Lutherrose
Verfassung und Verfassungsgeschichte
Themen21
Das Zweite Kaiserreich
Die Weimarer Reichsverfassung
Die Bundesrepublik Deutschland

Heinz Drews                  Juli 2003

Verfassung und Verfassungsgeschichte und ihre Bedeutung für das Wirken und die Wirkungsmöglichkeiten politischer Parteien

Die Arbeit politischer Parteien und ihr Einfluss auf die allgemeine politische Entwicklung ist abhängig von den verfassungsrechtlichen Grundlagen, auf denen sie sich bewegen. Das beweist die nahezu zweihundertjährige Geschichte, die Deutschland in seiner demokratisch-parlamentarischen Entwicklung genommen hat.

Das Zweite Kaiserreich

Am 21. März 1871 wurde der neu gewählte Reichstag des neu gegründeten Kaiserreiches von Kaiser Wilhelm I. eröffnet. Der neue Reichstag war gewählt worden nach dem Wahlgesetz des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869. Es war also kein völliger Neuanfang, er konnte schon auf einige Tradition und Erfahrung zurückblicken.

Der erste Präsident des Deutschen Reichstages war der liberale Prof. Eduard Simson aus Königsberg. Er hatte 1848/49 das Amt des Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche ausgeübt und hatte 1850 das Erfurter Unionsparlament präsidiert und von 1859 bis 1862 das Preußische Abgeordnetenhaus.

1849 und 1870 hatte er mit unterschiedlichem Erfolg die deutsche Parlamentarierdelegation angeführt, die dem preußischem König die Kaiserkrone angetragen hatte. Was 1849 misslang, führte 1870 zum Erfolg: Ein einiges deutsches Kaiserreich wurde gegründet.

Diese Kontinuität zeigt die Parallelentwicklung von Parlamentarismus und den Weg zur deutschen Einheit bis 1871.

Das Zweite Kaiserreich, wie es die Geschichtsschreibung nennt, war recht eigentlich nicht als Fortsetzung des mittelalterlichen, des Ersten Kaiserreiches gedacht. Dazu waren die Unterschiede zu groß, als das es hätte Identität stiftend im Zweiten Kaiserreich fortwirken können. Es war keine Anknüpfung an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das 1806 sein Ende fand, obwohl im Zweiten Deutschen Kaiserreich Stimmen in dieser Richtung Andeutungen gemacht hatten, war eine solche Entwicklung nicht erwünscht. Zum einen war das Reich von 1871 protestantisch geprägt. Das sollte nach dem Willen der Hauptakteure, allen voran Otto von Bismarck, so sein.

Das Zweite Kaiserreich war eine Erbmonarchie, das mittelalterliche Reich ein Wahlkönigtum. Zwar bildeten sich im Mittelalter Dynastien heraus wie die der Sachsen, Salier, Staufer und später der Habsburger. Dennoch, der deutsche König wurde von den Fürsten des Reiches gewählt, und in der Regel vom Papst zum Kaiser gekrönt. Dieses Verfahren wurde 1356 in der „Goldenen Bulle“ festgeschrieben. Sieben Kurfürsten des Reiches kürten (wählten) den deutschen König/ Kaiser.

Der Staatsgedanke des Ersten Kaiserreiches war universell begründet, wenngleich mit wenigen Ausnahmen die Kaiser deutschen Herrschergeschlechtern entstammten, so hätte doch jeder europäische Monarch die Kaiserkrone tragen können.

Der Großdeutschen Nationalversammlung in Frankfurt, zu der auch Österreich gehörte, war von den Fürsten die Anerkennung versagt worden. Sie löste sich auf, als der Preußische König Friedrich Wilhelm IV.(1795-1861) die ihm von dieser Nationalversammlung 1849 angetragene Kaiserkrone zurückwies. An dieser Krone, so hatte er dazu bemerkt, hänge der

„ Ludergeruch der Revolution“. Was aber hätte die Annahme dieser Krone bedeutet? Es gab da nicht nur innerdeutsche politische Gefahren. Die außenpolitischen Gefahrenquellen waren viel bedrohlicher, sie hätten alles hinweggespült, wenn sie ungehindert hätten fließen können. Das sollte sich bald zeigen.

