Heinz
Drews
Hamburg, den 21. März 2006
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22249
Hamburg
Herrn
Dr. Edmund
Stoiber
Ministerpräsident des Freistaates Bayern
Franz-
Josef- Strauß- Ring1
80539
München
Sehr
geehrter Herr Ministerpräsident!
Bevor ich
es mir erlaube zu einigen Gesichtspunkten Ihres politischen Wirkens
Stellung zu nehmen, weise ich hin auf ein beigefügtes Schreiben vom 5.
Juli 2005 an den Herrn Bundespräsidenten.
In Ihrer Rede zum Politischen Aschermittwoch in
Passau am 1. März 2006 haben Sie mit einiger Deutlichkeit ein
christliches Bekenntnis einfließen lassen. Da so etwas in unserem Lande
von Persönlichkeiten, die eine Spitzenstellung in der politischen
Verantwortung einnehmen, selten zu hören ist, muss ein solches
Bekenntnis als begrüßens- und bemerkenswert angesehen werden. Ein
solches Bekenntnis haben Sie auch am 2. September 2005 auf dem Parteitag
der CSU in Nürnberg anklingen lassen. Die christliche Botschaft ist
keine politische Botschaft, sie kann nur in ihrem ethischen Gehalt auf
die Politik einwirken.
Sie haben in Ihren
beiden erwähnten Reden einen Anlauf dazu genommen.
In ihrem dogmatischen
Gehalt gehört die Botschaft des Evangeliums nicht in die Politik.
Nach dem Zweiten
Weltkrieg hat sich unter Führung Konrad Adenauers die CDU/CSU formiert.
Ganz bewusst wurde dabei die konfessionelle Bindung vermieden.
Katholische wie evangelische Christen sollten in ihr eine christlich
orientierte, politische Heimat finden. Die Bedeutung dieser historischen
politischen Tat ist unterschätzt worden, eine Feststellung, die durch
einen historischen Rückblick leicht belegt werden kann. Was sich nach
dem Zweiten Weltkrieg vollzogen hat, wäre wenige Jahrzehnte zuvor noch
undenkbar gewesen. In oft wiederkehrender Schärfe hat sich der
konfessionelle Gegensatz durch die Deutsche Geschichte bewegt. Noch am
Ausgang des 19. Jahrhunderts verkündete Bismarck kraftvoll im Reichstag:
„Nach Canossa gehen wir nicht.“ Hundert Jahre nach der Reformation
Martin Luthers brachte der konfessionelle Gegensatz im Dreißigjährigen
Krieg das römisch- deutsche Reich an den Rand der Vernichtung. Trotz
allem ist der Kern deutscher Geschichte mit allen Höhen und Tiefen vom
christlichen Glauben geprägt. Wesentliche Elemente gingen verloren, als
der Kulturprotestantismus in Deutschland im ausgehenden 19. und im
beginnenden 20. Jahrhundert sich zunehmend mit nationalem Machtstreben
verband.
Deutschland stand mit
dieser Tendenz nicht alleine da, aber das kann im christlichen Sinne
nicht als Rechtfertigung gelten.
Im Februar 1888 hatte
Bismarck in einer Rede vor dem Reichstag den ernstgemeinten und viel
zitierten Satz geäußert: „Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts
auf der Welt...“. Dieser Satz ist von Bismarckgegnern wie
Bismarckanhängern gleichermaßen gerne zitiert worden, und hat denn auch
über Generationen hinweg zu schwerwiegenden Missverständnissen geführt.
Die zweite Hälfte des Satzes wurde auch ebenso gerne weggelassen. Sie
lautet: „...und diese Furcht Gottes allein ist es schon, die uns den
Frieden lieben lässt.“ Je nach politischem Standort, wollte an der
zweiten Hälfte des Satzes niemand so recht gefallen finden.
