Lutherrose
Neu 01
Der Stein des Anstoßes                     Einleitung

Einleitung

November 2005

Das Ärgernis                                  

 

Der Stein des Anstoßes

 

Zum Inhalt der folgenden Schreiben, die unter dem Thema Das Ärgernis zusammengefasst werden, sind zum besseren Verständnis einige Erläuterungen notwendig

 

Die Stellungnahmen erstrecken sich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren und umfassen die unterschiedlichsten Themen. Wichtig wäre eine Erkenntnis, welche Aktualität die Ausführungen gegenwärtig noch besitzen.

 

Es geht um die Betrachtung folgender Schreiben, die aus unterschiedlichen Anlässen und Anliegen an diplomatische Vertretungen, verantwortliche politische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Pressevertretern gerichtet worden sind:

 

- Bundespräsident Horst Köhler 5. Juli 2005

- Israelische Botschaft 12. Januar 1985

- Griechische Botschaft 16. Februar 1985

- „Spiegel“ – Redakteur Rainer Weber 9. März 1985 mit persönlichem Antwortschreiben vom 12. März 1985

- Bundespräsident Richard von Weizsäcker 6. August 1985 mit persönlichem         Antwortschreiben vom 27. August 1985

- Vortrag Bundespräsident Richard von Weizsäckers am 8. Juni 1985 vor dem 21. Deutschen Evangelischen Kirchentag

- Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland  4. Mai 1998 mit persönlichem Antwortschreiben vom 15. Mai 1998

 

Drei der genannten schriftlichen Stellungnahmen bilden in ihrem Inhalt das große Ärgernis, das zu einem umfangreichen Rechtsstreit geführt hat, der noch nicht abgeschlossen ist.

Diese drei der angeführten Schreiben müssen hier genannt werden:

-Israelische Botschaft 12. Januar 1985

-Griechische Botschaft 16. Februar 1985

-Bundespräsident Richard von Weizsäcker 6. August 1985

 

Ein zentrales Thema in den angeführten Schriften ist eine seit Jahrzehnten betriebene irreführende Geschichtsdarstellung, die darauf abzielt und den Eindruck hervorruft, als gäbe es in der Deutschen Geschichte nichts anderes als Hitler. Er gilt  seit Jahrzehnten als der Mittelpunkt aller Betrachtungen. Alle großen Linien, die Deutschlands Geschichte ausmachen, konzentrieren sich in Hitler und der NS- Ideologie. Alle Schätze der Deutschen Geschichte werden mit System zugeschüttet. Lähmendes Entsetzen über die Deutsche Geschichte wird so wachgerufen und wach gehalten. Kulturelle Eigenständigkeit und ein in der Geschichte wurzelndes Selbstbewusstsein werden unmöglich gemacht.

Die deutsche Bereitschaft, selbstkritisch mit der eigenen Geschichte aufzuräumen, ist von außen auf wenig Gegenliebe gestoßen, diese Bereitschaft ist eher rücksichtslos ausgenutzt worden. Eine spezifisch deutsche Mentalität mit einer Unterwürfigkeit, die oft irrationale Züge annimmt, hat den genannten Auswirkungen Vorschub geleistet.

 

Es gibt gesetzliche Bestimmungen, die es Professorinnen und Professoren, die an deutschen Universitäten Geschichte lehren, verbieten, Vorlesungen und Seminare zum Münchener Abkommen oder zum Hitler- Stalin- Pakt anzubieten. Das gilt auch für andere Bildungseinrichtungen sowie für Gerichte und Behörden.

Was damit erreicht werden soll, ist einsichtig,  denn es dürfen keine historischen Ereignisse in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangen, die das kollektiv erzeugte Schuldbewusstsein beeinträchtigen.

Die Auswirkungen auf den Wiedervereinigungsprozess liefern hierzu Erkenntnisse. Es geht nicht nur um die wirtschaftlichen und materiellen Folgen, auch der geistige Zusammenhalt ist beeinträchtigt. Seit der vollzogenen Wiedervereinigung Deutschlands, ist aus der Politik heraus keine Bereitschaft zu erkennen, diese Entwicklung aufzuhalten oder ihr entgegenzuwirken.

Wie bereits angekündigt, sollen die angeführten Schreiben und Veröffentlichungen mit einer kurzen Kommentierung versehen werden.

Es beginnt mit dem Schreiben vom 5. Juli 2005 an Bundespräsident Köhler, dem das Schreiben vom 6. August 1985 an Bundespräsident Weizsäcker mit dem Antwortschreiben vom 27. August 1985 beigefügt war. In dem Schreiben an Bundespräsident Köhler sind auch wirtschaftspolitische Entwicklungen der Gegenwart angesprochen. Das Schreiben ist unbeantwortet geblieben.

