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Die Gründung des Zweiten Deutschen Kaiserreiches
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Die Gründung des Zweiten Deutschen Kaiserreiches
V. Verfassungen für Deutschland
1. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes
2. Die Verfassung des Kaiserreiches

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3. Die Gründung des Zweiten Deutschen Kaiserreiches

Am 18. Januar wurde König Wilhelm I. im Schloss von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Auf dem Weg dahin mussten Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Es galt die süddeutschen Staaten verfassungsrechtlich und politisch für die deutsche Einheit zu gewinnen. Die Opposition konzentrierte sich an den Höfen Bayerns, Württembergs und des Großherzogtums Hessen- Darmstadt. Das Großherzogtum war 1870 sogar bereit gewesen, sich auf die Seite Frankreich zu schlagen. Den Norddeutschen Bund mit seinen verfassungsrechtlichen Grundlagen wollte Bismarck in den Verhandlungen nicht noch einmal zur Disposition stellen. Der bayerische Ministerpräsident Bray- Steinberg hoffte auf ein Sonderrecht für Bayern, das es als den größten deutschen Mittelstaat Preußen gleichgestellt hätte. Auf Sonderrechte, die auf einen losen Zusammenschluss mit dem Norddeutschen Bund hinausgelaufen wären, lies sich Bismarck nicht festlegen. Ende November 1870 wurden die Verträge unterzeichnet, die danach vom Reichstag des Norddeutschen Bundes und den Süddeutschen Landtagen gebilligt wurden. Elsaß- Lothringen wurde nach seiner Loslösung von Frankreich Reichsland. Bismarcks ursprüngliche Absicht, nur das deutschsprachige Gebiet von Frankreich zu verlangen, stieß von Deutschland aus auf Widerstand. Auf ein Ringen wie in Nikolsburg, um seine Auffassung durchzusetzen, verzichtete er diesmal. Hätte er sich noch einmal auf ein solches Ringen einzulassen, wäre es das Ende seiner politischen Laufbahn gewesen. Immerhin gelang es Bismarck noch weitergehende Forderungen an Frankreich zu verhindern. Bismarcks Friedensbedingungen 1871 müssen als moderat angesehen werden, wenn in Betracht gezogen wird, welche Bedingungen Deutschland vor und nach der Regierungszeit Bismarcks auferlegt wurden.
Als ein weiteres Hindernis, das es zu überwinden galt, erwies sich die Kaiserproklamation. Der Kaisertitel erinnerte an die einstige Größe deutscher Geschichte und konnte das Bestreben nach nationaler Einheit beflügeln. König Wilhelm verspürte wenig Neigung auf den Titel, besonders nachdem ihm Bismarck eröffnet hatte, er dürfe sich nicht Kaiser von Deutschland oder Kaiser der Deutschen, sondern nur Deutscher Kaiser nennen. Es kam über dieser Frage zu heftigen Spannungen. Am 18. Dezember 1870 erschien eine Abordnung des norddeutschen Reichstages vor König Wilhelm, um ihn zu bitten, die ihm von den Fürsten angetragene Kaiserkrone anzunehmen.Die Abordnung wurde angeführt von dem Präsidenten des Reichstages, Eduard Simson, der schon an der Spitze der Delegation der Frankfurter Nationalversammlung stand, die 1849 König Friedrich Wilhelm IV. um die Annahme der Kaiserkrone ersucht hatte. Mit der Kaiserproklamation in Versailles sollte das Zusammengehörigkeitsempfinden der Menschen und Staaten in Deutschland, die kurz zuvor noch ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu erhalten trachteten, neue Kraft, aber auch neuen Glanz verliehen werden.
Oft ist von dem geeinten Deutschland auch von „Großpreußen“ geredet worden. Die historische Wirklichkeit ist wohl eher in dem Satz zu suchen: Preußen ging in Deutschland auf. Keiner hat das so tiefgreifend empfunden wie der nun zum Kaiser gewordene König Wilhelm I. selbst. Er sah Preußen schwinden und verschwinden, daher war der Tag der Proklamation für ihn kein glücklicher Tag, und er stimmte auch nicht ein in den Jubel, der ihn umgab. Keine Geste der Anerkennung auch für seinen Kanzler, Otto von Bismarck, den Architekten der Deutschen Einheit. Der Schmerz über den Verlust Preußens überlagerte sein Wesen. Die Tugenden, die Preußen ausgezeichnet hatten, sie gingen unter in dem Siegestaumel. Wie anders war es doch 1763 gewesen nach dem siebenjährigen Ringen allein gegen drei europäische Großmächte, aus dem Preußen schließlich als Sieger hervorging? Keine Geste des Triumphes, keine Denkmäler und Paraden. Die goldene Kutsche, die der Berliner Magistrat Friedrich dem Großen entgegengesandt hatte, in welcher er Einzug halten sollte in das von Menschen erfüllte Berlin, verschmähte er. Eher heimlich, um allen Beobachtungen zu entgehen, hatte er sich stattdessen in die Garnisonskirche begeben. Innerlich aufgewühlt hörte er das Tedeum von Graun. Er mied die Stadt und die Menschen, heimlich schlüpfte er in sein Schloss. Tags darauf versammelte er die Kurmärkischen Landräte und gab erste Anweisungen für das Rétablissment(Wiederaufbau) des vom Krieg zerstörten Landes. Noch einmal hatte er zuvor das Schlachtfeld von Kunersdorf aufgesucht, auf dem er das Ende Preußens vor Augen gehabt hatte, und wo sich danach das „Miracle des Hauses Brandenburg“ ereignet hatte. Welch ein Irrwitz diesen König und Herrscher, den Stempel Adolf Hitlers aufzudrücken.
1871 war das Ende der napoleonischen Herrschaft gut 55 Jahre alt. In den USA ist am 8. Mai 2004 ein großes Areal als „Memorial“ für die Veteranen des Zweiten Weltkrieges eingeweiht worden, 59 Jahre nach Ende des Krieges. 1998 wurde in Frankreich der achtzigjährigen Wiederkehr des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 gedacht. Als Bundeskanzler Schröder daran nicht teilnahm, geriet er unter heftigen Beschuss der Publikationsorgane.
Am 5. April 2004 reiste die Königin des Vereinigten Königreiches, Elisabeth II., nach Frankreich, zur Erinnerung an die hundertjährigen Wiederkehr des Vertrages zwischen Großbritannien und Frankreich: Der „Entente Cordiale“. Beide Mächte hatten 1904 den gemeinsamen Feind erkannt, nachdem sie sich zuvor über Jahrhunderte hinweg auf allen Weltmeeren um Kolonialgebiete bekriegt hatten.
Unlängst lief in Deutschland eine Debatte über die Errichtung eines Mahnmales für die 15 Millionen Vertriebenen aus dem ehemals deutschen Osten. Die Diskussion darüber ist inzwischen verstummt. In der polnischen Presse kam es zu heftigen Ausschlägen in einer Aufmachung, für kein Verständnis mehr aufgebracht werden kann. Vielleicht kommt einmal der Tag, wo solche Stätten des Gedenkens als Geste gegenseitiger Achtung verstanden werden.

