die Bekennende Kirche. Besonders kritisch wurde das Verhältnis im Herbst
1938 im Zusammenhang mit der Sudetenkrise und dem Münchener Abkommen. Krieg
lag in der Luft, und Karl Barth äußerte öffentlich: „Jeder Tschechische
Soldat, der dann kämpft, tut es nicht nur für sein Land, sondern auch für
die Kirche Jesu Christi." Das war nicht nur ein Mangel an Solidarität mit
den christlichen Gemeinden, die sich zum Widerstand gegen Hitler formiert
hatten, es war geradezu ein Dolchstoß. Die nationalsozialistische Propaganda
nutzte Karl Barths Auftritt auch weidlich aus, und die Vertreter der
Bekennenden Kirche standen einmal mehr im Regen auf sich allein gestellt,
nachdem zuvor schon mehrfach Versuche gescheitert waren, die Solidarität der
ökumenischen und protestantische Kirchen außerhalb Deutschlands zu erwirken.
Die Mächte, die sich Hitler dann Ende September 1938 Hitler unterwarfen,
verschonte Karl Barth mit seiner Kritik. Sein politischer Opportunismus ließ
es nicht zu, hier mit notwendiger Deutlichkeit aufzutreten. Karl Barth war
eine theologische Größe, sein Name hatte Gewicht im Raum der
protestantischen Kirchen, weit über die Grenzen der Schweiz hinaus. Aber er
hat dieses Gewicht nicht in die Wagschale geworfen. Die Mächte, die im
Münchner Abkommen mit Hitler gemeinsame Sache machten, wussten wer ihnen
gegenüberstand. Sie wussten es besser als die vielen Menschen, die wenig
später in Berlin, London oder Paris jubelten, als ihnen mitgeteilt wurde,
der Frieden sei gerettet.
So wie Hitler sich gegenüber den Kirchen in ein frommes
Gewandt kleidete, so hat er sich auch als nationaler Befreier aufgeführt,
und diese Schau zu nutzen gewusst. In Wahrheit hat er Deutschland als
„Führer" erst richtig in die Unterwerfung geführt. Das letzte Übel war damit
ärger geworden als das Erste.
Admiral Canaris als Chef der Deutschen Abwehr und
Dietrich Bonhoeffer, der im christlichen Widerstand eine Untergrundkirche
begründet hatte mit Priesterseminaren und allem, was dazu gehört, hatten
gemeinsam alles unternommen, um sich der Flut des Unheils entgegenzustemmen.
Dietrich Bonhoeffer ist kurz vor dem Zweiten Weltkrieg von Amerika nach
Deutschland zurückgekehrt, wohl wissend, was ihn erwartete. Seine
amerikanischen Freund hatten ihn gewarnt, und ihm geraten in Amerika zu
bleiben. Admiral Canaris war es sogar gelungen, Kontakte zum amerikanischen
Präsidenten Roosevelt zu knüpfen.
Dietrich Bonhoeffer war es gelungen über den
anglikanischen Bischof Bell von Chichester Kontakte zur britischen Regierung
zu knüpfen. Der Appell beider um Unterstützung für den deutschen Widerstand
verhallte ungehört. Beide haben die NS- Tyrannei nicht überlebt; sie hätten
uns nach dem Zweiten Weltkrieg viel zu sagen gehabt. Aber auch hier hatte
Hitler, dieses Monster der Verlogenheit, der Niedertracht und der
Hinterhältigkeit, um es ganz gelinde zu sagen, vorgesorgt. Beide wurden am
9. April 1945 im KZ Flossenburg ermordet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Deutschland unter
der Führung des Zentrumspolitikers Konrad Adenauer, der einer
strenggläubigen katholischen Familie entstammte, eine politische Partei zu
gründen, in der Vertreter beider Konfessionen eine politische Heimat finden
sollten. Diese Gründung wurde zu einer Erfolgsgeschichte ohne gleichen. Es
war eine Großtat, die größte seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555, auch
wenn sie sich nur auf politische Belange und nicht auch auf den dogmatischen
Bereich erstreckte. Wenige Jahrzehnte vorher, wäre ein solcher Schritt
undenkbar gewesen. Die Kirchentage beider Konfessionen gerieten nach dem
Zweiten Weltkrieg zu Großveranstaltungen mit vielen hunderttausend
Teilnehmern.