Es folgt ein Schreiben an die Israelische Botschaft vom 12. Januar 1985. Das Schreiben wurde nicht beantwortet und die darin vertretene Tendenz stieß später auf Ablehnung. Mit Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts änderte sich diese Haltung und es entwickelte sich ein reger Schriftwechsel mit der Israelischen Botschaft, der bis zu Beginn des neuen Jahrhunderts angedauert hat. Der Schriftwechsel wurde in 2000 von der Israelischen Botschaft beendet, dennoch hat er für das politische Anliegen, um das es ging und geht, Rückhalt und Zuversicht ausgelöst. Einen Rückhalt und eine Zuversicht, wie sie von deutscher Seite ausgeblieben ist, und nicht nur das, es hat von deutscher Seite besonders rücksichtslose Versuche gegeben, derartige Veröffentlichungen zu unterbinden.

Das Schreiben an die Griechische Botschaft vom 16. Februar 1985 ist theologischen Inhalts und setzt sich mit einer theologischen Richtung auseinander, die von der Theologie des Reformators Johannes Calvin( 1509-1564) geprägt ist, oder sich in der Interpretation darauf stützt. Der amerikanische Protestantismus, der seinen Ursprung und sein Sendungsbewusstsein aus der Einwanderung der in England im 17. Jahrhundert verfolgten Puritaner herleitet, ist darin angesprochen. Der Einfluss dieser auf ein theologisches Dogma gestützten Ideologie ist auch in der gegenwärtigen amerikanischen Politik nachhaltig erkennbar, und hat in jüngster Vergangenheit manche Kontroverse ausgelöst. Darum sind zum besseren Verständnis einige  Erläuterungen nötig.

Anders als in der Reformation Martin Luthers verknüpft Calvin religiöses, in diesem Fall christliches Bekenntnis, mit Staat und Politik. In der Entwicklung des lutherischen Bekenntnisses ist schließlich auch zu einer engen Verbindung zwischen Staat und Kirche gekommen, das war aber von Luther nicht so gewollt. Er wollte in seiner Reformation zwischen Glauben und Politik  und Staatsaufbau, eine Trennung vollziehen und begründete darauf seine „Zwei- Reiche Lehre“. Das zeigt sich besonders in seiner Haltung im Bauernkrieg, indem er den Bauern vorwarf, sie verknüpften politische Forderungen mit der Evangeliumsverkündigung. Luther wollte seine theologische Reformation auch nicht auf revolutionäre Gewaltanwendung begründen und so auf staatliche und politische Verhältnisse übertragen.

Anders Johannes Calvin. Er übertrug seine auf theologische Lehrsätze begründete Reformation auch auf einen Staatsaufbau und begründete in Genf seinen „Gottesstaat“.                 

In diesem Staat sind um die 300 Menschen verbrannt worden. Als herausragendes Ereignis kann die Verbrennung des Spaniers Michel Servet angesehen werden, die Calvin angeordnet hatte, weil es zu unterschiedlichen Auffassungen in der Dreieinigkeitslehre gekommen war. Der Vollzug dieser Verbrennung war von besonderen Grausamkeiten begleitet. Das aufgeschichtete Brennholz war nass und verbrannte langsam und vergrößerte so die Qual. Der jüdische Schriftsteller Stefan Zweig behauptet in seinem Buch: „Castellio gegen Calvin. Ein Gewissen gegen die Gewalt“, Calvin habe das angeordnet. Der Schweizer Theologe Walter Nigg sieht dagegen darin ein ungewolltes Versehen.

In der angelsächsischen Kirchengeschichte hat die calvinistische Theologie einen dominierenden Einfluss ausgeübt besonders in den USA mehr als im Vereinigten Königreich., und das über die unterschiedlichen protestantischen Denominationen hinweg.

