| April 2003 Preußen war anders Indem wir die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir auch jener unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenrassen. Es gibt bildsamere, höher gebildete, durch geistige Kultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt, zur Freiheit, welche in roheren Zuständen den einzelnen, in dem Staatenleben, bei dem Genuss politischer Institutionen, der Gesamtheit als Berechtigung zukommt. (Alexander von Humboldt 1769- 1859) Die Betrachtung Preußens beginnt mit einem Zitat Alexander von Humboldts, dem Naturforscher, der seine Forschungsreisen in Südamerika mit einem vierunddreißigbändigen Werk krönte. Er genießt in den Ländern, die er bereiste heute noch einen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad, der um vieles größer ist als in dem Kulturkreis, dem er entstammte. Wie war Preußen? Es sind zu Preußen bestimmte gängige Klischees verbreitet worden, die sich lange gehalten haben. Da war der Pensionärsschädel und der Mann mit dem Monokel und dann noch der Typ, der sich ständig drehte und die Hacken zusammenschlug. Manches ist als typisch preußisch angesehen worden, was eigentlich typisch unpreußisch war. Vor allem aber ist die Preußische Geschichte als Wegbereiter Hitlers zu Darstellung gelangt. Das lies sich natürlich nur mit dem Mittel grober Geschichtsfälschung verwirklichen. Da hat es nicht wenige gegeben, die es hier zur Meisterschaft gebracht haben. Sie haben sich abgemüht und die Geschichte so hingebogen und sich selbst dabei verbogen. Preußen und NS-Ideologie, das sollte identisch sein. Wer die Preußische Geschichte genauer betrachtet, der wird das genaue Gegenteil feststellen. Hitler war es denn auch, der Preußen ideell und materiell zerstört hat. „ Preußen, das ist Freiheit mit Vernunft,“ so hat es Moltke empfunden. Es gibt eine Freiheit mit Unvernunft. Missbrauch der Freiheit führt dahin, wo Missbrach der Autorität auch hinführt. Beide Wege enden in einem Abgrund. Moltke war aus dänischen Diensten in preußische übergewechselt. Aus seiner dänischen Zeit beschreibt er ein Erlebnis: „ Da ich keine Erziehung, sondern nur Prügel erhalten, so hat sich bei mir kein Charakter ausbilden können. Das fühle ich oft schmerzlich. Dieser Mangel an Halt in sich selbst, dies beständige Rücksichtnehmen auf die Meinung anderer, selbst die Präponderanz der Vernunft über Neigung verursachen mir oft einen moralischen Katzenjammer, der bei anderen gerade aus dem Gegenteil einzutreten pflegt. Man hat sich ja beeilt, jeden hervorstechenden Charakterzug zu verwischen, jede Eigentümlichkeit wie Schösslinge einer Taxuswand fein beizeiten abzukapseln....Wie beneide ich fast alle anderen um ihre Fehler, manchmal um ihre Derbheit, Unbekümmertheit und Geradheit...“ Am 25. Februar 1947 wurde Preußen durch alliierten Kontrollratsbeschluss aufgelöst. Es gab Preußen als Staat de facto ohnehin nicht mehr weder territorial noch im staats- und völkerrechtlichen Sinne, aber sie wollten sich dennoch dieser Mühe unterziehen. Begründet wurde dieser Schritt mit dem Argument, Preußen sei immer ein Hort der Reaktion und des Militarismus’ gewesen. Vergessen war, dass in Preußen- Deutschland das erste umfassende Sozialversicherungssystem errichtet worden war. Und der Militarismus hat Eingang gefunden in allen Armeen der Welt, angefangen mit dem Gleichschritt des Alten Dessauers (1676-1747), und der preußische General von Steuben wurde in Amerika auch nicht verschmäht, um die geschwächte Armee George Washingtons im Unabhängigkeitskrieg(1776-1783) zu reorganisieren. Voltaire(1694-1778); der viele Jahre mit Friedrich dem Großen befreundet war, hätte vielleicht gesagt: „ Sie spucken in die Suppe, damit andere sie nicht essen sollen“. Das eigentlich bescheidene Schloss Otto von Bismarcks, das einsam im Sachsenwald stand, wurde am 29. April 1945 von alliierten Bombern in Trümmer gelegt. Preußen und seine Geschichte und Deutschland und seine Geschichte sollten