Nachdem die Einigung Deutschlands über die Frankfurter Nationalversammlung sich nicht erfüllt hatte, ging eine neue Initiative vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. und einem seiner engsten Berater, der später zum Außenminister ernannte, Joseph Maria Radowitz (1797- 1853) aus. Geplant war darin die Gründung einer Union norddeutscher Staaten unter der Führung Preußens. Ein Parlament wurde nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewählt, das im Frühjahr 1850 in Erfurt zusammentrat. Die Erfurter Union hätte der Vorläufer des Norddeutschen Bundes werden können, der 1866 nach dem Krieg zwischen Preußen und Österreich von Bismarck gegründet wurde. Sie ist es nicht geworden, die Pläne an Stelle des Deutschen Bundes, der aus 39 souveränen Staaten bestand, eine Union norddeutscher Staaten zu begründen scheiterten am Widerstand Österreichs, das mit diplomatischer Unterstützung Russlands die preußischen Pläne zu Fall brachte. Der russische Zar hatte zu verstehen gegeben, eine einseitige Änderung der Verfassung des Deutschen Bundes werde von den Signatarmächten nicht hingenommen. Der Deutsche Bund und seine Verfassung wurden 1815 auf dem Wiener Kongress ausgehandelt und verwirklicht. Die europäischen Großmächte England, Frankreich und Russland waren neben Preußen und Österreich Garantie- und Signatarmächte und hatten ein Mitspracherecht in deutschen Angelegenheiten. Das sollte sich noch einmal zeigen, als Otto von Bismarck 1863 eine Reform des Deutschen Bundes nach dem freien, gleichen, geheimen und direktem Wahlrecht in Vorschlag brachte, führte das zu heftigen Protesten der Garantiemächte des Deutschen Bundes.

Ein einiges Deutschland war in Europa unerwünscht, gleichgültig ob mit oder ohne Demokratie. Erst mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866, der dann 1871 in dem Deutschen Reich aufging, wurde die deutsche Einheit, die ein wesentliches demokratisches Element enthielt, verwirklicht.

Die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 sah den Aufbau von Verfassungsorganen nach dem Zweikammersystem vor:

1.Volkshaus, bestehend aus vom Volk gewählten Abgeordneten. Gewählt wurde nach dem gleichen, geheimen, freien und direktem Wahlrecht. Es war allerdings auf selbstständig Tätige beschränkt. Das Wahlrecht war also nicht so weitgehend gefasst wie später das Wahlrecht zum Reichstag des Norddeutschen Bundes und zum Deutschen Reichstag 1871.

2. Staatenhaus, anteilig von Vertretern der immer noch souveränen deutschen Staaten beschickt, die mit der Gründung eines Kaiserreiches und einem geeinten Deutschland einen anderen Status bekommen sollten. Bestrebungen, die am Widerstand der europäischen Großmächte zerbrochen sind und an innerdeutschen Gegensätzen.

Die Frankfurter Nationalversammlung, und die aus ihr hervorgegangene als Regierung verstandene Zentralgewalt ohne Reich und Staat, hatte von einer damals aufstrebenden Macht: Die „Vereinigten Staaten von Amerika“, diplomatische Anerkennung gefunden. Viele, von der Entwicklung in Deutschland enttäuscht, wanderten denn auch aus nach Amerika.

Es ist nicht selten behauptet worden, die Revolution von 1848, die dann zur Frankfurter Nationalversammlung führte, sei als gescheitert zu betrachten. Das ist irreführend wie manche andere Geschichtsdarstellung. Wenn die Revolution von 1848, die ihren Ursprung in der Februarrevolution 1848 in Frankreich hatte, als ein Fehlschlag angesehen werden muss, dann ist die Französische Revolution von 1789, mit der die Forderung nach Errichtung eines demokratischen Verfassungsstaates verknüpft war, ebenso als gescheitert zu betrachten, weil nicht auf Anhieb die Idealvorstellungen, die sich damit verbanden, verwirklicht worden sind.

Mit der Revolution von 1848 wurde in den deutschen Staaten die Tür zum parlamentarisch- demokratischen Verfassungsstaat geöffnet und der Weg zum Ziel konnte beschritten werden. Einmal wurde die Tür zugeschlagen, als die Nationalsozialisten 1933 ihre Herrschaft errichteten.