Das  17. Jahrhundert war für die britischen Inseln ein Jahrhundert der Bürgerkriege. In den Kämpfen ging es nicht nur um theologisch begründete Reformen und damit um Reformen des Kirchen- und Glaubenslebens.  Mit den Kämpfen, die ihren Ausdruck in militärischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen fanden, war auch eine Reform und Umgestaltung des Staates, der Gesellschaft und des politischen Lebens verbunden. 1649 wurde König Karl I.(1625-1649) enthauptet, und die Macht gelangte in die Hände des Lordprotektors Oliver Cromwell(1653-1658), ein Puritaner und Calvinist ohne Abstriche. Seine Herrschaft dauerte fünf Jahre bis König Karl II. (1660-1685)den Thron bestieg, und die Monarchie wiederhergestellt wurde.  Im Zentrum calvinistischer Theologie steht die Prädestinationslehre, die Lehre von der Gnadenwahl, die dem Menschen jede freie Entscheidung abspricht und der Bestimmung der Allmacht Gottes unterwirft. In den religiösen Kämpfen des 17. Jahrhunderts war das in England und Schottland eine Frage, die über Leben und Tod entschied. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Puritaner Verfolgungen ausgesetzt, was zu verstärkten Auswanderungen in die Neuenglandstaaten führte, aus denen später die USA hervorgingen. Ein Identität stiftendes Merkmal für die amerikanische Geschichte ist die Anlandung der „Mayflower“ 1620 mit aus England geflohenen Puritanern.

Mit dem Abgang des Lordprotektors Oliver Cromwell 1658 hatte die katholische Kirche England noch nicht für sich verloren gegeben. Die Kämpfe zogen sich hin und endeten 1688 mit der „Glorious Revolution“, nachdem König Jakob II.(1685-1688) noch einmal versucht hatte, England für den katholischen Glauben zurückzuerobern. Auf dieses Ereignis ist die angelsächsische Welt besonders stolz. Die Monarchie blieb zwar erhalten, musste sich aber einem parlamentarischen System unterwerfen. Es war die Geburtsstunde des Parlamentarismus im Gegensatz zum Kontinent, wo absolutistische Herrschaftsformen die Oberhand gewannen. Die parlamentarische Herrschaftsform im England des ausgehenden 17. Jahrhundert darf nicht mit der parlamentarischen Demokratie unserer Tage verwechselt werden. Nicht einmal 2% der Bevölkerung hatten das Wahlrecht, es war beschränkt auf die besitzenden und herrschenden Klassen, besonders den Adel. Eine erste Wahlrechtsreform erfolgte in Großbritannien 1832 eine weitere folgte 1867. Beide Wahlrechtsreformen waren an Besitzstände und Privilegien gebunden. Das Wahlrecht zum Deutschen Reichstag nach 1871 im Vergleich dazu war frei, gleich und geheim. Allerdings war es auf ein Männerwahlrecht beschränkt. Dennoch wurde in Deutschland das Wahlrecht für Frauen noch vor den USA, dem Vereinigten Königreich  und Frankreich eingeführt. Gänzlich abgeschafft wurde das Zensuswahlrecht im Vereinigten Königreich erst im Februar 1948. In Nordirland galt bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Dreiklassenwahlrecht.

Für die angelsächsische Welt wurden im 17. Jahrhundert die entscheidenden Weichen gestellt. Leopold von Ranke( 1795-1886), dessen Geschichtswerk 54 Bände umfasst, hat diese Zeit Englischer Geschichte in den Mittelpunkt seines zweibändigen, jeweils 700 Seiten umfassenden Werkes zur Englischen Geschichte gestellt.                                     

Sir Winston Churchill, der sich auch als Historiker einen Namen gemacht hat, äußert sich in seiner „Geschichte der englisch sprechenden Völker“ über Leopold von Ranke, indem er Rankes Darstellung als das Beste bezeichnet, was je über Englische Geschichte geschrieben worden ist.

Wenn Winston Churchill über einen deutschen Historiker einen solches Urteil fällt, dann hat das wirklich etwas zu bedeuten.

Leopold von Ranke hat eine Weisheit zur Geschichtskenntnis hinterlassen, für die ein besonderer aktueller Bezug hergestellt werden kann: „Ein Volk, das seine Geschichte nicht kennt, wird erleben, daß ihm eine schlechte Geschichte gemacht wird.“ Der Ausspruch weist hin auf einen Tatbestand, der nicht auf die aktuelle Gegenwart beschränkt ist.

Die Reformation Martin Luthers hatte nicht gleichzeitig eine politische Reform angestrebt, so wie es im angelsächsischen Raum bewusst angelegt war und sich vollzogen hat. Luther ist daraus ein Vorwurf erwachsen, er habe, so ist nicht selten behauptet worden, der Begründung des Obrigkeitsstaates Vorschub geleistet. Wer solche Vorwürfe erhebt, der müsste erst einmal der Obrigkeit Widerstand geleistet haben, wie es Luther mit seinen Auswirkungen vollbracht hat. Politische Reformbestrebungen hat es .zu Luthers Zeiten sehr wohl gegeben, nicht nur von Seiten der Bauern, sondern auch aus anderen Gesellschaftsschichten heraus.