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V. Verfassungen für Deutschland

Das Reich war gegründet mit einem Kaiser an der Spitze. Es hatte mit dem Kaisertum des Mittelalters nicht mehr viel Gemeinsames. Was nach der Gründung anstand, war die innen- und außenpolitische Festigung. Während der Proklamation im Spiegelsaal des Versailler Schlosses war der neue Kaiser umgeben vom Adel, Fürstlichkeiten und militärischem Gepränge. Der gewählte Reichstag trat nicht in Erscheinung. Damit war innenpolitisch eine Richtung vorgegeben, an der später der Reichstag selber und seine Parlamentarier nicht ganz unschuldig waren. Die Proklamation ist in der Zeit selbst nicht ohne Kritik geblieben. War es nötig in Frankreich eine Pracht der Macht zu entfalten? Hätte diese Feier nicht auch in Berlin stattfinden können? Was wäre das für ein Unterschied gewesen? Eine Geste des Triumpfes wäre es trotzdem geblieben. Nachdem Frankreich seinen Arc de Triomph errichtet hatte und Großbritannien die Nelson – Statue, wollte Deutschland am Triumpf in der Geschichte teilhaben. Die Siegessäule in Berlin ist der Nelson – Statue auf dem Trafalgar Square in London täuschend ähnlich. Was andere als natürlich und selbstverständlich ansehen, soll den Deutschen nicht gestattet sein. Die Feiern zum „Sedanstag“ nach 1871 sind in Deutschland selbst nicht ohne Kritik geblieben. Sozialdemokratische Presseorgane zeigten ihre Ablehnung und in katholischen Veröffentlichungen hieß es sogar statt Sedansfeiern: „Satansfeiern“.Die Proklamation hatte ihre Wirkung auch nach außen. Der Ort hatte Symbolcharakter mit Auswirkungen in die Zukunft. Bedenken wurden zerstreut. Seit dem Westfälischen Frieden 1648 hatte Frankreich in Europa dominiert, kulturell und politisch. Die Eroberungszüge Ludwig XIV. und Napoleons I. hatten in Deutschland ein Bewusstsein der Erniedrigung geschaffen. Die Erinnerung daran war 1871 noch wach. So wurde denn dem Sieg ein befreiendes Element zugeschrieben, mit teilweise bedenklichen Äußerungen. In einer Veröffentlichung hatte der Historiker Treischtke Frankreich als eine „barbarische Nation“ bezeichnet. Diese geistige Tendenz wurde auf beiden Seiten gepflegt und kultiviert und somit neuem Unheil der Weg bereitet. Alle späteren Versuche Bismarcks, Frankreich versöhnlich zu stimmen, scheiterten an der vollzogenen Abtretung Elsaß – Lothringens.Der Krieg 1870/71 war kein dynastischer Krieg, er war bereits ein Volkskrieg, in dem nationale Leidenschaften im Vordergrund standen.