Der Verfassungsaufbau, wie ihn die Frankfurter Nationalversammlung vorsah, wurde in einigen wesentlichen Punkten für die Verfassung des Norddeutschen Bundes übernommen, die nach 1871 dann das Vorbild für die Reichsverfassung des Kaiserreiches lieferte:

  • · Reichstag, die gewählte Volksvertretung
  • · Bundesrat, Vertreter der einzelnen Bundesstaaten, die monarchisch geführt wurden.
  • Die Einheit Deutschlands war des politische Ziel des liberalen Bürgertums gewesen, verwirklicht wurde sie von der feudalen Oberschicht, was sich dann auch verfassungsrechtlich niedergeschlagen hat. Der Feudalismus stand, besonders in der Zeit der Restauration nach den Befreiungskriegen, Bestrebungen nach der Einheit Deutschlands ablehnend gegenüber.
  • Den Vorsitz im Bundesrat hatte der vom Kaiser ernannte Reichskanzler, zuvor im Norddeutschen Bund der vom preußischen König ernannte Bundeskanzler. Der Bundesrat setzte sich aus den Vertretern der „verbündeten Regierungen“ zusammen, den Königreichen, den Fürstentümern und Freien Reichsstädten. Im Bundesrat waren die einzelnen verbündeten Regierungen entsprechend ihrer Stärke durch Bevollmächtigte vertreten.

    Der Reichstag hatte keinen unmittelbaren Einfluss auf die Regierung. Reichkanzler und Minister wurden vom Kaiser ernannt und konnten von ihm entlassen werden. Sie waren auch dem Kaiser verantwortlich und nicht dem Reichstag als Parlament.

    Der Reichstag hatte die Kompetenz der Gesetzgebung und das Budgetrecht.

    Beide Versammlungen, der Reichstag und der Bundesrat, mussten einem Gesetz die Zustimmung geben, bevor es in Kraft treten konnte. Der Reichstag konnte ohne die Zustimmung des Bundesrates kein Gesetz durchbringen, das galt auch umgekehrt für Kaiser und Bundesrat. Das war von nicht geringer Bedeutung, denn ohne Reichsgesetze konnte sich auf die Dauer kein Reichskanzler halten. Die Verhandlungen (Sitzungen) des Reichstages waren öffentlich, die des Bundesrates nicht.

    Die öffentlichen Sitzungen des Reichstages hatten ein gesteigertes öffentliches politisches Interesse zur Folge. Die Wahlbeteiligung wuchs kontinuierlich von 50,7% 1871 auf 84,5% 1912. Friedrich Engels hat in seinem Buch „Der Deutsche Bauernkrieg“, in dem er Parallelen zur Revolution von 1848 und dem Bauernkrieg von 1525 zog, die Bedeutung des Wahlrechts zum Deutschen Reichstag für die Arbeiterklasse hervorgehoben.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Frankfurter Nationalversammlung der Jahre 1848/49 zur Sinn- und Identitätsstiftung herangezogen worden in Reden, Publikationen und auch in der Historiographie. Sie sei der eigentliche Beginn einer Entwicklung zur Demokratie in der Deutschen Geschichte gewesen, so ist dazu oft festgestellt worden. Demgegenüber ist der Reichstag der Kaiserzeit abgewertet worden. Das gilt ebenso, wenn von der Weimarer Republik der Jahre von 1919 bis 1933 als vom ersten demokratischen Staat auf deutschen Boden gesprochen wird. Damit erfährt der Reichstag der Kaiserzeit eine ungerechte Beurteilung und Bewertung.

    Dieser Deutsche Reichstag ging aus gleichen, geheimen, freien und direkten Wahlen hervor. Wenn auch sein Kompetenzbereich eingeschränkt war, so war er doch demokratisch legitimiert. Das Wahlrecht zu diesem Reichstag war im demokratischen Sinne das fortschrittlichste Wahlrecht, das es zu der Zeit gab. Das Wahlrecht zur Stimmabgabe vermied die Ungerechtigkeiten des reinen Mehrheitswahlrechtes, und es vermied die Auswüchse des reinen Verhältniswahlrechtes. Ein Kandidat musste in einem Wahlkreis die absolute Mehrheit erringen, gelang das im ersten Anlauf nicht, kam es zu einer Stichwahl zwischen den Kandidaten, die den ersten und den zweiten Platz belegt hatten.