ganz verschwinden. Nichts sollte mehr daran erinnern. Als Brandenburg anfing, das Zentrum dessen, was einmal Preußen ausmachte, da hatte es nichts. Es hatte nicht einmal fruchtbares Ackerland, auf dem sich Reichtümer hätten erwirtschaften lassen. Spöttisch nannten sie es daher: „Des Kaisers und des Reiches Streusandbüchse“. Niemand will gerne auf einem glorreichen Höhepunkt an die Anfänge erinnert werden. Wer hört heute noch gerne die Geschichte von den Trümmerfrauen, mit denen die „Stunde 0“ begann. Deutschland und Preußen geschichtslos zu machen, bedeutet beides zu entwurzeln. An die Stelle preußischer Erziehung, oder was als propagandistisches Zerrbild davon vorgestellt worden ist, sollte und soll etwas anderes treten. Wann hat Preußen aufgehört zu bestehen? Eine oft gestellte Frage. Preußen ist mindestens zweimal gestorben, das könnte eine Antwort darauf sein. Am Tage der Kaiserproklamation des Zweiten Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871, ging ein Ereignis im Jubel der Versammelten im Schloss zu Versailles unter. Wilhelm I., gerade zum Kaiser ausgerufen, missachtete ganz offen mit einer demonstrativen Geste den Architekten dieses Reiches: Otto von Bismarck(1815-1898). Die unmittelbare Umgebung erfuhr auch den Grund. Weinenden Auges hatte er den Umstehenden seinen Kummer mitgeteilt: „Heute wird Preußen zu Grabe getragen.“ Er muss etwas geahnt haben von dem, was kommen werde, und was dann auch wirklich gekommen ist. Eine Frage ist schon gestellt worden, eine zweite schließt sich an. War Preußen wirklich der Ursprung deutschen Wesens, das ihm mit national- heroischem Aufputz angedichtet worden ist? Wie hatte der König gewirkt, der als der größte in der preußischen Geschichte angesehen wird: Friedrich II.(1712-1786). Dem König, dem die Welt später besondere Größe bescheinigt hat. Augen- und Zeitzeugen schildern ihn mit Dreispitz, einer etwas lotterhaft wirkenden Uniform und ein wenig schräge nach vorn geneigt einhergehend. Bei einem Zusammentreffen mit dem Kaiser Joseph II.(1741-1790) nach dem Siebenjährigen Krieg hatte er zu Ehren seiner österreichischen Gastgeber eine weiße österreichische Offiziersuniform angelegt, die bald mit Schnupftabak bespritzt war. Peinlich berührt erklärte er der umstehenden aristokratischen Gesellschaft: „Ich bin nicht reinlich genug für ihre Uniform.“ Er, der peinlich darauf achtete, dass bei den Revuen jeder Uniformknopf an seinem Platz saß. Im ersten Schlesischen Krieg im ersten Treffen 1741 bei Mollwitz schien das Gefecht verloren, und die Träume eines Eroberers ausgeträumt. Der König, der gerade ausgezogen war sein Reich zu vergrößern, musste fluchtartig das Schlachtfeld verlassen. In Begleitung wollte er in der Festung Oppeln Zuflucht suchen. Das Tor der Festung war verschlossen, und als der König und seine kleine Truppe Einlass begehrten bemerkten sie die österreichische Besatzung. Nicht allen gelang die Flucht mit Ausnahme des Königs. Ein offenes Tor und ein gastfreundlicher Einlass hätte dem österreichischen Naturell eher entsprochen und hätte dem Haus Habsburg viel Ärger mit Preußens Friedrich erspart. Oft war er in den Schlachten des Siebenjährigen Krieges(1756-1763) gefährdet gewesen. In der Schlacht bei Kunersdorf (1759) hatten ihn preußischen Kavalleristen nur mit Mühe vor dem Zugriff eines Reitertrupps Kosaken bewahren können. In der Schlacht bei Torgau(1761), die Reitergeneral Ziethen, der „Ziethen aus dem Busch“, in der letzten Phase noch für Preußen gerettet hatte, als es schon Nacht geworden war, hatte ihn eine verirrte Kugel vom Pferd gerissen. Sie hatte sich, durch eine Tabaksdose aufgehalten, in der Uniform verfangen. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, erkannte er was geschehen war und worauf es ankam. Er erhob sich und erklärte den Umstehenden: „Es ist nichts.“ Als er den Uniformmantel aufknöpfte, und die Kugel, die ihn getroffen hatte in den Schnee fiel, ließ sich einer aus den Reihen, die ihn mit Spannung umgaben, vernehmen: „ Fritz du teilst alles Leid mit uns....