Lutherrose
Einleitung

Einleitung   Alle sind an allem Schuld, und ich am allermeisten

(Fjodor M. Dostojewskij 1821- 1881)

Zwei große Gegensätze haben die Deutsche Geschichte geprägt, und das Land an den Rand der völligen Vernichtung gebracht: Der konfessionelle Gegensatz und der soziale Gegensatz. Der konfessionelle Gegensatz, hervorgegangen aus der Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts, spaltete Deutschland in zwei Konfessionen. Das war eine Ausnahmesituation gegenüber anderen europäischen Mächten, wo homogene Konfessionalität gewahrt blieb, wenn auch nicht ohne Erschütterungen. In Deutschland führte die Spaltung im 17. Jahrhundert zum Dreißigjährigen Krieg, der von einem konfessionellen schließlich in einen politischen europäischen Krieg mündete und 1648 im Westfälischen Frieden auf europäischer Ebene ein Ende fand. Der konfessionelle Gegensatz wird in der Zeit danach nie ganz überwunden und hat mehrfach bedrohliche Konflikte hervorgerufen. Zuletzt, nach der Einigung Deutschlands und Gründung des Deutschen Reiches 1871 unter der Führung des preußischen Ministerpräsidenten und nach Reichsgründung des Reichskanzlers Otto von Bismarcks, im Kulturkampf, der einen politischen Katholizismus, der sich in der Zentrumspartei zusammenschloss, zum Widerstand veranlasste, und in einer Äußerung Bismarcks gipfelte: „Nach Canossa gehen wir nicht.“

Ein noch größeres Verhängnis brachte eine andere Spaltung Deutschlands, hervorgerufen durch die sozialen Gegensätze, die im 19. Jahrhundert mit der beginnenden Industrialisierung und unerträglichen Lebensbedingungen für die Menschen eine besondere Zuspitzung erfuhr. Begonnen hatten soziale Unruhen ebenfalls zur Zeit der Reformation im Bauernkrieg, der in den Aufstandsgebieten mit einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß des Schreckens, herbeigeführt durch soziale Gegensätze, für alle Beteiligten endete. Friedrich Engels, der mit der Deutschen Arbeiterbewegung in einem nicht wegzudenkendem Zusammenhang steht, hat das Ereignis in seinem Werk : „Der Deutsche Bauerkrieg“ in Zusammenhang gestellt mit revolutionären Entwicklungen im 19. Jahrhundert.

Nach den Bauernkriegen gelang es den herrschenden Gewalten soziales Aufbegehren dreihundert Jahre zu unterdrücken, bis im 19. Jahrhundert revolutionäre Strömungen, hervorgerufen durch die Aufklärung und die Französische Revolution, unüberhörbar Veränderungen forderten, die nicht mehr ignoriert werden konnten.

Bereits im Vormärz, der Zeit vor 1848, formierten sich Arbeitervereine, die nach der Revolution von 1848 verstärkt politische Rechte und soziale Veränderungen einforderten.

Bismarck, seit 1862 preußischer Ministerpräsident, hatte dafür ein Problembewusstsein entwickelt, und traf sich zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts mehrfach mit Ferdinand Lassalle, der als eigentlicher Begründer der Sozialdemokratie angesehen wird. Die Arbeiterbewegung stand zu dem Zeitpunkt noch in den Anfängen und hatte nur einen geringen Einfluss auf die Strömungen der Zeit, die dominiert wurde von dem Bestreben nach der nationalen Einheit Deutschlands.

Vor der Vollendung der Einheit Deutsachlands im Jahr 1871 war Deutschland in seiner Gesamtheit überwiegend ein Agrarstaat. 1870 betrug der Anteil der Industriearbeiter an der Gesamtbevölkerung 20%. Zehn Jahre später war er auf 25% gewachsen.

1863 gründete Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein(ADAV). Er stirbt 1864 in einem Duell. 1869 gründeten August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach die Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei(SDAP). 1875 kommt es zum Zusammenschluss dieser beiden sozialistischen Strömungen in Gotha. Lassalle war mit seiner politischen Zielsetzung bei den international ausgerichteten Vertretern Bebel und Liebknecht in die Kritik geraten. Ihm wurde vorgeworfen, er habe sich zu sehr den preußischen Staatszielen angenähert.