    Undemokratisch war die Beibehaltung des Dreiklassenwahlrechtes zum Preußischen Landtag. Als ebenso reformbedürftig erwies im Laufe der Entwicklung die Einteilung der Wahlkreise. Wahlkreise waren zu Beginn der ersten Reichstageswahlen 1871 so gelegt worden, dass etwa 20.000 Einwohner auf einen Wahlkreis kamen.

    Die Erhöhung der Einwohnerzahlen in den folgenden Jahrzehnten machte es erforderlich, dass ein Kandidat in solchen Wahlkreisen eine steigende Zahl von Wählerstimmen auf sich vereinigen musste.

    Solche Unzulänglichkeiten haben den Bestand des Systems zwischen 1871 und 1918 nicht gefährden können. Ernsthafte Erschütterungen blieben dem Kaiserreich erspart. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 stellte sich der Reichstag geschlossen hinter die politische und militärische Führung. Der Reichstag und seine Parlamentarier haben im Verlauf ihrer Geschichte kaum etwas unternommen, um ihre verfassungsrechtliche Stellung zu verbessern.

    Erst 1918 gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurden Reformen in Angriff genommen.

    Im August wurden Reichstagswahlrecht und Wahlkreiseinteilung geändert und im Oktober das preußische Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und der Übergang vom konstitutionellen zum parlamentarischen System vollzogen. Alle diese Maßnahmen kamen, als sich die militärische Niederlage abzeichnete und damit zu spät, sie erweckten den Eindruck einer politischen Kapitulation nach innen wie nach außen, der dann die militärische Kapitulation bald folgen sollte.

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    Die Weimarer Reichsverfassung

    Am 19. Januar 1919 entschieden die Wähler des untergegangenen Kaiserreiches über die Zusammensetzung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung der Weimarer Republik. Sechs größere Parteien hatten sich neben einer Anzahl kleiner Parteien zur Wahl gestellt. Erstmals hatten auch Frauen uneingeschränkt das Wahlrecht erhalten, was selbst in den USA Frauen erst am 16. August 1920 durch den 19. Zusatz zur amerikanischen Verfassung zugestanden wurde. Im Vereinigten Königreich und Frankreich noch später.

    Am 6. Februar 1919 trat die neu gewählte Nationalversammlung im Weimarer Nationaltheater zusammen, um eine neue Verfassung auszuarbeiten. Die Monarchie hatte abgedankt, an ihre Stelle war die Republik getreten. Eine tief greifende Veränderung, die sich als unabwendbar erwiesen hatte. Das Parteiengefüge mit seinen Einflussmöglichkeiten hatte geradezu eine Umkehrung erfahren. Die Oppositionsparteien des Kaiserreiches, die SPD, die Zentrumspartei und die DDP, in der sich die linksliberalen der Kaiserzeit sammelten, hatten mit 76% der Wählerstimmen die Mehrheit errungen. Sie bildeten die erste Regierungskoalition. Sie scheiterte an der politischen Last des Versailler Friedensdiktates und sollte danach nie mehr zu einer regierungsfähigen Mehrheit gelangen, woraus die Gegner der Republik ihren vermeintlichen politischen Nutzen zogen.

    Im August 1919 wurde die Weimarer Reichsverfassung verabschiedet. Sie war eine Fortbildung der Reichverfassung des Kaiserreiches auf der Grundlage der Reformen vom Oktober 1918. Im Unterschied zum Kaiserreich stand der Reichstag als Verfassungsorgan an erster Stelle, dem Reichspräsident, Reichsregierung und Reichsrat nachgeordnet waren. Im Kaiserreich stand der Reichstag nach dem Bundesrat und dem Kaiser an dritter Stelle. Reichskanzler und Reichsminister waren gemäß Weimarer Verfassung dem Reichstag verantwortlich. Die Amtsführung war vom Vertrauen des Reichstages abhängig. Eine Regierung, die dieses Vertrauen nicht besaß musste zurücktreten.

    Die Gesetzgebungsbefugnisse wurden für den Reichstag erweitert. Die Vertretung der Länder, der Reichsrat, das Äquivalent zum Bundesrat des Kaiserreiches, wurde in seiner Kompetenz eingeschränkt. In der alten Verfassung war die Zustimmung beider Verfassungsorgane nötig. Der Reichsrat, jedoch, hatte lediglich ein Einspruchsrecht, das der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit zurückweisen konnte. Der Reichsrat hatte im Gegensatz zum vorhergehenden Bundesrat keine Befugnis gegenüber der Regierung.