“ Niemand sollte etwas über die preußischen Verluste erfahren, das hatte er nach der Schlacht angeordnet. Sie waren höher gewesen als die Verluste der Österreicher. Als der siebenjährige Ringen sein Ende gefunden hatte, begab sich der Schlachtenkönig noch einmal nach Kunersdorf, wo der Untergang Preußens als unvermeidlich angesehen wurde, und wo danach sich das „Miracle des Hauses Brandenburg“ ereignet hatte. Der nächste Gang führte ihn in die Garnisonskirche. Ergriffen hörte er das Tedeum von Graun. Die Prachtkutsche, die ihm der Berliner Magistrat entgegen gesandt hatte, um ihn im Triumph einzuholen, bestieg er nicht. Heimlich begab er sich in sein Schloss, und das Volk in Berlin wartete enttäuscht und vergeblich. Der Franzose d’Alembert, Präsident der Preußischen Akademie hat ihm dieses Verhalten offen zum Vorwurf gemacht. Aber dieser König liebte es nicht, umjubelt zu werden. Er äußerte dazu in dem ihm eigenen Stil: „Kleiden sie einen Affen in bunte Gewänder und setzen ihn so aufs Pferd, dann werden die Leute ebenso zusammenlaufen.“ Er liebte auch keine unterwürfigen Schmeichler um sich. Im Siebenjährigen Krieg befahl er einem Offizier mit einem Trupp Grenadieren, das Schloss Hubertusburg zu plündern. Der legte zum Erstaunen des Königs seinen Degen nieder und ließ den Kriegsherren unumwunden wissen: „Majestät, das ist mit der Ehre eines preußischen Offiziers nicht vereinbar.“ Die Glorifizierung, die später mit Friedrich II. betrieben wurde, findet im Leben dieses Monarchen keinen Niederschlag. Er konnte sich sehr selbstkritisch äußern, an Voltaire schrieb er: „Ich habe den Artikel Krieg in Ihren Enzyklopädischen Fragen mit schaudern gelesen. Wie kann ein Fürst seine Truppen, die eine Uniform von grobem blauem Tuch und Hüte mit einer weißen Schnur tragen, wenn sie sich erst genug haben links und rechts drehen müssen zum Ruhme hinführen, ohne den schönen Titel Räuberhauptmann zu verdienen, da er ja nur einen Schwarm von Müßiggängern unter sich hat, die aus Not gedungene Henker werden, um unter ihm in allen Ehren das Straßenräuberhandwerk zu treiben? Haben Sie vergessen, dass der Krieg eine Landplage ist, die alle anderen zusammen aufwiegt, und mit der obendrein noch alle möglichen Verbrechen verbunden sind?“ Als der Pulverdampf des Siebenjährigen Krieges gerade verzogen war, versammelte der preußische König am Morgen nach seiner Rückkehr die kurmärkischen Landräte um sich. Einer von ihnen trat hervor, um eine Laudatio zu halten. Der König winkte ab: „Sei Er still lasse Er mich reden. Hat Er Crayon (Bleistift)?- Nun so schreibe Er auf: Die Herren sollen aufsetzen, wie viel Roggen zu Brot, wie viel Sommersaat, wie viele Pferde, Ochsen und Kühe ihre Kreise höchstnötig brauchen. Überlegen Sie das recht, und kommen Sie übermorgen wieder zu mir.“ Im friedlichen Aufbau hat dieser Monarch ebenso Größe bewiesen wie als Schlachtenlenker. In vielen englischen Gaststätten der Zeit hing das Bild, aus dem, etwas schräge angeordnet mit Dreispitz, der preußische König herausschaute, dem England nicht weinig zu verdanken hatte. Als England 1761 im Siebenjährigen Krieg, den es in Übersee mit Frankreich führte, die Subsidienzahlungen für Preußen einstellte, bewegte der gerade als Premierminister entlassene William Pitt der Ältere(1708-1778) seinen gichtbeschwerten Körper ins britische Unterhaus, um den Abgeordneten ins Gewissen zu reden, es sei eine Schande für England, Preußen in seinem Kampf alleine zu lassen, auf den Schlachtfeldern in Deutschland seien Britanniens Überseeprovinzen gesichert worden. Der Appell an den Edelmut fand keinen Wiederhall. Als nach der ersten verlorenen Schlacht bei Kolin 1757 Preußen in gefährliche Bedrängnis geriet und dem englischen Bündnispartner den Vorschlag unterbreitete, die britische Flotte solle in den Ostseeraum einlaufen, um russischem Vordringen Einhalt zu gebieten, erklärte der britische Außenminister Lord Holdernesse unumwunden: „Wir führen den Krieg als Kaufleute,“ der Handel dürfe nicht beeinträchtigt werden. Sieben Jahre hatte Preußen mit 4,5 Millionen Einwohnern europäischen Mächten mit einer Einwohnerzahl von 80 Millionen gegenübergestanden. Mehr als einmal vom Untergang bedroht, hatte es überlebt. Können wir uns den König, der es zur Größe geführt hatte, vorstellen mit Adlerhelm und Panzerweste, mit