Die Wurzeln waren nicht tief genug, der Geist von 1968
hat alles hinweggefegt und sich dabei der NS- Herrschaft als politisches
Instrumentarium bedient.
Die Behauptung unter der Kanzlerschaft Konrad Adenauers
sei die NS- Vergangenheit verdrängt worden ist irreführend. Das Filmschaffen
der Zeit kann dazu als Beispiel dienen. Filme wie „Admiral Canaris", „Haie
und kleine Fische", „Stern über Afrika" oder der Stalingradfilm „Hunde wollt
ihr ewig leben". Diese Filme gingen aufrichtiger mit der Vergangenheit um,
als es heute geschieht.
Diese Art der Vergangenheitsbewältigung verfolgte nicht
das Ziel, die gesamte Deutsche Geschichte einzustampfen, und somit den
Menschen die deutsche Nation und seine Geschichte verhasst zu machen.
Konrad Adenauer gehört auch zu den Mitbegründern einer
europäischen Vereinigung. Fortschritte sind seither gemacht worden, aber zu
einem wirklichen Durchbruch ist es bisher nicht gekommen. Der Entwurf einer
Europäischen Verfassung mit Fahne und Hymne ist gescheitert und zu einem
„Grundlagenvertrag" zusammengeschmolzen. Der christliche Glaube bleibt darin
unerwähnt, so als hätte es christlichen Glauben und christliche Kirchen in
der europäischen Geschichte nie gegeben. Das ist nun wirklich eine ganz
ungewöhnliche Zumutung. Das schlechte Gewissen ist es nicht gewesen, um die
christlichen Kirchen zu ignorieren. Dafür hätte allenfalls noch Verständnis
aufgebracht werden können, weil die Glaubwürdigkeit der christlichen
Botschaft durch europäische Welteroberungszüge in der Geschichte sehr in
Mitleidenschaft gezogen worden war.
Europa sucht seinen Weg, gefunden hat es seinen Weg noch
nicht, weil auch das Ziel nicht definiert worden ist.
Europa begann als Einheit. Karl der Große(772-814) hat
als Vater Europas historische Anerkennung gefunden. Der Karlspreis in
Aachen, der jährlich vergeben wird, erinnert daran. Als Napoleon die
Kadettenschule in Brienne absolvierte, wurde den angehenden französischen
Offizieren vermittelt, Deutschland habe einmal zu Frankreich gehört.
Karl der Große hatte eine andere Sicht der Dinge. Sein
Reich war kein Nationalstaat, wenn auch die Franken als Stamm dominierten, -
daher der Name Frankreich, Reich der Franken- so zählten zu diesem Reich,
das Karl der Große geschaffen hatte, unterschiedlichste Völkerschaften und
Ethnien, darum auch sein Bestreben, das Christentum als einigendes Band fest
zu verankern. Mit der Kaiserkrönung, die Weihnachten 800 von Papst Leo
III.(795-816) vorgenommen wurde, betrat der universelle Staatsgedanke die
europäische Geschichte. Am Hofe Karls des Großen trafen sich Gelehrte aus
allen Winkeln seines Reiches, nationale oder rassische Gesichtspunkte hatten
da keine Bedeutung. Als besonders angesehen unter ihnen galt Alkuin(730-804)
ein Engländer.
Kaiser Karl griff auch zum Schwert, um sein Reich dem
christlichen Glauben zu unterwerfen. Die Sachsenkriege haben über die
Jahrhunderte geschichtsschreibende Gemüter nicht zur Ruhe kommen lassen.