    Das Staatsoberhaupt, der Reichspräsident, war mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie der Kaiser. Er wurde unmittelbar vom Volk auf sieben Jahre gewählt. Er konnte ein beschlossenes Gesetz einem Volksentscheid unterwerfen.

    Der Artikel 48 der Reichsverfassung gab ihm die Möglichkeit mit Notverordnungen zu regieren, wenn der Reichstag keine regierungsfähige Mehrheit zustande brachte. Auf diesem Wege konnte er auch den Reichstag auflösen und Neuwahlen ausschreiben.

    Von den sieben gewählten Reichstagen von 1920 bis 1932 überstand keiner die volle Legislaturperiode. Am Ende der Weimarer Republik kam es zu einer Präsidialregierung durch Notverordnungen nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung. Der Reichstag hätte diesen Zustand sofort beenden können, wenn die in ihm vertretenen Parteien konsensfähig gewesen wären für eine Regierungsbildung.

    Die dazu bestehende Unfähigkeit brachte den demokratie- und republikfeindlichen Kräften einen Zulauf, dem die Weimarer Republik erlag.

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    Die Bundesrepublik Deutschland

    Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verabschiedet. Es war als Grundlage für eine vorläufige Verfassung und Verfassungsordnung gedacht, da Deutschland zum Zeitpunkt der Verabschiedung geteilt war, und als Nation in seiner Gesamtheit nicht an der neuen Verfassungsordnung mitwirken konnte.

    Hatten noch die Begründer der Weimarer Verfassung die Erfahrungen im Kaiserreich berücksichtigt und zum Anlass entscheidender verfassungsrechtlicher Veränderungen genommen, so hatte der Parlamentarische Rat, der sich aus den nach 1945 gegründeten Parteien unter der Präsidentschaft Konrad Adenauers zusammensetzte, die Erfahrungen der Weimarer Republik herangezogen., um Fehlentwicklungen, die den Bestand eines pluralistisch- demokratischen Staatswesens hätten gefährden können, zu verhindern. Es ist nicht selten behauptet worden, das Grundgesetz, das zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung für den noch zu gründenden Staat gedacht war, von den westlichen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges gewissermaßen erzwungen worden sei, denn Deutschland war, anders als nach dem Ersten Weltkrieg gänzlich seiner Souveränität beraubt und stand unter alliierter Militärverwaltung.

    Das Grundgesetz enthält unverkennbar wesentliche traditionelle Elemente. Das gilt besonders für den föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland. Auch Begriffe wie Bundesrat hatte es im Verlaufe der deutschen Verfassungsgeschichte schon gegeben. Der Reichstag, das Parlament des Norddeutschen Bundes und der Bundesrat, fanden ihre verfassungsrechtliche Fortsetzung im Kaiserreich.

    Der Bundestag als Parlament der Bundesrepublik Deutschland hatte weiterreichendere  Vollmachten als seine parlamentarischen Vorgänger im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Eingeschränkt wird seine Machtbefugnis durch den Bundesrat in den Bereichen der Gesetzgebung, für die der Bundesrat als Vertretung der einzelnen Bundesländer zustimmungspflichtig ist. Kommt im Bundesrat eine Einigung über ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz nicht zustande, wird im Vermittlungsausschuss, in dem die Parteien der entsprechenden Länderparlamente anteilsmäßig vertreten sind und mitwirken, ein zustimmungsfähiger Kompromiss erarbeitet. Scheitert auch eine Einigung im Vermittlungsausschuss, kann das Gesetz nur in Kraft treten, wenn der Bundestag die Entscheidung des Bundesrates mit Zweidrittelmehrheit zurückweist.

    Die Länderkammer hat nicht die Machtfülle wie der Bundesrat der Kaiserzeit, doch mehr Mitwirkungsmöglichkeiten als der Reichsrat der Weimarer Republik, besonders im Hinblick auf die Politik, die in den Kompetenzbereich der Länder fällt.

    Gänzlich verändert wurde die Stellung des Bundespräsidenten im Verhältnis zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Der deutsche Bundespräsident ist in seiner Funktion auf repräsentative Aufgaben beschränkt und besitzt keine Machtbefugnisse. Er kann den Bundeskanzler nur noch vorschlagen, nicht ernennen oder gar entlassen ohne Zustimmung des Bundestages. Den Bundestag kann er nur nach verfassungsmäßig vorgeschriebenen Richtlinien auflösen, die nicht soweit gefasst sind wie in der Republik von Weimar.