tressen- und ordenbehangener Galauniform oder mit brillantenbesetztem Marschallsstab? Wir können es nicht, und wir dürfen es auch nicht, es stünde im krassen Widerspruch zu quellenmäßig überlieferten Wirklichkeit. Preußen ist mehrmals gestorben, materiell und ideell. In der Zeit der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 war Preußen unter der Führung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun ein Anker demokratischer Stabilität. Im Juli 1932 wurde die Regierung Braun im so genannten Preußenputsch staatsstreichartig von der Regierung des Reichskanzlers von Papen abgesetzt. Ministerpräsident Preußens wurde Hermann Göring, über dessen krankhafte Eitelkeit im NS-Herrschaftsbereich zahlreiche Flüsterwitze umgingen. Aber das war noch das geringste, wie sich später herausstellen sollte. Er wurde zugleich Reichstagspräsident, weil die NSDAP aus den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 als stärkste Fraktion hervorgegangen war. So weit war es also mit Preußen gekommen. Bismarck hat ahnungsvoll eine Entwicklung vorhergesehen, die sich in dem Zitat wieder findet: „Die Eitelkeit ist eine Hypothek, die von der Leistungsfähigkeit des Menschen, auf dem sie lastet, in Abzug gebracht werden muss, um den Reinertrag darzustellen, der als Ergebnis seiner Begabung übrig bleibt.“ Die Eitelkeit hatte Einkehr gehalten nach dem Abgang Otto von Bismarcks im März 1890. !913, als das Ende des Bismarckreiches nahte, feierte sie noch einmal einen Triumph. Allerkleinste Herrscherpersönlichkeiten hatten in dem kleinen Städtchen Zabern im Elsass die Bevölkerung durch schneidige uniformierte Arroganz gegen sich aufgebracht. Dazu wurde dann noch die Losung ausgegeben: „Immer feste druff.“ Sie meinten mit einem Imponiergehabe Preußen zu vertreten und hatten nicht wahrgenommen, dass Preußen in den wesentlichen Phasen seiner Geschichte das genaue Gegenteil gewesen war. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches war Preußen in Deutschland aufgegangen. Mit einem preußischen Leitgedanken: Esse quam videre (mehr sein als scheinen) war eine Umkehr vollzogen worden hin zu: Mehr scheinen als sein. Friedrich II., den die Welt Größe bescheinigt hat verkörperte den preußischen Leitgedanken und preußisches Wesen. Er ist in Preußen selbst nicht ohne Kritik geblieben. Sogar Bismarck hat kritische Distanz gewahrt. Dennoch ist der Aufstieg Preußens mit Friedrich dem Großen verbunden wie mit keinem anderen preußischen Herrscher. Er hatte seine Grundsätze im Krieg wie im Frieden, die sich in dem Satz wieder finden: „Nur durch emsigste Arbeit, beständige Aufmerksamkeit und viele kleine Einzelheiten kommen bei uns die großen Dinge zustande.“ In den Schlachten der Kriege um Schlesien gab es für ihn keine königliche Sonderbehandlung. Er führte die Truppen nicht mit dem Zeigefinger auf der Generalstabskarte oder von einem Feldherrnhügel. Er war in der Mitte des Geschehens und hatte dennoch den Überblick. Während des Gefechts und auch sonst teilte er die Gefahren und das harte Los und Lager mit den Grenadieren, zu jeder Tages- und Nachtzeit und zu jeder Jahreszeit. Der französische Marschall Belle- Isle, der sich während des Ersten Schlesischen Krieges(1741-1742) im preußischen Lager aufhielt, verfasste einen Bericht an die Regierung des Kardinals Fleury in Paris über das Geschehen: „ Der König befehligt nicht nur seine Armee in allen wesentlichen Dingen, wie jeder andere General auch, er besorgt auch alle übrigen Hauptgeschäfte, die bei uns dem Maréchal de logis der Cavalerie