Lutherrose
Ungehorsamer Preuße
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Der Ungehorsame Preuße Juli 2003

Im Februar 1812 schlossen Preußen und Frankreich ein Bündnis. Es verpflichtete Preußen sich an dem geplanten Feldzug Napoleon I. gegen Russland militärisch zu beteiligen. Beim Einmarsch der „Großen Armee“ nach Russland wurden 20000 Preußen dem französischen Heeresverband unterstellt. Es war der größte Truppenaufmarsch, den die Geschichte bis dahin erlebt hatte. Von den 600000 waren mehr als ein Drittel Deutsche in der Hauptsache aus den mit Frankreich verbündeten Rheinbundstaaten. Der Feldzug scheiterte, und den Rückzug durch den russischen Winter überlebten nur wenige. Nur Reste konnten sich in zerschundenem Zustand nach Westen absetzen. Das preußische Kontingent unter dem Kommando des Feldmarschalls York von Wartenburg(1759-1830) war unversehrt geblieben. Ihm war die Aufgabe zugewachsen, die Flanke der nach Russland einmarschierenden Armee, und später der nach Ostpreußen zurückweichenden Heeresbestände der Großen Armee gegen russische Angriffe zu sichern.

York von Wartenburg bot sich ein günstiges Bild der Lage, als die französischen Heeresverbände zerschlagen waren.

Er nutzte sie zu einem Ungehorsam gegen König Friedrich Wilhelm III.(1770-1840). Eigenmächtig verbündete er sich mit den Russen, die den verbliebenen fliehenden französischen Verbänden nachfolgten. Mit dem russischen General Diebitsch schloss er am 31. Dezember 1812 die Konvention von Tauroggen, ganz unkonventionell in einer Mühle in Porscherun in Ostpreußen. Die ihm unterstellten preußischen Einheiten wurden in dieser Abmachung für neutral erklärt. Nach der Räumung Ostpreußens durch die Franzosen kamen zu den Truppen Yorks noch 20000 Mann ostpreußische Landwehr und 10000 Reserveeinheiten hinzu. Ostpreußen war frei und bewaffnete sich. York von Wartenburg war in seiner Einstellung konservativ. Pläne Maßnahmen der preußischen Reformer lehnte er ab.

Seinen König hatte er mit diesem Schritt des Ungehorsams in große Gefahr gebracht, denn Berlin war noch von französischen Truppen besetzt. Es gelang dem preußischen König, sich nach Breslau zu begeben. Zuvor hatte er York von Wartenburg seines Kommandos enthoben.

Auswirkungen hatte diese Entscheidung nicht, aber der Schein wurde gewahrt. Das eigenmächtige Handeln Yorks gegen den Willen des Königs und der preußischen Regierung hatte Folgen, die in ihrer politischen Dimension weit größer waren als die militärische Bedeutung. Sie zwangen den oft schwankenden König zum Handeln. Die eigentliche Entscheidung aber hatte ein anderer gefällt, eben Feldmarschall York von Wartenburg. Ihm zu Ehren komponierte Ludwig van Beethoven(1770-1827) den Yorkschen Marsch. Den Gedanken, seine 3. Symphonie „Eroika“ Kaiser Napoleon zu widmen, hatte er zuvor verworfen.

York von Wartenburg stand mit seiner Handlungsweise in einer guten preußischen Tradition.

Im August 1758 standen sich Preußen und Russen in der Schlacht bei Zorndorf gegenüber. Die Schlacht hatte für die Preußen eine ungünstige Wendung genommen. Reitergeneral Seydlitz(1721-1773), der die preußische Kavallerie befehligte, hatte von König Friedrich II. die Order zum Angriff erhalten. Seydlitz verweigerte den Befehl auch dann noch, als ihm der König durch einen Adjutanten und nochmaliger Aufforderung mitteilen ließ: „...das kostet ihm den Kopf.“ Die Antwort war ebenso deutlich: Über den ihm zugesandten Adjutanten ließ er den König wissen, sein Kopf stünde nach der Schlacht zur Verfügung, während der Schlacht wolle er davon zum Dienst noch „einen guten Gebrauch machen.“

Die Entscheidung des Reitergenerals erwies sich nach der Schlacht als richtig, so ließ der König alles auf sich beruhen.

In der Schlacht bei Kolin im Juni 1757 erhielt Seydlitz den Pour le Mérite, die 1740 vom

preußischen König gestiftete höchste Auszeichnung, die Preußen zu vergeben hatte, wurde zum Generalmajor befördert und mit dem Oberbefehl über die nach der verlorenen Schlacht bei Kolin nach Westen abkommandierten Kavallerieeinheiten.