Martin Luther war bestrebt, eine Verbindung von Evangeliumsverkündung mit revolutionärer politischer Gewalt zu vermeiden. Hier konnte sich Luther auf den christlichen Kanon der Heiligen Schrift stützen. Im Neuen Testament, dem Buch des christlichen Glaubens, finden wir nirgends auch nur ansatzweise einen Hinweis auf die politischen Verhältnisse der Zeit, in der es geschrieben wurde. Der Weg des Christentums zur Staatsreligion des Römischen Reiches ist nicht mit militärischer Gewalt erreicht worden. In späteren Zeiten hat sich die Kirche dennoch zum Machterhalt auf staatliche Gewalt gestützt.

Am 10. Mai 2003 wurde in einer Nachrichtensendung des ARD- Fernsehens der siebzigjährigen Wiederkehr der von der NSDAP groß angelegten Bücherverbrennung 1933 gedacht. In dem Kommentar hieß es dazu, solche Bücherverbrennungen gingen auf Martin Luther zurück. Diese Darstellung gründet sich entweder auf grobe Unkenntnis der Zusammenhänge oder auf böswillige Geschichtsfälschung und zeigt, mit welchen Mitteln historische Ereignisse herangezogen werden, um auf die gegenwärtige Politik einzuwirken.

Martin Luther hat den theologischen Standpunkt eingenommen, der Staat habe nicht das Recht, sich in  Glaubens- und Gewissensfragen seiner Bürger einzumischen. Darüber hinaus hat Luther geäußert, es bestünde nicht die Notwendigkeit Christ zu sein, um einen Staat zu organisieren, das könnten die Heiden auch, und sie könnten es vielleicht noch besser. Luther hat mit solchen Positionen ein Stück Aufklärung vorweggenommen.

In Amerika gilt die strikte Trennung von Staat und Kirche. Dennoch sind vorwiegend protestantische Kreise sehr eng mit der Politik des Staates verknüpft, enger als die so bezeichneten „Staatskirchen“ in Deutschland.

Dem  angeführten Schreiben vom 9. März 1985 an den „Spiegel“ –Redakteur Rainer Weber war das Schreiben vom 12. Januar 1985 an die Israelische Botschaft beigefügt. Eine in beiden Schreiben vertretene Tendenz hat bei Rainer Weber in einem persönlichem Schreiben eine besondere Anerkennung gefunden.

Das Schreiben an Bundespräsident Weizsäcker vom 6. August 1985 hat Richard von Weizsäcker ausführlich persönlich beantwortet. Diese Tatsache hat oft Zuversicht vermittelt, wenn dunkle Wolken sich über die angesprochene Thematik und ihre Veröffentlichung ausgebreitet haben.

Bundespräsident Weizsäcker hatte seinem Antwortschreiben einen Vortrag beigefügt, den er am 8. Juni 1985 auf dem 21. Deutschen Evangelischen Kirchentag gehalten hatte. Darin wird die von Otto von Bismarck 1871 herbeigeführte Einigung Deutschlands angesprochen und festgestellt, die Einheit sei der Freiheit vorgezogen worden. Damit wird Bismarcks staatsmännische Leistung ungerecht beurteilt. Das Wahlrecht zum Deutschen Reichstag war das fortschrittlichste Wahlrecht, das es damals in Europa gab. Die verfassungsrechtliche Stellung des Reichstages ist vielen kritischen Betrachtungen unterzogen worden.                                                                      Der Reichstag besaß das Budgetrecht und das Gesetzgebungsrecht, somit konnte kein anderes Verfassungsorgan am Reichstag vorbeiregieren.

Kritik an der Geschichte von deutschen Politikern erwecken zeitweise den Eindruck, als bestünde für die deutsche Politik die Verpflichtung zu einem geistigen Tribut.

Auf das Schreiben an den verstorbenen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, vom 4. Mai 1998 ist ein persönliches Antwortschreiben erfolgt, über das noch einige Anmerkungen nötig sind.

Ein Ereignis dazu vorweg:. Anlässlich eines Vortrages, den Ignaz Bubis an der Universität Hamburg gehalten hat, wurde hinter seinem Rücken ein Spruchband entrollt, worauf zu lesen stand: „Sind Sie auch stolz ein Deutscher zu sein“?

 Drei der oben erwähnten Schreiben sollen noch einmal einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden. In dem Schreiben an die Israelische Botschaft vom 12. Januar 1985 sowie in dem Antwortschreiben von Bundespräsident Weizsäcker vom 27. August 1985 und in dem Antwortschreiben von Ignaz Bubis vom 15. Mai 1998 ist jeweils der Name John  McCloy(1895-1989) erwähnt. McCloy war von 1949 – 1952 Hoher Kommissar der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland.