und dem Majorgeneral obliegen, die Beschaffung der Lebensmittel, der Artillerie, das Geniewesen; den Angriffsplan auf Brieg hat er gemacht. Morgens um 4 Uhr steht er auf, steigt zu Pferde und reitet von rechts nach links alle Posten und Umgebungen seines Lagers ab; den Offizieren aller Grade gibt er selber die Befehle und Weisungen, an ihn werden alle Meldungen abgegeben, alle Berichte erstattet. Man führt ihm sogar die Überläufer und Spione zu, die er ebenso ausfragt wie die Gefangenen; davon war ich selber gestern Abend und heute Morgen Zeuge. Gestiefelt ist dieser Fürst vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, trägt die gewöhnliche blaue Uniform und ist kenntlich nur durch seine Orden und eine etwas reichere Epaulette als die seiner Adjutanten.“ Zum Schluss diese Berichtes wird noch ausgeführt, der preußische König habe eher die Lebensgewohnheiten eines Franzosen, als die eines Deutschen. Eine sehr zutreffende Feststellung, denn Friedrich der Große sprach und schrieb fast ausschließlich französisch, und in Wissenschaft und Literatur umgab er sich mit französischen Geistesgrößen. Sein Deutsch in Orthographie und Grammatik muss bei jedem sprachempfindlichen Menschen eine Gänsehaut erzeugen. Kein Land außerhalb Frankreichs war so vom französischem Geist beeinflusst und durchdrungen wie Preußen, angefangen mit den eingewanderten Hugenotten Ende des 17. Jahrhunderts bis hin zur französischen Aufklärungsliteratur, die König Friedrich verinnerlicht hatte, und die ihn in seinem politischen Handeln beflügelte. Die Ideen der Aufklärung versuchte er auf seine Weise in dem Staat zu verwirklichen, dessen erster Diener er sein wollte. Allerdings, für seine deutschen Landsleute hatte er die Losung ausgegeben: „Die seele vohr Got und alles andere vohr mihr.“ Aber König Friedrich war nicht nur ein kriegerischer König. In Friedenszeiten widmete er sich der Aufgabe, die er sich gestellt hatte, mit dem gleichen Eifer. Alles, was dienstbar und nutzbar gemacht werden konnte, erregte seine Aufmerksamkeit, ob Kartoffelanbau, Erfolge einer Schafszucht in Spanien, fortschrittliche Agraranbaumethoden in England oder Seidenraupenzucht, nichts konnte so leicht seinem geübtem geistigen Auge entgehen. Zu allem dienten jährlich durchgeführte Inspektionsreisen dazu, alles unvermittelt in Augenschein zu nehmen. Überall konnte unverhofft die Kutsche des Königs erscheinen, dann hieß es Rechenschaft ablegen, denn er war gut informiert bis in alle Winkel seines Reiches aus dem Stoß Notizen, die er mit sich führte. Um diese Inspektionsreisen ranken sich viele Anekdoten und Geschichten, wahre und erfundene. Hat diese Art des Regierens nicht etwas Erdrückendes für die freie individuelle Entscheidung? Diese Frage ist oft gestellt und unterschiedlich beantwortet worden. Gotthold Ephraim Lessing(1729-1781) hat herbe Kritik geübt am preußischen Wesen, aber er hat Preußen auch sein Stück „Minna von Barnhelm“ gewidmet. Es ist oft behauptet worden, die Preußische Geschichte habe zwei Gesichter. Das ist wohl wahr. Aber welche Geschichte anderer Staaten hat sie nicht? Neben den Regierungsgeschäften hatte der König sich ein Refugium geschaffen: Das waren wissenschaftliche Studien, Philosophie, Literatur und die Musik. Auch auf diesen Gebieten hat er Beachtliches vorzuweisen. Seine schriftstellerischer Nachlass umfasst zweihundert Bände, alles in französischer Sprache. Er las ausschließlich französische Autoren. Sogar im Krieg führte er eine Feldbibliothek mit sich. In seinen Studien suchte er einen Ausgleich: „Mit ihnen will ich mich vergnügen, bis meine Lampe erlischt; sie mildern den Sinn und bewirken, dass sich die Strenge der Vergeltung, die Schärfe der Strafe, kurz alles, was die Herrschergewalt an Härte mit sich bringt, mit Philosophie und Duldsamkeit sich zu einer Mischung paart, deren es bedarf, wenn man Menschen regieren will, die nicht vollkommen sind, und wenn man selbst dabei nicht vollkommen ist.