Friedrich Gottlieb Klopstock(1724-1803), der die kultur- und
geistesgeschichtliche Epoche einleitete, die um die Jahrhundertwende vom 18.
zum 19. Jahrhundert ihre ersten Höhepunkte setzte, verkündete: „Kaiser Karl
erscheine nicht in unseren Reihen". Mit seinem Epos: „Der Messias" hatte
Klopstock den Anstoß gegeben zum Einritt in das Reich der Dichter und
Denker. Friedrich der Große muss vor seinem Tode 1786 etwas mitbekommen
haben, vorausahnend äußerte er, der sonst für deutsche Literaturerzeugnisse
nur spöttische Kommentare ergehen ließ: „Ich bin wie Moses, ich schaue in
das gelobte Land, werde es selbst aber nicht mehr betreten." Vollends die
Nationalsozialisten erklärten Karl den Großen zum „Sachsenschlächter" und
nutzten ihn als politisches Instrumentarium, um Deutschland ein heidnisches
Gepräge zu geben. In Verden an der Aller, wo der Überlieferung nach 4500
Sachsen hingerichtet worden sein sollen, wurde eine Gedenkstätte
eingerichtet. Die NS-Ideologen haben Karl den Großen eher gerechtfertigt,
als dass ihre Anklage ernst genommen werden könnte.
Die Nachfahren Kaiser Karls waren unfähig, das Erbe zu
bewahren. 843 zerfiel es im Vertrag von Verdun in drei Teile. Nicht ganz
Tausend Jahre später finden wir bei Johann Wolfgang von Goethe ein Zitat:
„Was du von deinen Vätern ererbt hast, erwirb es um es zu besitzen." Das ist
in der Geschichte nicht immer, aber oft misslungen.
Das Reich Karls des Großen und damit Europa war
gespalten. Diese Spaltung sollte sich als unüberwindlich herausstellen. 911
wurde der Frankenherzog Konrad als Konrad I. zum deutschen König gewählt. Im
Kampf mit den Sachsen geriet das Reich, oder was noch davon übrig war, an
den Rand eines Bürgerkrieges. 918 schickte König Konrad I. seinen Bruder
Eberhard mit den Krönungsinsignien zu Herzog Heinrich von Sachsen, um ihn
die Königskrone anzubieten. Heinrich nahm an und wurde 1919 zum Deutschen
König gewählt. König Konrad I.(911-918) war noch im Jahr zuvor verstorben.
Seine Tat war eine vorausschauende staatsmännische Leistung, die das Reich
nicht nur vor einem Zerwürfnis bewahrte, sie bildete den Ausgang für neue
Glanzpunkte. Mit dem Sachsenkönig Heinrich I.
(919-936) begann das Regnum teutonicum (das Reich der
Deutschen) und die Herrschaftsdynastie der Sachsenkaiser, die bis 1024
andauerte. Sie führten die mit Karl dem Großen begründete Reichidee, mit dem
Papst und dem Kaiser an der Spitze fort. Die Reichseinheit, wie sie zur Zeit
Karls des Großen bestand, konnten sie zwar nicht wieder herstellen, aber den
deutschen Teil in seinen Zusammenhalt festigen und ausbauen. Kaiser Otto I.
wurde am 2. Februar 962 von Papst Johannes XII. (955-964) zum Kaiser
gekrönt. In Österreich wurde die Tausendjährige Wiederkehr dieses
Ereignisses mit einem prunkvollen Staatsakt gefeiert. Die Italiener
erinnerten sich in Rom in einer festlichen Veranstaltung. In Westdeutschland
geriet der Tag in Vergessenheit und in Ostdeutschland erst recht. Nur
Bundespräsident Heinrich Lübke fand beiläufig einige Worte der Erinnerung,
als er die Landwirtschaftsaustellung „Grüne Woche" in Berlin eröffnete.