Seine Erwähnung in den genannten Schreiben steht in Zusammenhang mit der Entscheidung der Roosevelt- Administration  die Vernichtungsanlagen im Konzentrationslager Auschwitz nicht zu bombardieren. Die Entscheidungsbefugnis lag aber nicht in den Händen von John McCloy, sondern in den Händen von Präsident Roosevelt. Sein jüdischer Finanzminister Henry Morgenthau hat bei seinem Präsidenten mehrfach darauf gedrungen, etwas zu unternehmen. Er ist auf Ablehnung gestoßen. Darüber gibt es einen ausführlichen Beitrag im „Hamburger Abendblatt“ in der Ausgabe vom 2. September 1999, der sich auf authentische Quellenforschung stützt.

Die angelsächsischen Mächte hatten genaue Kenntnis über die von den NS-Machthabern durchgeführten Vernichtungsaktionen.

1990 vollzog sich die Wiedervereinigung des bis dahin geteilten Deutschlands. Die anderthalb   Jahrzehnte danach sind eine Geschichte des Scheiterns. Niemand will das so recht wahrhaben, aber die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Die Wiedervereinigung war nicht nur materiell ein Misserfolg, sie ist vor allem auf der geistig-kulturellen Ebene misslungen, und das wiegt schwerer. Ob eine Umkehr auf dem falsch beschrittenem Wege möglich ist, hängt ab vom politischen Willen, von dem politische Führung und Gesellschaft getragen sind oder sich tragen lassen wollen.

Im Juni 1990 hatte noch der  DDR- Ministerpräsident, de Maizière verkündet: Wir wollen kein deutsches Europa, wir wollen ein europäisches Deutschland, und Theo Waigel später als Finanzminister ließ verlauten: Wir müssen jetzt vom Ausland lernen. So wurde von Anbeginn der Wiedervereinigung, von außen wie von innen, eine nationale Prestigefrage gesehen. So geht es bis heute. Täglich werden wir darauf hingewiesen wie hervorragend die Wirtschaft in anderen Ländern sich nach vorne entwickelt. Das geht aber häufig an der politischen und wirtschaftspolitischen Wirklichkeit vorbei. Aber das ist nicht entscheidend. Es gibt etwas von größerer Bedeutung und Wichtigkeit.

Nach der 1990 vollzogenen Wiedervereinigung hätte die Aufbauphase Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg Vorbildfunktion haben können und müssen. Das war allgemein nicht erwünscht. Das Streben nach einem zweiten Wirtschaftswunder wäre auf außenpolitische Widerstände, besonders in der westlichen Welt, gestoßen. Es hätte auch bei den Menschen in Deutschland Ablehnung hervorgerufen. Während der Fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit spöttischen Abstand gedacht wurde, hatten die Menschen des Jahres 1990 Deutschland in einen Freizeitpark verwandelt. In den Fünfziger Jahren betrug die tariflich festgesetzte Arbeitszeit 48 Stunden, und der Jahresurlaub zwei Wochen.

Die wirkliche Arbeitszeit lag zwischen 60 und achtzig Stunden in der Woche. Für Handwerker begann die Lebensarbeitszeit mit 15. Jahren.1990 hatte der Kampf um die 35- Stundenwoche eingesetzt, Die Urlaubszeit war auf sechs Wochen im Jahr ausgedehnt worden.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen, die sich mit der Wiedervereinigung ergaben, wurden auf eine Staatsverschuldung abgewälzt, die immer gigantischere Ausmaße annimmt. Diese Staatsverschuldung, die sich schon jetzt als für Deutschland untragbare Last erweist, soll bis zum Jahre 2019 fortgesetzt werden. Dann, so optimistische Prognosen, werde der „Wiederaufbau Ost“ vollzogen sein.