“ Als dieser König am 17. August 1786 das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschte, eilte ihm bereits ein legendärer Ruf voraus, über die Grenzen Preußens hinaus. Aus Caltanisetta auf Sizilien schrieb Goethe(1749-1832) im April 1787: „Wir mussten von Friedrich dem Zweiten erzählen, und die Teilnahme der Einwohner an diesem großen Könige war so lebhaft, dass wir seinen Tod verhehlten, um nicht durch eine so unselige Nachricht unseren Wirten verhasst zu werden.“ Skizzenhaft ist hier ein Stück Preußen aufgezeichnet worden, mit dem König als Vorlage, dem die Welt auch außerhalb Preußens Größe bescheinigt hat. Aber mit Friedrich dem Zweiten oder dem Großen ist das Wesen Preußischer Geschichte noch lange nicht erschöpfend dargestellt oder voll erfasst. Die Geistes- und Kulturgeschichte Preußens ist Vielfalt und auch Gegensätzlichkeit. Da ist nichts uniformiertes zu finden, weil bei dem Begriff Preußen zumeist an Uniformen gedacht wird und an militärische Despotie. Immanuel Kant konnte unter der Ägide eines absolutistischen Fürsten offen die Aussage wagen, er hielte die Republik für die bessere Staatsform. Immanuel Kant, der in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ ein Weltbürgertum und Weltbürgerrecht befürwortet hat. Eine Forderung, die mit der Schaffung der Vereinten Nationen nach Verwirklichung trachtet. Zwischen Preußen und Hitler mit seiner Ideologie besteht ein Gegensatz, wie er größer nicht gedacht werden kann. Nach 1945 sollten Deutschland und seine Menschen umerzogen werden (Reeducation of Germany) Diese Umkehr hatte nicht nur eine Abkehr vom Nationalsozialismus zum Ziel, sie wurde vielmehr gestaltet zu einer Abkehr von der Deutschen Geschichte in ihrer Gesamtheit. Entsprechend dieser politischen Maxime ist dann auch die Deutsche Geschichte zurechtgeschneidert worden. Es wird damit das Ziel verfolgt die geistigen Grundlagen, die ihre Wurzeln in der Geschichte haben und nur dort haben können, zu zerstören. Mit der Zerstörung der geistigen Grundlagen kann die Nation endgültig ausgelöscht werden, die materielle Substanz gerät dann zur Bedeutungslosigkeit. Es bereitet keine Schwierigkeiten über der Deutsch-Preußischen Geschichte, denn die Geschichte beider ist untrennbar miteinander verknüpft, ein negatives Bild aufzuhängen. Genau sowenig bereitet es Schwierigkeiten, über andere vergleichbare Nationen und Staaten ein negatives Bild aufzuhängen. Es kommt immer darauf an, welche politischen Ziele in einem solchen Fall verfolgt werden. Soll aufgebaut oder soll zerstört werden? An der Zielsetzung entscheidet und unterscheidet sich die Auseinandersetzung mit Geschichte. Zwei Beispiele einer Auseinandersetzung mit Geschichte sollen das verdeutlichen: Ein Schreiben an Peter Glotz, einmal Bundesgeschäftsführer der SPD, der heute als Professor in der Schweiz tätig ist und ein Schreiben an Klaus Kinkel, einmal Bundesvorsitzender der FDP und Bundesaußenminister. Die beiden Schreiben an Peter Glotz und Klaus Kinkel sind unter einem Titel zusammengefasst worden, der Preußische Geschichte beleuchtet. Es sind aber auch Themen eingeflochten worden, die zum Zeitpunkt, als die Schreiben verfasst wurden, von besonderer Aktualität waren. Der Balkankonflikt ist angesprochen worden. Die Nachwehen dieser leidvollen Auseinandersetzung mit Krieg, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen sind noch gegenwärtig. Das