In der Schlacht bei Rossbach in Thüringen unternahmen es die Preußen, den vordringenden Franzosen und der Reichsarmee Einhalt zu gebieten. In dieser Schlacht rechtfertigte Seydlitz das Vertrauen, das der König in ihn gesetzt hatte. Die Kavallerie hatte den entscheidenden Anteil am siegreichen Ausgang.

Zeitgenossen schildern Seydlitz als einen Mann von schönem Aussehen, dem schönen Geschlecht gerne ergeben. Der Dienst in seiner Truppe war hart, aber er war ein Gegner der drakonischen Strafmaßnahmen, wie sie in den absolutistischen Armeen üblich waren. Darin unterschied er sich.

So konnte sich Seydlitz auf seine Truppe verlassen, solange er bei ihr war, und seine Truppe sich auf ihn.

Eine dritte Biographie preußischen Ungehorsams darf nicht fehlen. Sie steht am Anfang der Anfänge in Brandenburg- Preußen. In der Schlacht bei Fehrbellin im Juni 1675 war die Bedrohung groß für das kleine aufstrebende Staatsgebilde. Die Schweden waren über Pommern in die Mark Brandenburg eingefallen, gestützt und angestiftet durch Frankreichs König Ludwig XIV.(1643-1715), der das Unternehmen auch mit Kapital versorgte. Eine Neuauflage der Verhältnisse des Dreißigjährigen Krieges(1618-1648) kündigte sich an. Im Dreißigjährigen Krieg waren Brandenburg und Pommern mal von Truppen der einen Partei und mal von Truppen der anderen Partei, der kaiserlichen oder der protestantischen, überschwemmt, verwüstet und ausgeplündert worden. Kurbrandenburg und Pommern gehörten zu den Gebieten des Reiches, die am meisten gelitten hatten, auch mit den größten Verlusten unter der Zivilbevölkerung. Für den siegreichen Schlachtverlauf bei Fehrbellin war ein Ungehorsam mitbestimmend gewesen. Der Prinz von Homburg, der eine Kavallerieeinheit befehligte, hatte dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm I.(1620-1688) den Gehorsam aufgekündigt und gegen den Befehl selbst entschieden, wann anzugreifen sei. Die Schlacht wurde gewonnen, und der Prinz von Homburg vor ein Kriegsgericht gezogen, zum Tode verurteilt und begnadigt. So begann der Aufstieg Brandenburg- Preußens und Preußens mit einem Ungehorsam. Wäre die Schlacht verloren worden, dann wäre Brandenburg- Preußen gar nicht erst vom Start gekommen und der Aufstieg Preußens hätte nicht stattgefunden.

Der Prinz von Homburg ist aus unterschiedlichen Beweggründen klein gemacht worden, obgleich er durch seine Tat Größe gezeigt hat. Heinrich von Kleist(1777-1811) hat ihn groß werden lassen in seinem Drama: „Der Prinz von Homburg“. Vor einigen Jahren wurde das Stück hervorragend in Italien unter italienischer Regie als Theateraufführung verfilmt und im Zweiten Deutschen Fernsehen gezeigt.

Drei preußische Biographien stehen vor uns in kürzester Fassung, sie wollen so gar nicht in das Klischee passen, das seit Jahrzehnten über Preußen verabreicht wird.

Nach diesem historischen Ausflug kehren wir zurück in das Jahr 1813. York von Wartenburg hatte seine Entscheidungen sehr zum Missfallen seines Königs getroffen, und über die Tragweite seiner eher politischen und weniger militärischen Auswirkungen hatte er der politischen Situation entsprechend angemessene Vorstellungen, die ihn veranlassten, seinem König die Bereitschaft zu bekunden sich „vor den Sandhaufen zu stellen“.

Friedrich Wilhelm III. hatte die Gefahr erkannt, in die er geraten war, es gelang ihm Ende Januar 1813 nach Breslau in Schlesien zu entweichen, wo er nicht von französischen Truppen umgeben war.

Hier war er frei und konnte nachdenken, denn für schnelle und sicher treffende Entscheidungen fehlte ihm die Begabung, die eine Reihe seiner dynastischen Vorfahren auszeichnete.

Am Ende des Monats Februar folgte der nächste Schritt. In dem Vertrag von Kalisch schlossen Preußen und Russland ein Bündnis. Der russische Zar Alexander I.(1777-1825) und der preußische König Friedrich Wilhelm III. einigten sich zum Kampf gegen Napoleon I. auf gemeinsame Ziele zur Nachkriegsordnung.

Die Erwartungen steigerten sich, große Hoffnungen wurden wach. Sie waren nicht nur auf die Befreiung von der napoleonischen Herrschaft gegründet, nicht nur auf Befreiung vom äußeren Druck, sondern auch der innere Druck sollte durch Reformen in Staat und Gesellschaft gemildert oder aufgelöst werden.

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