Deutschland steht am Rande eines Abgrunds, der Abhang ist steil, und um  den Sturz in die Tiefe abzuwenden, muss das politische leichtfertige Tändeln und Tänzeln ein Ende nehmen, wie es in der deutschen Politik zu beobachten ist. Nie ist seit der Wiedervereinigung ernsthaft das Notwendige in Angriff genommen worden. Der Zeitpunkt der Wiedervereinigung 1989 und 1990 und die Entwicklung, die schließlich dazu geführt hat, war von politischen Risiken umgeben, über die eine Offenlegung seither umgangen wird. Daher war das Aushandeln der Wiedervereinigung von Hektik begleitet, die Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen mit sich brachte. Nach der vollzogenen Wiedervereinigung hätte gegengesteuert werden müssen. Dazu war aber erkennbar der politische Wille nicht vorhanden weder in der Politik noch bei den Menschen in Deutschland, und daran hat sich in den fünfzehn Jahren seit der Wiedervereinigung nichts geändert. Der ganze Streit um die Lohnnebenkosten kann als Beispiel dazu dienen. Mehr arbeiten wie in der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, achtundvierzig Stunden in der Woche, ist nicht erwünscht, wobei die technischen Errungenschaften zu berücksichtigen sind, die heute, runde fünfzig Jahre danach, das Arbeitsleben erleichtern. Vier Wochen Urlaub im Jahr wären genug, dazu eine Vierzigstundenwoche, dann stünde Deutschland immer noch gut da. In Japan gibt es nur eine Woche, in den USA zwei Wochen. Ein solches Opfer, wenn die Menschen in Deutschland dazu bereit wären, ist sinnlos, solange  Hedgern und ihren Fonds die Möglichkeit eingeräumt wird, die Früchte des Fleißes durch eine Diktatur des großen Geldes zunichte zu machen. Den Aufbau- Ost über eine gigantische Staatsverschuldung zu finanzieren, stand im krassen Gegensatz zur Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. An die Fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wollte und will niemand mehr erinnert werden. „Der Spiegel“ spricht denn auch regelmäßig, spöttisch von dem „Mief“ der Fünfziger Jahre. Die Geschichte wird ein Urteil fällen über die Verachtung, die der Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg und den Bedingungen, unter denen sie vollzogen wurde, entgegengebracht wird. Und das Urteil wird unerbittlich ergehen.

Das europäische Deutschland soll hineingepresst werden in das Prokrustesbett der Konvergenzkriterien des europäischen Stabilitätspaktes, so wie in das Prokrustesbett der Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg,. und wenn es nicht hineinpasst, dann werden Arme und Beine abgehakt. Denn es wird  bei Nichteinhaltung mit Strafzahlungen gedroht, was nichts anderes bedeutete als die Ausweitung einer bereits katastrophalen Entwicklung. Am 5. November 2005 äußerte sich Helmut Kohl im Fernsehkanal Phoenix anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der „Konrad- Adenauer- Stiftung“. Er gab darin den Hinweis, wie Frankreich in einem Zeitraum vor der Wiedervereinigung alle sechs Monate von einer Währungskrise heimgesucht wurde.          

Es war aber nicht nur Frankreich, dessen Währung durch Stützungskäufe der Deutschen Bundesbank über Wasser gehalten wurde. Andere Währungen könnten genannt werden, den Dollar eingeschlossen.  Dreistellige Milliardenbeträge sind so von der Deutschen Bundesbank abkassiert worden, Wie viel genau, dazu müsste die Bundesbank die Archive öffnen. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg weist Deutschlands Handelsbilanz zwei und dreistellige Milliardensummen an Überschuss aus.

Milliardensummen bringen deutsche Touristen jährlich   ins Ausland. Milliardensummen haben seit 1960, dem Jahr, als die ersten „Gastarbeiter“, wie sie damals genannt wurden, nach Deutschland kamen, jährlich in ihre Herkunftsländer transferiert. Alles vergessen, hämisch und voller Schadenfreude blickt eine Welt auf Deutschland. Billionensummen kommen da, über die Jahrzehnte gerechnet, zusammen. Kapital, das heute eingesetzt werden kann, um Deutschland aufzukaufen.

 Die mannigfache Ausnutzung Deutscher Kapazitäten nimmt ihren Verlauf.  18000 deutsche Spitzenwissenschaftler arbeiten gegenwärtig in den USA. Gar nicht zu reden von der amerikanischen Industriespionage, die von den Abhöranlagen im bayrischen Bad Aibling aus betrieben wird. Darüber hat es oft in aller Öffentlichkeit Presseberichte gegeben. Als der Bundesnachrichtendienst etwas dagegen unternehmen wollte, wurde das vom Bundeskanzleramt unter der Direktive von Bundskanzler Kohl verhindert. Nachzulesen in einer „Spiegel“ Ausgabe vom  März 1997 unter dem Titel: „Dinner for two“. Wie viel deutsche Erfindungen werden von außerhalb Deutschlands vermarktet: Der Flachbildschirm, so wurde unlängst vermeldet, sei eine deutsche Erfindung, das Milliardengeschäft machen andere. Der Hybrid- Motor, so ließ Bundesaußenminister Fischer verlauten, sei auf der Technischen Hochschule in Aachen entwickelt worden, vermarktet wird er von Japans Toyota. Hollywood wird aus deutschen Steuermitteln finanziert, deutsche Reeder kassieren Milliarden an Subventionen aus deutschen Steuermitteln und lassen dafür in Korea bauen. Damit wird es jetzt ein Ende haben, verkündete Chefredakteur Volker Jakobs vom Nachrichtensender nt-v in einem Kommentar zu den Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer großen Koalition unter Angela Merkel.