Im Vorfeld des Ersten
Weltkrieges und im Krieg selbst wurden auf beiden Seiten der
kriegführenden Mächte theologische Argumente von den Nationen, die sich
als Hüter christlicher Werte und Zivilisation ansahen, eingeführt, um so
dem Kampfgeschehen eine göttliche Weihe zu vermitteln. Eine Theologie
fand Eingang in Politik und Gesellschaft, die Aufschluss darüber geben
sollte, wer den allmächtigen Gott auf seiner Seite hätte. Der
universelle Charakter der christlichen Botschaft erfährt durch eine
Verknüpfung mit nationaler Machtpolitik entsprechend eine Einschränkung.
Auf deutscher Seite passte in diese Tendenz jene bereits angesprochene,
markig zum Ausdruck gebrachte und zitierte erste Hälfte des
Bismarckzitates. Das allseits bekannte Lied geistlichen Inhalts Martin
Luthers. „Ein feste Burg ist unser Gott...“, das den um seinen Glauben
ringenden Christenmenschen Kraft und Ermutigung spenden sollte, wurde
umfunktioniert zu einem Kampflied nationaler Willensstärke und
Machtstrebens. Doch die Botschaft von dem kriegerischen Gott hat
nirgends so recht Anklang gefunden. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm im
Osten wie im Westen ein rasanter Säkularisierungsprozess seinen Verlauf,
gerade in den Nationen, die sich als Bewahrer christlicher Tugenden
verstanden.
Noch waren die
christlichen Kirchen in Deutschland tief verwurzelt, bis der
Nationalsozialismus ihnen einen weiteren Tiefschlag versetzte. In seiner
Rede am 23. März 1933 zum Ermächtigungsgesetz hatte Hitler mit lobenden
Worten den christlichen Konfessionen die großzügigsten Versprechungen
gemacht, die er, wie vieles andere auch, nicht einzuhalten gedachte.
Drei Jahre später wurde der bis dahin ausschließlich auf christliche
Inhalte abgestellte Religionsunterricht an deutschen Schulen verboten.
Zur Zeit der NS-Herrschaft erlebten die christlichen Kirchen in
Deutschland die ersten Massenaustritte. Menschen, denen das christliche
Bekenntnis Lebensinhalt war, wurden drangsaliert und inhaftiert.
Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde diese Politik vom Marxismus mit seinem atheistischen
Staatsverständnis in der DDR fortgesetzt. Im Westen, in der
Bundesrepublik Deutschland, hatten die Kirchen zunächst großen Zulauf.
Auf den großen Kirchentagen versammelten sich Hunderttausende. Zu einer
wirklichen tief verwurzelten Rückbesinnung ist es aber nicht gekommen.
Was Nationalsozialismus und Marxismus nicht bewirkt hatten, das
vollbrachten im Laufe der Jahrzehnte westliche Kulturerzeugnisse.
Kirchen werden veräußert, stillgelegt oder werden zweckentfremdet
verwendet, weil die Gemeinden die finanziellen Lasten für die Gebäude
nicht mehr tragen können. Unlängst gab es zu dieser Entwicklung eine
umfassende Darstellung in der „Welt am Sonntag“ mit dem Titel:
„Speisezettel statt Bibel“. Für diese Entwicklung ist nicht der Islam
verantwortlich weder der gemäßigte noch der radikale. Er ist auch nicht
verantwortlich für die Massenaustritte aus den christlichen Kirchen, die
sich in jüngster Vergangenheit vollzogen haben.
In diesem Sommer soll
sie wieder stattfinden jene Veranstaltung, die mit dem Begriff
„Liebesparade“ (Love- Parade) belegt worden ist. Eine Veranstaltung mit
viel Drogen und viel Nacktheit.
Die deutsche Jugend, so
haben Veranstalter in der Vergangenheit dazu verlauten lassen, wolle
zeigen, dass sie anders sei als ihre Vorfahren, die ihr verallgemeinernd
als die Verbrechergeneration vorgestellt worden ist. Wie überhaupt die
ganze Deutsche Geschichte mit einem Hitleretikett versehen worden ist.