Eingreifen der Nato, dem größten Militärbündnis der Geschichte, kam erst zögerlich, dann viel zu spät. Damit vollzog sich eine Politik, für die analog andere politische Entwicklungen in der jüngeren Geschichte herangezogen werden können. Hitler wurde erst machtvoll und stark gemacht und dann bekämpft. Stalin gelangte mit Hilfe westlicher Demokratien zu der Machtfülle gebracht, die er in der Geschichte erreichte. Die Talibanmilizen wurden mit amerikanischen Kapital und Waffen versorgt und konnten so Afghanistan unterwerfen. Osama bin Laden war Agent des amerikanischen Geheimdienstes, bevor Jahre später die Jagt auf ihn eröffnet wurde. Saddam Hussein, gegen den jetzt, während diese Zeilen geschrieben werden, Krieg geführt wird, ist mit massiver Unterstützung der Mächte zu einem politischem Machtfaktor geworden, die jetzt mit Hunger und Bombenteppichen den Irak zur Demokratie erziehen wollen. Der SPD Politiker Oscar Lafontaine hat in einer Fernsehgesprächsrunde das deutlich gemacht mit der Aussage, die Mächte, die den Krieg gegen den Irak betreiben, wollen die Waffen zerstören, die sie selbst einmal geliefert haben. Eine sehr zutreffende Feststellung. 1991 wurden die Schiiten im Süden Iraks in ihrem Aufstand allein gelassen, nachdem sie zuvor ermutigende Zusagen erhalten hatten. Der Giftgaseinsatz des Iraks gegen die Kurden und den Iran hatte die Lieferung des Westens zur Herstellung dieser Waffen zur Voraussetzung. 1991, als gute Voraussetzungen zur Beendigung des Krieges bestanden, wurden diese Möglichkeiten nicht genutzt. Dafür wurde ein Embargo verhängt, das einer halben Million Kindern durch Hunger und Unterernährung ein qualvolles Ende bescherte. Das sind einige Beispiele einer Politik, die auf ein planvolles System schließen lässt, hier einfach von einem „Fehler“ zu sprechen, das greift zu kurz. Zurück zum Balkankonflikt. Die unheilvollen Grundsätze, wie zuvor in aller Kürze geschildert worden sind, fanden auch dort ihre Anwendung. Die Mächte, die erst die serbische Seite unterstützt hatten, ließen Serbien danach fallen. So ist auch den Serben Unrecht geschehen, wie auch den anderen Völkern im ehemaligen Jugoslawien. Der Autor dieser Zeilen hat sich während des Krieges um den Kosovo mehrfach mit dem jugoslawischen Generalkonsul im jugoslawischen Generalkonsulat in Hamburg zu ausführlichen Gesprächen getroffen, um das zu bekunden. Ein Versöhnungsprozess unter den Völkern des ehemaligen Jugoslawien ist jetzt erschwert. Zuviel ist geschehen. Europa wird nur dann eine gedeihliche Zukunft erwarten können, wenn es in versöhnlichem Geist zusammenwächst. Dazu gehört es auf historische Reminiszenzen zu verzichten, in denen traditionsgemäß alte Konfliktmodelle wieder zu politischem Leben erweckt werden. Da wird von der Angst der Polen vor einem deutsch- russischem Zusammengehen gewarnt. Die Verträge von Rapallo werden wieder bemüht. Eine Reihe weiterer Beispiele könnten genannt werden. Wer so Misstrauen unter die Völker Europas sät, schafft altes neues Unheil.
Heinz Drews Hamburg, den 1. Juni 1993 Postfach 605475 2000 Hamburg 60 Herrn Peter Glotz Mitglied des Deutschen Bundestages Bundeshaus 5300 Bonn Sehr geehrter Herr Glotz! Im „Spiegel- Spezial“ Ausgabe Nr. 2/1993 ist unter Ihrem Namen ein Beitrag zu finden, der den Titel trägt: Sehnsucht nach der Staatsidee? In diesem Beitrag ist die Feststellung zu lesen: „Die Angriffskriege Preußens gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870 bereiteten den Boden für die europäischen Katastrophen, die 1914 und 1939 ihren Ausgang nahmen...“ Der Begriff „Angriffskrieg“ ist politisch-ethisch wertmäßig besetzt, und die Verwendung dieses Begriffes in Zusammenhang mit den drei genannten Kriegen muss eindeutig als Geschichtsfälschung angesehen werden. Entweder haben Sie diese Fälschung bewusst begangen im Sinne einer Umerziehungsstrategie, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland betrieben worden ist, oder Sie haben Ihre Äußerungen in Unkenntnis der historischen Fakten gemacht, dann haben Sie leichtfertig gehandelt, und das ist ebenso gravierend. Die Umerziehung, die nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben worden ist, hat in einem Punkt dasselbe Ziel verfolgt, das auch die nationalsozialistische Ideologie angestrebt hat, nämlich die tief greifende christlich-humanistische Tradition der Deutschen Geschichte auszulöschen. Was der Nationalsozialismus zuerst mit Raffinesse und dann mit großer Rücksichtslosigkeit betrieben hat, wird heute mit einer ebensolchen Raffinesse unter dem