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1. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes

Der Verfassungsentwurf zum Norddeutschen Bund wurde im Frühjahr 1867 vom konstituierenden norddeutschen Reichstag angenommen. Den süddeutschen Staaten wurde der Beitritt offengehalten. Ein neuer Akt der Verfassungsgebung sollte auf diese Weise vermieden werden. Einige Grundsätze der Frankfurter Reichsverfassung fanden darin Berücksichtigung. Das Deutsche Reich von 1871 fungierte nicht als Rechtsnachfolger des Norddeutschen Bundes und bestand in einer Erweiterung unter Beibehaltung der Verfassung.
Das Bundespräsidialamt, das der Krone von Preußen zustand, war mit Kompetenzen und Vorrechten versehen. Es konnte Krieg erklären und Frieden schließen und verfügte im Frieden wie im Krieg über den militärischen Oberbefehl. Mit dem Reichstag, der nach dem allgemeinen Männerwahlrecht gewählt wurde- frei, gleich, geheim und direkt- erhielt die Volksvertretung gleichen Anteil an der Bundesgesetzgebung des Gesamtstaates wie die im Bundesrat vertretenen Regierungen der Gliedstaaten. Die Kompetenzverteilung in dem föderativen Staatsaufbau fand eine Regelung, in der die Einheit der Nation gewahrt wurde. Die Bundesmitglieder waren zu einem Gesamtstaat zusammengefasst, in dem Eigenstaatlichkeit und Identität gewahrt blieb. Das Gewicht der Einzelstaaten war verfassungsrechtlich stärker berücksichtigt als in den USA und der Schweiz.

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2. Die Verfassung des Kaiserreiches.