(nachzulesen bei S. Fischer Fabian: Die deutschen Cäsaren, München/Zürich
1979) Kaiser Otto II. (973-983) und Kaiser Otto III.(983- 1002) waren
Visionär begabte Herrscherpersönlichkeiten, beide starben im Jünglingsalter.
Kaiser Otto II. heiratete eine Prinzessin aus Byzanz.. Die Herkunft war zwar
etwas undurchsichtig, aber Kaiserin Theophano bewährte sich als eine
tatkräftige umsichtige Herrscherpersönlichkeit an der Seite ihres Mannes.
Das Ereignis war in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, denn
mit dieser politischen Heirat wurde das Ziel verfolgt die Einheit des
Römischen Reiches, wie es von Konstantin dem Großen hinterlassen worden war,
wiederherzustellen.
Kaiser Otto II. starb im Alter von 28 Jahren. Theophano
führte für ihren unmündigen Sohn die Regentschaft, und nicht nur das, als
Griechin hielt sie das Reich gegen alle Widrigkeiten zusammen, und sie
rettete ihrem Sohn die Kaiserkrone. Eine herausragende staatsfrauliche
Leistung, denn irgendwo brannte es immer. im Heiligen Römischen Reich. Im
Norden die Wikinger, im Osten die Slawen, im Süden Sarazenen oder
byzantinische Machtansprüche, und im Westen die Westfranken, hinzu kamen die
Kämpfe im Innern. Als Frau musste sie auch noch die germanischen Vorurteile
gegenüber Griechen ertragen. Sie ließ sich nicht beirren. Selbstbewusst
unterzeichnete sie Urkunden mit: Theophano, divina gratia imperatrix augusta(
Theophano, durch Gottes Gnade Kaiserin)
Das Sacrum Imperium Romanum (Heiliges Römisches Reich)
war kein Nationalstaat. Die Kernlande waren Burgund, Italien und Germanien.
Die Burgunder waren Franzosen, die Italiener Italiener und die Germanen
Deutsche. Der universelle Staatsgedanke mit einem Kaiser als weltliches
Oberhaupt und einem Papst als geistlichem Oberhaupt war in Europa allgemein
anerkannt. Es verstand sich nicht nur als Fortsetzung des römischen
Kaiserreiches, es verstand sich auch als Fortsetzung des israelitischen
Königtums, denn auf zwei Platten der Kaiserkrone waren König David und König
Salomo abgebildet. Das Römische Reich war kein Nationalstaat. Römische
Staatsbürgerschaft war nicht von ethnischer Zugehörigkeit abhängig. Der
Apostel Paulus, dessen Mission es war, den Glauben an Jesus Christus unter
den Heiden zu verbreiten, war Jude, Pharisäer und Römischer Staatsbürger.
Wie urteilt Goethe über dieses Reich? In Goethes erstem
Band seiner Lebenserinnerungen ist zu lesen: „Aus dem großen Kaisersaale (in
Frankfurt) konnte man uns nur mit sehr vieler Mühe wieder herausbringen…;
und wir hielten denjenigen für unseren wahrsten Freund, der uns bei den
Bildern der sämtlichen Kaiser…etwas von ihren Taten erzählen konnte."
Zerschlissen wurde dieses Reich auch durch die ständigen
Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst. Das weltliche Oberhaupt
regierte hinein in geistliche Angelegenheiten, und das geistliche Oberhaupt
in weltliche Angelegenheiten. Der Verfall trat ein, und die Glaubwürdigkeit
der christlichen Botschaft schmolz ebenso dahin.
Als von diesem Reich nur noch Deutschland übrig geblieben
war, wurde Sacrum Imperium Romanum mit dem Zusatz versehen. Nationis
Germanicae. Ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert hieß es: Heiliges Römisches
Reich Deutscher Nation. Da war Deutschland schon auf dem Weg in die
Bedeutungslosigkeit.
Mit der Reformation Martin Luthers wurde die
Evangeliumsbotschaft wieder in das Zentrum der Geschichte gestellt. |