Deckmantel der Liberalität ins Werk gesetzt. Preußens Kultur- und Geistesgeschichte ist von einer Vielfalt, die apologetische Abhandlungen unnötig macht. Preußen braucht sich auch nicht verstecken gegenüber dem Vorwurf, es habe in seiner Geschichte einen Mangel an demokratischer Tradition aufzuweisen. Als Bismarck 1863 eine Reform des Deutschen Bundes mit einem freien, gleichen und geheimen Wahlrecht in Vorschlag brachte, lief ein Sturm der Entrüstung durch Europa auch in den Ländern, die uns heute als das Vorbild demokratisch- parlamentarischer Entwicklung vor unser historisches Auge gestellt werden. Nicht nur in Preußen war die Ausbildung zur parlamentarischen-demokratischen Staatsform einem längeren Entwicklungsprozess unterworfen. In England erlangten die Frauen erst 1928 das Wahlrecht, und das Klassenwahlrecht wurde dort erst im Februar 1948 abgeschafft und durch den Grundsatz „one man one vote“ ersetzt. „ Die Deutsche Frage wird nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse gelöst, sondern durch Blut und Eisen“. Diese Äußerung Bismarcks wird gern zitiert, um zu beweisen, was für ein rücksichtsloser, machiavellistisch ausgerichteter Machtpolitiker er doch gewesen sei. Eines wird dabei vergessen: Andere europäische Großmächte hatten diesen Prozess schon lange vollzogen, nur mit wesentlich mehr Blut und Eisen. Sogar die USA, die damals noch nicht einmal hundert Jahre alt waren, sind Bismarck hier noch zuvor gekommen in einem Bürgerkrieg von 1861-1865, der an Blutzoll und Grausamkeit alle drei Kriege der Bismarck- Ära übertraf. Sie haben Ulrich Bräker erwähnt mit seinen Schilderungen unmenschlicher Strafen in der preußischen Armee. Nun, solche drakonischen Strafmaßnahmen waren in allen absolutistischen Armeen üblich, sie sind kein ausschließlich preußisches Relikt. Der große liberale englische Staatsmann, William Gladstone, hat sich noch für die Beibehaltung der Prügelstrafe in der englischen Armee eingesetzt, als sie in Preußen schon
lange abgeschafft war. Geschichtsdarstellung sollte nicht dazu dienen, Minderwertigkeitsempfindungen wachzurufen und wach zu halten, wir haben alle Grund genug uns in versöhnlichem Geist zu begegnen. Das gilt auch für die Geschichte dieses Jahrhunderts. Die Weimarer Republik ist nicht von Hitler zerstört worden, sie war schon korrupt und verfault als Hitler sie übernahm und weil sie korrupt und verfault war konnte Hitler sie übernehmen. Den entscheidenden Beitrag zur Zerstörung der Weimarer Republik haben die Siegermächte des Ersten Weltkrieges geleistet, indem sie diesen Staat über alles vernünftige Maß hinaus mit Sanktionen bedacht, gedemütigt und ausgebeutet haben, im Gegenzug haben sie Hitler mit ungewöhnlicher Großzügigkeit alles gewährt, was sie dem demokratischen Staat der Weimarer Republik verweigert haben. Das sind historische Fakten! Zum Maastricht- Referendum in Frankreich am 20. September 1992 konnte „Le Figaro“ unwidersprochen verkünden: „Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg.“ Dahin sind wir also gekommen. Im gegenwärtigen Jugoslawienkonflikt ist dieselbe Mächtekonstellation am Werk wie in den Juni- und Julitagen des Jahres 1914. Es soll am Ende dieses Jahrhunderts offensichtlich noch einmal da begonnen werden, wo und wie es in diesem Jahrhundert schon einmal begonnen hat, diesmal nicht mit deutscher und schon gar nicht mit preußischer Beteiligung. Erlauben Sie mir zum Schluss noch den Hinweis auf die Ablichtungen folgender beigefügter Schreiben: Schreiben an „Spiegel“ – Herausgeber, Herrn Rudolf Augstein, vom 13. Juli 1991, mit dem Antwortschreiben vom 23. Juli 1991. Schreiben an die Redaktion der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 1. November 1992, mit dem Antwortschreiben vom 20. November 1992. Schreiben an das Nachrichtenmagazin „Focus“ vom 3. April 1993. Schreiben mit heutigem Datum an das Bundespräsidialamt. Mit freundlichen Grüßen gez. Heinz Drews Das Schreiben ist unbeantwortet geblieben. |