Das Deutsche Reich von 1871, das mit dem Namen Bismarck eng verbunden ist, war keine parlamentarische Monarchie mit Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament. Es war eine konstitutionelle Monarchie mit einer starken verfassungsrechtlichen Stellung des Kaisers. Die laut Verfassung zu einem Bund zusammengefassten 25 Gliedstaaten formierten sich unter dem Namen „Deutsches Reich“ zu einem Gesamtstaat, während der Deutsche Bund nur eine völkerrechtliche Verbindung souveräner Staaten gewesen war.
Die Einheit, die durch Beschluss der Könige, Fürsten und Freien Reichsstädte konstituiert worden war, konnte nicht durch einen neuerlichen Beschluss dieser Gewalten wieder umgestoßen werden. Dazu bedurfte es eines Gesetzbeschlusses des Reichstages als Volksvertretung und des Bundesrates, der Vertretung der einzelnen Gliedstaaten. Beide Verfassungsorgane konnten nicht aneinander vorbeiregieren. Ein weiterer Verfassungsgrundsatz bestand darin, dass Reichsrecht über das Recht der Gliedstaaten gestellt war.
Die oberste Gewalt wurde durch das „Präsidium des Bundes“ gebildet, dem der König von Preußen vorstand, der zugleich Deutscher Kaiser war. Der Kaiser war kein Reichsmonarch und konnte sich nicht „Kaiser von Deutschland“ nennen. Den Kaisertitel führte er als Inhaber der Präsidialgewalt des Bundes. Er war kein Staatsoberhaupt, sondern galt gegenüber den im Reich vereinigten Monarchen, Fürsten und Freien Reichsstädten als Erster unter Gleichen.
Die Verfassung hatte dem Kaiser einen ausgedehnten Macht- und Kompetenzbereich zugestanden, der aber nicht dem Umfang entsprach, wie sie verfassungsrechtlich dem amerikanischen Präsidenten zusteht, der Repräsentant ist und zugleich die oberste Regierungsgewalt in Händen hält. Allerdings wird der Amerikanische Präsident, wenn auch nicht in direkter Wahl, vom Volk gewählt.
Die Regierungsgewalt, die dem Kaiser oblag, bedurfte bei allen Regierungshandlungen der Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Mit der Gegenzeichnung übernahm der Reichskanzler die Verantwortung gegenüber dem Parlament. Dem Kaiser stand das Recht zu, den Kanzler zu ernennen und zu entlassen ohne Rechenschaftspflicht gegenüber anderen Verfassungsorganen. Da der Reichstag das Budgetbewilligungsrecht ausübte, bestand hier für den Kanzler eine Abhängigkeit, die indirekt auch die Entscheidungen des Kaisers berührten. Aus diesem Grunde hatte König Wilhelm I., bevor er die Kaiserkrone annahm, enttäuscht von einem, „Scheinkaisertum“ gesprochen. Kaiser Wilhelm II. versuchte später, die verfassungsrechtlich bestehenden Einschränkungen zu umgehen, was vom Parlament ohne großen Widerspruch hingenommen wurde. Der Reichstag hat nie nennenswerte Anstrengungen unternommen, um seine verfassungsrechtliche Stellung zu verbessern. Zu sehr hatte sich die bürgerliche Gesellschaft, deren Parteien im Reichstag dominierten, dem Lebensstil adeliger Feudalherren angenähert und sich zum Vorbild genommen. Der Reichstag verweigerte 1895 dem entlassenen Reichskanzler Bismarck die Gratulation zum 80. Geburtstag. Immerhin hatte das Deutsche Reich für die Parlamentarier seines Reichstages das fortschrittlichste Wahlrecht geschaffen, das es zu damaliger Zeit gab. Bismarck wurde die Anerkennung versagt. Die verächtlichen Bemerkungen, die Kaiser Wilhelm II. später über seinen Reichstag öffentlich äußerte, wurden dagegen ohne Widerspruch hingenommen, obwohl wirksame Proteste möglich und notwendig gewesen wären.
Kaiser Wilhelm II. habe den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschuldet ist in dieser Schlichtheit oft verbreitet worden. Die deutsche politische und militärische Führung, so hat es nicht selten dazu geheißen, hätte Österreich – Ungarn 1914 die Gefolgschaft verweigern müssen, dann, so wird gefolgert, wäre der Ausbruch des Krieges verhindert worden. Wer kann das wissen? Vielleicht hätte dann die Gegenseite erst recht zum Mittel des Krieges gegriffen. Das Argument träfe auch für die Gegenseite zu: Die Tripelallianz, in welcher Großbritannien, Frankreich und das russische Zarenreich ein Bündnis geschlossen hatten. Hätte eine der drei Mächte die Teilnahme am Krieg verweigert, dann wäre er nicht ausgebrochen. Die Behauptung wäre hier ebenso zulässig. Wer aber kann das wissen, was geschehen wäre wenn?