Ganze Industriesparten, in denen Deutschland von 1949 bis 1969 eine Führungsposition errungen hatten, sind gestorben oder liegen im Sterben: Unterhaltungselektronik, Kameraindustrie, Motorradindustrie, Schiffbau, um nur einige Beispiele zu nennen. Alles leichtfertig verschleudert und aus den Händen gegeben. Die deutsche Atomforschung hatte sich eine weltweite Spitzenstellung erworben, sie wurde, unter Hinweis auf den damit verbundenen Risiken, niedergelegt in der naiven Annahme, die übrige Welt würde diesem Beispiel folgen. Das Gegenteil geschah, deutsche Atomwissenschaftler arbeiten überall in der Welt, besonders in den angelsächsischen Ländern und Frankreich..

1968 gelang es einer so genannten Studentenrevolte, die bundesdeutsche Gesellschaft umzukrempeln, die berechtigte Kritik war aber nicht konstruktiv angelegt, sondern bewirkte die Zerstörung alles dessen, was bis dahin erreicht worden war.

1982 übernahm Bundeskanzler Helmut Kohl die Regierung und löste Bundeskanzler Helmut Schmidt ab. Die geistig- moralische Wende wurde ausgerufen, ein Jive wurde intoniert: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt“. Heraus kamen die „Flick- Affäre“, der zahlreiche andere „Schmuddelgeschichten“ folgten, die sich bis in das Jahr 2005 hingezogen haben und einen faden juristischen Bei- und Nachgeschmack hinterlassen.

Helmut Kohl hat einen Teil der Akten, die vom Staatssicherheit der DDR über ihn angelegt worden waren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Tausend Seiten von siebentausend Seiten und davon auch wieder einiges geschwärzt, Warum? Helmut Kohl braucht sicher gegenüber dem ehemaligen MfS der DDR, kein schlechtes Gewissen zu haben. Also auf wen nimmt er hier Rücksicht?

Es soll hier nicht Anklage erhoben oder ein Schuldspruch gefällt werden, aber die Einsicht in die Notwendigkeit eines Umdenkens und einer damit verbundenen Umkehr.

Die wirtschaftlichen Erfolge in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland, die sich ohne Staatsverschuldung vollzogen hatten, waren maßgeblich von der Konzeption Ludwig Erhards bestimmt worden. In der gegenwärtigen Debatte über die wirtschaftliche Notlage, in der die Staatsverschuldung im Mittelpunkt steht oder stehen sollte, wird zum Zeitraum der Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards und später Karl Schillers vielfach geäußert, es habe in diesem Zeitraum die Möglichkeit bestanden, eine national orientierte Wirtschaftspolitik zu gestalten.

Dafür, so wird im Jahre 2005 gefolgert, gebe es im Zuge der Globalisierung und weltwirtschaftlichen Verflechtung keine Möglichkeit mehr. Das ist eine einfache Erklärung. Zu einfach! Deutschland war auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine funktionierende Weltwirtschaft angewiesen und auf  offene Märkte. Die ersten Anfänge zum europäischen Zusammenschluss fallen in diese Zeit: 1951 Montan- Union und im März 1957 die Römischen Verträge mit der Gründung der EWG( Europäische Wirtschaftsgemeinschaft).

Es ist unzulässig, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Wiedervereinigung Deutschlands in den Gegensatz von national und international zu stellen, was mit dem Begriff „Globalisierung“ suggeriert wird.

Was hier international  klingen soll ist täuschend und enttäuschend. In Wahrheit erinnert die internationale wirtschaftliche Entwicklung an einen Wirtschaftskrieg, den Großkonzerne, verflochten mit Großbanken, die einen Staat im Staate bilden, und einzelne Volkswirtschaften gegeneinander führen, mit steigender sozialer Not im Gefolge. Genau wie er zwischen den beiden Weltkriegen im vorigen Jahrhundert als Mittel der Politik zum Einsatz kam.

Neben Kapitalanhäufung, in der Renditen zwischen 20 % und 30 % angestrebt werden, haben Währungsparitäten, eine entscheidende Funktion. Mit dem Währungsgefälle einzelner Währungen zueinander ist ein gigantischer Ausbeutungsprozess verbunden, der einer gesonderten und ausführlicheren Betrachtung bedarf.