    Entsprechend der Schwächung des Bundespräsidenten ist die Stellung des Bundeskanzlers gestärkt. Er bestimmt laut Verfassung die Richtlinien der Politik, und kann vom Bundestag nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgesetzt werden. Will der Bundestag einem Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen, besteht für ihn die Verpflichtung zugleich einen neuen Kanzler zu wählen, eine Konstruktion, die sich verfassungsrechtlich bewährt hat.

    Das Wahlrecht vermeidet die Nachteile des reinen Mehrheitswahlrechtes der angelsächsischen Länder und auch die Nachteile des reinen Verhältniswahlrechtes der Weimarer Republik, das zu einer Vielzahl von Parteien im Reichstag geführt und eine wirksame Arbeit oft behindert hatte. Zudem verhindert eine 5% Sperrklausel das Eindringen kleinster Gruppen in den Bundestag. Regierungskrisen auf Grund von Mehrheitsverhältnissen sind der Bundesrepublik Deutschland erspart geblieben. Besonders beachtenswert in dem Wahlrecht ist die Möglichkeit einmal der Persönlichkeitswahl und der Parteienwahl. Es besteht die Möglichkeit für den Wähler eine politische Persönlichkeit und eine politische Partei zu wählen. Die Hälfte der Abgeordneten werden so direkt über ein Persönlichkeitswahlrecht in den Bundestag entsandt, die andere Hälfte der Abgeordneten über die Wahl einer Partei.

    Ob die Weimarer Republik mit dem Grundgesetz als Verfassung weniger krisenanfällig gewesen wäre ist eine Frage, die kaum beantwortet werden kann.

    Demokratie lebt vom Interesse seiner Bürger und von der Überzeugungskraft der Politiker, die den Demokratiegedanken vertreten. An beidem hat es 1933 gefehlt, besonders aber am letzteren. Fehlentwicklungen demokratischer Errungenschaften in Deutschland hatten im

    19. wie im 20. Jahrhundert neben einer innenpolitischen auch eine außenpolitische Komponente.

    Zwei bedeutsame Presseorgane der bundesdeutschen Gegenwart, die Frankfurter Allgemeine Zeitung im November 2002 und das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Mai 2003 haben in seltener Eintracht verfassungsrechtliche Positionen bezogen, die eine Merkwürdigkeit erkennen lassen. Das Grundgesetz, so versuchen beide Medien mit großem Einfluss auf Meinungsbildungsprozesse ihren Lesern zu vermitteln, sei ein bedeutsames Hindernis für Reformen, die Deutschland so dringend benötige, um wieder zu gesunden, denn schon geht ein Flüstern durch die europäischen Reihen vom kranken Mann in der Mitte Europas.

    Die ersten zwanzig Jahre von 1949 bis 1969 unter diesem Grundgesetz gehören zu den erfolgsreichsten Jahren der deutschen Verfassungsgeschichte. Denn es kann bei solchen Betrachtungen der ideelle und materielle Zustandes des Landes bei Beginn des Inkrafttretens des Grundgesetzes nicht einfach übersehen werden. Ein Zustand, der herbeigeführt worden war durch einen Zentralismus, wie ihn die Menschheit bis dahin noch nicht gekannt hatte.

    Zu einem gut funktionierenden Staatswesen gehört ein passender verfassungsrechtlicher Rahmen. Aber das allein genügt noch nicht. Wenn die Bundesrepublik erfolgreich reformiert werden soll, dann müssen alle Individuen, aus denen sich die bundesdeutsche Gesellschaft zusammensetzt, eine grundlegend andere Einstellung zum Gemeinwesen Deutschland einnehmen, und dafür ist das Grundgesetz kein Hindernis. Ganz im Gegenteil.

    Hinzu kommt eine Deflationskrise, die sich lähmend auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben gelegt hat. Reichskanzler Brüning winkt freundlich aus Weimar herüber. Fazit: Wenig dazugelernt.

    Auch in einem demokratisch verfassten Staatswesen können sich Machtstrukturen festsetzen, die um so schwerer zu überwinden sind, je länger ein solcher Zustand andauert und hingenommen wird. Demokratie ist eben mehr als nur Spaß und Konsum.

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