Renate Riemeck, die Adoptivmutter von Ulrike Meinhof, hat ein Buch verfasst mit dem Titel: „Mitteleuropa: Die Bilanz eines Jahrhunderts“. Darin führt sie einiges aus über Bestrebungen, die schon zur Zeit, als Otto von Bismarck noch Kanzler des von ihm gegründeten Reiches war, außerhalb Deutschlands sich regten mit dem Ziel, das geeinte Deutschland wieder zu zerstückeln. Bismarck wusste das, und seine unmittelbaren Nachfolger wussten es auch. Bismarck hat auf diese Gefahren mit staatsmännischer Weisheit reagiert, seine Nachfolger besaßen diese Fähigkeit nicht. Russland musste 1905 alle seine Kräfte im Krieg gegen Japan einsetzen. In der englischen Presse gingen dazu Berichte um, Deutschland werde diese Gelegenheit nutzen. Als Kaiser Wilhelm II. aus seiner Umgebung heraus entsprechende Andeutungen gemacht wurden, äußerte er sich deutlich, niemals werde er zu so etwas fähig sein. Das alles rechtfertigt nicht die zahlreichen Entgleisungen in den Reden des Kaisers, die einen leichtfertigen Umgang mit der Macht aus Eitelkeit erkennen lassen. 1914, jedenfalls, waren Deutschlands Kriegsgegner wesentlich besser auf den Krieg vorbereitet als Deutschland. Deutschland ist auch nicht einfach in den Krieg hinein marschiert wie Hitlers Armeen.
Der Auslöser zum Ersten Weltkrieg war die russische Generalmobilmachung. Österreich- Ungarn hatte Serbien mit Militärintervention bedroht, was Russland mit einer Teilmobilmachung an seiner Grenze zu Österreich – Ungarn beantwortete. Kriegsbefürworter in der Umgebung des russischen Zaren überredeten ihn, die Teilmobilmachung in eine Generalmobilmachung umzuwandeln. Das war eine diplomatisch geschickt verpackte Kriegserklärung an das deutsche Kaiserreich, die mit einem auf zwölf Stunden befristeten Ultimatum beantwortet wurde. In Publikationen auch in der Gegenwart wird der Versuch unternommen, das Kaiserreich mit der NS- Herrschaft auf eine Stufe zu stellen. Solche Versuche können im Lichte der historischen Wirklichkeit nicht bestehen. Das Kaiserreich war ein Rechtsstaat, dem sich auch der Kaiser in einem verlorenen Prozess unterworfen hat. So etwas wäre im NS- Staat unmöglich gewesen. Wer hätte es schon gewagt den „Führer“ zu verklagen? Im Kaiserreich habe es Antisemitismus gegeben ist anklagend behauptet worden, um damit zu beweisen, im Kaiserreich sei die NS-Herrschaft schon vorbereitet worden. Der Antisemitismus hatte im Kaiserreich nur eine geringe Bedeutung. Es gab eine Partei, die sich dezidiert „Antisemitismuspartei“ nannte und erstmalig 1877 zu den Reichstagswahlen antrat. Das höchste Ergebnis erzielte diese Partei zu den Reichstagswahlen 1907 mit 3,9% der Wählerstimmen. Bei den letzten Reichstagswahlen im Reich 1912 waren es 2,9%
Juden hielten im Kaiserreich Spitzenstellungen inne in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Albert Ballin genoss das Privileg mit ständigem Zutritt zum Kaiser. Der Kaiser hatte die besondere Schwäche sich mit Schmeichlern zu umgeben. Das war der Anlass für Albert Ballin den Grafen Waldersee zu fragen: „Merkt der Kaiser denn das nicht?“ Worauf er zur Antwort erhielt: „Es ist dem Kaiser noch nie zuviel geworden.“ Noch in der Weimarer Republik hatten jüdische Wissenschaftler Spitzenstellungen an deutschen Universitäten, und die Wissenschaftssprache zu der Zeit war weltweit deutsch. Alle späteren Behauptungen aus der NSDAP heraus, die deutschen Juden hätten mit den Juden anderer Nationen auf den Untergang Deutschlands hingearbeitet, sind Geschichtsfälschungen, ganz gelinde gesagt. Was Hitler bewirkt hat, er hat eine Elite deutscher Wissenschaftler, die zur Weltspitze gehörte, außer Landes gejagt, sehr zum Nutzen der Gegner Deutschlands und sehr zum Schaden für Deutschland.
1931, als sich ein Machtanstieg der NSDAP abzeichnete, kam es zu Verhandlungen zwischen der Partei Hitlers und dem abgedankten Kaiser in Schloss Doorn in Holland. Die Verhandlungen, die von NS-Seite von Hermann Göring geführt wurden, erbrachten kein Ergebnis und scheiterten. Als Chef des Hauses Hohenzollern hat Wilhelm II. es allen Familienmitgliedern untersagt, mit der NSDAP überhaupt nur in Verbindung zu treten. Wilhelm II. starb 1941 dem Jahr, in dem die NS-Herrschaft den Zenit ihrer Machtentfaltung erreicht hatte.