Auf dem Parteikongress 1875 in Gotha setzte sich die von Marx und Engels vertretene internationale sozialistische Linie durch. Es wird als politisches Ziel der Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung „mit allen gesetzlichen Mitteln“ beschlossen. Zuvor hatte sich Bebel in einer Reichstagsrede am 25. Mai 1871 mit dem Pariser Kommuneaufstand solidarisiert. Das war der eigentliche Anlass für Bismarck gegen die Sozialdemokratie vorzugehen. Bismarck scheiterte jedoch im Reichstag 1874 mit einem Pressegesetz, 1875 mit einer Novelle zum Strafgesetz und im Mai 1878 erneut mit einem Gesetz gegen die Sozialdemokratie. Die Nationalliberalen hatten jedes Mal den Ausschlag gegeben. Nachdem im Mai 1878 ein Attentat auf Kaiser Wilhelm I. glimpflich ausgegangen war, wurde er in einem weiteren Attentat im Juni 1878 schwer verletzt. Jetzt wurde der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen folgten. Sie brachten Gewinne für die Konservativen und Verluste für die Liberalen. Erneut brachte Bismarck einen Gesetzentwurf gegen die: „Die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ ein, der im September 1878 in erster Lesung im Reichstag beraten wurde.

Er führte zum Verbot sozialdemokratischer, sozialistischer und kommunistischer Vereine. Vertreter der Sozialdemokratie konnten jedoch weiter ihr passives Wahlrecht zum Reichstag ausüben.

Von 1883 bis 1889 entstand die von Bismarck durchgeführte Sozialgesetzgebung zur Kranken-, Unfall-, Invaliditäts-, und Altersversicherung.

In dem Umfang, wie sozialistische und sozialdemokratische Einflüsse sich ausbreiteten, verschärften sich auch die Gegensätze. Neben der sozialen Spaltung, durch die gesellschaftliche Schichtung hervorgerufen, entstand innerhalb der Sozialdemokratie die Auseinandersetzung zwischen nationalen und internationalen Sozialisten, die von außen mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet und begutachtet wurde. So ergab sich neben der sozialen Spaltung eine weitere, eine politische Spaltung.

In der Reichstagsdebatte zum eingebrachten Sozialistengesetz bewegten sich Bebel und Bismarck in ihren Reden aufeinander zu, zum letzten entscheidenden Schritt, der zu einer Versöhnung der Gegensätze hätte führen können, kam es jedoch nicht.

So nahmen zwei divergierende soziale und politische Strömungen ihren Verlauf, die für Deutschland zu einem in seiner Geschichte keinem vergleichbaren Verhängnis führten: Der NS-Diktatur, die sich mit der Begriffskombination national und sozial in Szene gesetzt hatte und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Gründung der DDR und einer Diktatur mit Mauern und Sperrzaun.

In seiner Reichstagsrede am 17. September 1878 hatte Bismarck eine Entwicklung, wie sie in der DDR eintrat, vorhergesagt. Die Voraussage ging in Erfüllung. Aber noch eine andere Voraussage ging in Erfüllung: Die von Karl Marx. Nach 1871 hatte er ein Zusammengehen Russlands und Frankreichs vorhergesehen. Zu der Zeit noch etwas völlig Unvorstellbares, das Zarenreich zusammen mit der Republik. Marx hatte seiner Vorhersage hinzugefügt, die Entwicklung werde für die Arbeiter zu einem schweren Rückschlag führen. Auch er sollte Recht behalten.

Die vorliegende Arbeit soll zu der Fragestellung führen, ob und wie solche Entwicklungen hätten verhindert werden können. Eine Fragestellung, zu der auch ein aktueller Bezug hergestellt werden könnte.

Themen

ThemenSeiten AnfangParlamentdebatte 1878

Verantwortlich für den Inhalt der Seiten,Copyright © 2003-2005: Heinz Drews