Die Regierungszeit
Konrad Adenauers sei eine Restauration der NS-Herrschaft gewesen, so ist
es regelmäßig zu vernehmen. Alle Vorkommnisse der NS- Zeit seien in ihr
verdrängt worden, wird anklagend hinzugefügt. Wer die Regierungszeit
Konrad Adenauers miterlebt hat, kann diese Behauptung nicht bestätigen
Aber es war eine
Vergangenheitsbewältigung anderer Art, eine Vergangenheitsbewältigung,
die unser nationales Selbstbewusstsein nicht angetastet oder in Frage
gestellt hat. Zahlreiche Filme aus der Zeit belegen das. Ein Film aus
der Zeit „Admiral Canaris“, mit O. E. Hasse in der Hauptrolle, zeigt
das, was nicht gerne gehört wird, wie nämlich durch das „Münchener
Abkommen“ dem deutschen Widerstand gegen Hitler entscheidend das
Rückgrad gebrochen wurde. Diese Form der Vergangenheitsbewältigung war
aufrichtiger und ehrlicher als wir es heute gewohnt sind.
In dem Maße, in dem
christliche Wertgrundlagen nach dem Zweiten Weltkrieg als störend
empfunden wurden und weggebrochen sind, und in dem Maße wie in der
Deutschen Geschichte wurzelndes Identitäts- und Selbstbewusstsein als
etwas verachtenswürdiges galten, in dem Maße hat sich Deutschlands
Niedergang vollzogen und wir sind noch lange nicht am Ende dieser
Entwicklung.
Eine besonders
unheilvolle Entwicklung, hat nach der Wiedervereinigung für Deutschland
ihren Verlauf genommen, weil den Deutschen ihre Nation nichts mehr
bedeutet, das ist der einzig zu nennende Grund. Es gibt kein
Verantwortungsbewusstsein für die Nation als Ganzes und darum auch kein
solidarisches Handeln in Politik und Gesellschaft.
Daran sind nicht die in
Deutschland lebenden Ausländer verantwortlich, um deren Integration
gegenwärtig die Bemühungen gehen. Von den in Deutschland lebenden
Ausländern kann niemand erwarten, deutscher zu sein als die Deutschen
selbst.
In was sollen die in
Deutschland lebenden Ausländer integriert werden? Niemand erfährt hier
etwas Genaues. Das kulturelle Leben in Deutschland gestaltet sich
überwiegend nach angelsächsischer Art.
Das Grundgesetz ist die
beste Verfassung, die es gibt, aber zur Identitätsstiftung und
Integration reicht es allein nicht aus. Es kann helfen und bewahren,
mehr nicht.
Zaghaft ist der Begriff
von der „Leitkultur“ einmal mehr in die Debatte eingeführt worden. Die
Zaghaftigkeit, mit der die Debatte angestoßen wurde, lässt die
Befürchtung aufkommen, das Blümlein könnte sehr bald zertreten werden.
Fragebögen werden herumgereicht. Der Baden- Württembergische Fragbogen
ist bemüht, die Einstellung zur Homosexualität herauszufinden. Ist
Homosexualität jetzt zum entscheidenden Wesensmerkmal nationaler
deutscher Identität herangereift? Immerhin, die Diskussion läuft.
Hoffentlich in die richtige Richtung und in eine gute Zukunft.
Mit dem Gelingen der
Integration der in Deutschland lebenden Ausländer steht und fällt
Deutschlands Zukunft, nicht um eine demographische Entwicklung zu
begünstigen; es geht vielmehr um das Ansehen, das Deutschland in der
Welt haben könnte und müsste.
Eine Ausländerpolitik
und Gesetzgebung, die dem Rechnung trägt, gibt es in Deutschland nicht,
die tragenden Stützen der deutschen Politik waren bisher unfähig, das
auch nur auf den Weg zu bringen.
Mit freundlichen Grüßen
![Heinz Drews Heinz Drews](../assets/images/Heinz_Drews13.jpg) |