Wilhelm II. hatte testamentarisch verfügt, dass seine sterblichen Überreste nicht nach Deutschland überführt werden dürften, solange die NSDAP dort an der Macht sei. Zutreffend hat ein Historiker Kaiser Wilhelm II. als ein Schaf im Wolfspelz bezeichnet.
Die Imperialistische Politik seines deutschen Zeitalters, des wilhelminischen Zeitalters, wurde von anderen Großmächten genauso betrieben. In der Geschichte ist nur Deutschland verurteilt worden. Deutschland sollte eben nicht immer alles nachahmen, was andere vormachen. In die Bismarck – Ära fällt auch die Gründung eines deutschen Kolonialreiches. Auch die deutsche Kolonialgeschichte hat ihre hässliche Seite, das kann niemand bestreiten. Deutschland hat, jedoch, in seinen Kolonialbesitz investiert und ihn nicht nur ausgebeutet. Manches ist davon heute noch sichtbar, und manches ist der Zerstörung anheim gefallen. In Togo hatte diese Politik erste Früchte getragen. Togo hatte vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine aktive Handelsbilanz aufzuweisen.
Was nach dem Ersten Weltkrieg schwerer wog als die materiellen Verluste und die auferlegten Reparationsleistungen für Deutschland, war der Artikel 431 des Versailler Vertrages, der Deutschland die alleinige Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges anlastete. Das hat die Beziehungen der Völker vergiftet, und selbst in der politischen Gegenwart wird dieses Gift weiter versprüht.
Am 7. Mai 1919 wurden einer deutschen Delegation, die unter Leitung des deutschen Außenministers Graf Brockdorff – Rantzau nach Versailles gereist war, die zuvor in Paris ausgehandelten Bedingungen vorgelegt. An den Pariser Verhandlungen selbst war Deutschland die Teilnahme verweigert worden.
Zur Kriegsschuldfrage unterbreitete die deutsche Seite den Vorschlag, die Archive aller am Krieg beteiligten Mächte einer Kommission aus neutralen Ländern zugänglich zu machen. Der Vorschlag wurde mit Schweigen übergangen. Um Deutschland gefügig zu machen, wurde mit der Besetzung des ganzen Landes gedroht. Außerdem sollte die Hungerblockade der britischen Kriegsflotte solange fortgesetzt werden, bis Deutschland sich den vorgelegten Bedingungen gefügt hätte. Die Freiheit der Meere, in dem 14 - Punkte – Programm des amerikanischen Präsidenten Wilson postuliert, blieb unerwähnt. Das war ein Bruch der Waffenstillstandsvereinbarungen von 1918.
Eine Rechtfertigung der Versailler Vertragsbedingungen ist mit dem Argument versehen worden, Deutschland hätte, wenn es den Krieg gewonnen hätte, ebenso harte Bedingungen gestellt. Das ist eine der Konjunktivkonstruktionen, deren Stichhaltigkeit auf den Prüfstand gebracht werden sollte. Was Deutschland getan hätte, wenn es den Krieg gewonnen hätte, kann niemand wissen. Deutsches Entgegenkommen und das Abrücken von seinen Maximalforderungen ist bei Vermittlungsbemühungen, die zuvor stattgefunden hatten, ignoriert worden.

Alles oben gesagte sollte eigentlich längst überwunden sein, aber solange Publikationen im Umlauf sind wie aus dem Beispiel „Spiegel Spezial“ dargestellt, ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, solchen Geschichtsdarstellungen mit differenzierteren Betrachtungen entgegenzuwirken.
Tausend Jahre und mehr hat es gedauert, bis Frankreich und Deutschland 1963 neue Wege beschritten haben. 1963 wurde zwischen Frankreich und Deutschland unter der Führung von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer ein Freundschaftsvertrag geschlossen. In den Jahren danach kam es in Deutschland zu besonders heftigen Gegensätzen zwischen den „Gaullelisten“ und den „Atlantikern“. An den polemischen Äußerungen gegen diesen Vertrag hat sich damals „Der Spiegel“ sehr intensiv beteiligt.

Es gibt keine Rechtfertigung dafür, und es macht keinen Sinn, die Deutsche Geschichte zu
verbiegen, damit immer eine deutsche Schuld und schließlich Adolf Hitler herauskommt.

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1866 bis 1871Seiten AnfangLiteraturverzeichnis

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