Heinz Drews Hamburg, den 21. Oktober 1985 Postfach 605405 2000 Hamburg 60 An die Botschaft Israels Simrock- Allee 2 5300 Bonn Im Rahmen meiner Geschichtsstudien stieß ich vor einigen Wochen auf einen Presseartikel aus dem „Hamburger Echo“ in der Ausgaben vom 14. Januar 1933. Der Artikel war ausführlich gehalten und mit folgender Schlagzeile versehen: NSDAP pumpt jüdischen Bankier an 4-5 Millionen Kredit aus Schweden Zitat: „...Markus Wallenberg ist der Beauftragte einer schwedischen Finanzgruppe, die den Nationalsozialisten einen Kredit von 4,5 Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt hat. Für diesen Kredit haben bestimmte Kreise der westdeutschen Industrie eine Ausfallbürgschaft übernommen...“ Zitat Ende Zitat: „...Also die Partei Adolf Hitlers, die die Judenhetze zu ihrem Hauptprogrammpunkt gemacht hat, lässt sich durch einen jüdischen Bankfürsten aus der Geldklemme helfen...“ Zitat Ende Ferner wird in diesem Artikel berichtet, Markus Wallenberg habe sich eigens, zwecks Verhandlungen über besagtem Bankkredit, mit dem Nazi- Führer Hermann Göring in Berlin getroffen. Wie ist es nun mit den Wallenbergs, den Chamberlains, den Daladiers und den Stalins, die alle kräftig mitgeholfen haben Hitler in den Sattel zu heben und dann die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, damit das Pferd kräftig davon galoppieren konnte? Sie haben sicher alle „nichts gewusst“. Wie muss einem Menschen zumute sein, dem es die machtpolitischen Verhältnisse gestatten, politische Fehlentscheidungen der Vergangenheit in verniedlichender Form darzustellen? Das „Hamburger Echo“ war eine große, der SPD nahe stehende Tageszeitung und wurde schon im März 1933 von den Nazis verboten. Der damals im „Hamburger Echo“ dargestellte Tatbestand wirkt noch wesentlich aufschlussreicher, wenn er in den Kontext der damaligen, allgemeinen Entwicklung gestellt wird. Am 6. Juni 1985 wurde in der Fernsehnachrichtensendung „Heute Journal“ zum Fall des KZ- Arztes Mengele eine Information übermittelt, worin es sinngemäß hieß, Mengele sei nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem gefälschtem Pass des Roten Kreuzes über Genua ausgereist und habe sich sogar längere Zeit in den USA aufgehalten. Diese zwei Berichte aus fernerer und näherer Vergangenheit sind ein Indiz für die machtpolitischen Verflechtungen, denen das jüdische und das deutsche Volk zum Opfer gefallen sind. Diese machtpolitische Verflechtung hatte tiefe Wurzeln auch auf internationaler Ebene und nicht nur auf deutscher Ebene. Geschichtsbetrachtungen unter dem Gesichtspunkt der Ausschließlichkeit, wie sie heute vorgenommen werden, sind darum nicht gerechtfertigt. Es ist ein Unrecht gegenüber dem jüdischen und dem deutschen Volk und nicht nur gegenüber diesen beiden Völkern, historische Tatbestände zu verschweigen, um machtpolitisches Prestige aufrechtzuerhalten. Die Forderung, Wege zur Versöhnung zu beschreiten, erhält im Lichte einer andersgearteten Geschichtsbetrachtung seine Berechtigung und entkräftet den Vorwurf, es solle mit dem Begriff Versöhnung leichtfertig über die Leiden der Vergangenheit hinweggegangen werden. Mein Schreiben vom 12. Januar dieses Jahres an die Israelische Botschaft ist bis jetzt mit Schweigen bedacht worden. Für mich hätte eine Antwort viel bedeutet, eine Antwort hätte mir die Möglichkeit eröffnet zu einem intensiven Dialog. Ich werde mir die Freiheit nehmen, dieses Schweigen zu interpretieren, sollte es andauern. Sollte es ein Schweigen der Angst sein aufgrund der bestehenden machtpolitischen Verhältnisse, dann verlöre der Vorwurf, die Deutschen hätten zu wenig Mut bewiesen dem politischen Unrecht zu widerstehen, viel von seiner Berechtigung. Mit freundlichen Grüßen gez. Heinz Drews
Im vorletzten Abschnitt des obigen Schreibens ist eine Abkehr vom
Vergeltungsdenken gefordert. Die dazu nötige Einsicht ist in der allgemeinen
politischen Entwicklung der Gegenwart nur schwach erkennbar. |