China und seine Menschen werden oft als fleißig und genügsam gelobt, was sicher zutrifft. In China betragen die Löhne ein Zwanzigstel eines Lohnes, der vergleichbar in Deutschland gezahlt wird, ist dazu angemerkt worden. Das bedeutet: Bei einem Nettolohn in Deutschland von 1500 € im Monat, verdient sein vergleichbarer chinesischer Kollege 75 €. im Umrechnungskurs Für 75 € reicht es in Deutschland noch nicht einmal zu einem Leben unter der Brücke.

Über allem aber thront die Börsen- und Währungsspekulation, hier werden die Kapitalströme dirigiert und wirken bestimmend auf politische Strömungen.

Ludwig Erhard, Dirigent eines weltweit bestaunten Wirtschaftswunders, wurde mit einer wahrhaft kapitalistischen Geldpolitik hinweggespült. 1967 wurde die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in Deutschland je gebremst. Die deutsche Bundesbank, unter der Leitung des Bundesbankpräsidenten Karl Blessing, hatte zu einer restriktiven Geldpolitik gegriffen. Im Volksmund hieß es: „Sie haben den Geldhahn zugedreht“. Die amerikanische Wirtschaft war froh darüber. Frohlockend tönte es aus Amerika über den Atlantik herüber: „What a blessing that there is a Blessing.“ Ein englischsprachiges Wortspiel. Das Wort “blessing” bedeutet ins Deutsche übersetzt. „Segen“, also lautet der Satz in seiner wörtlichen Übersetzung: „Was für ein Segen, dass da ein Segen ist.“ In Amerika wurde die wachsende deutsche Wirtschaftskraft und damit auch der wachsende politische Einfluss als ein Ärgernis empfunden.

Ludwig Erhards kindlich naiv anmutende Anhänglichkeit an Amerika hatte wenig gefruchtet. Die Arbeitslosigkeit war auf über 500 000 gestiegen, ein Alarmzeichen für damalige Verhältnisse. Ludwig Erhard wurde gestürzt, und es kam die „Große Koalition“.

Karl Schiller (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU) brachten das deutsche Wirtschaftsschwungrad noch einmal in Schwung. 1969 endete die Große Koalition und mit ihr auch das letzte Jahr mit einem Haushaltsüberschuss. Mit den sozialdemokratischen Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt begann die Politik der Staatsverschuldung, Karl Schiller stemmte sich gegen diese Politik, vergeblich, er trat zurück.

In einer Fernsehgesprächsrunde 1976 ließ Otto Graf Lambsdorff, Wirtschaftsminister unter Helmut Schmidt, durchblicken, Deutschland sei zu dieser Verschuldenspolitik gezwungen worden und einem unwiderstehlichen Druck ausgesetzt gewesen. Genauere Angaben machte er nicht.

Die Staatsverschuldung wurde fortgesetzt bis in das Jahr 2005. Sie steigt im Sekundentakt, alles in allem 2500 € pro Sekunde. 1923 und 1948 wurde eine solche Verschuldung durch einen Währungsschnitt beseitigt. Das bedeutet auch eine Gefahr für den Euro. Allen Greenspan, dem Chef des Federal Reserve Board, muss eine Vorahnung beschlichen haben, als er vor Einführung des Euro äußerte. „Der Euro wird kommen, aber keinen Bestand haben.“

Wirtschafts- und Außenpolitik lassen sich nicht voneinander trennen.

Wirtschaft, die sich ausschließlich materielle Errungenschaften zum Ziel setzt, ohne ethische Maßstäbe zusetzen und so auf geistige Grundlagen verzichtet, wird scheitern.

Der „Real existierende Sozialismus“ hat ein Ende gefunden, der „Share- Holder- Value- Kapitalismus“ wird auch nicht überdauern. Das innere Wesen beider ist auf Zerstörung und Unterdrückung angelegt.

Die der wirtschaftliche Aufstieg, der sich in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland in einer steil nach oben zeigenden Leistungskurve vollzogen hat., war auf außenpolitische Voraussetzungen gegründet. Konrad Adenauers Politik der konsequenten Westbindung ist zu seiner Zeit und auch später mancher kritischen Betrachtung unterzogen worden. Deutschland brauchte den Westen, und der Westen brauchte Deutschland. Auf diese Grundvoraussetzung war die Politik Konrad Adenauers gegründet. Weil der Westen auf Deutschland angewiesen war, konnte sich die deutsche Wirtschaft frei entfalten. Der „Rheinische Kapitalismus“ trat in Erscheinung, an den niemand jetzt mehr erinnert werden will. Er brachte allerdings den Börsianern keine Rekordgewinne mit Renditen, die für den unternehmerisch Tätigen unerreichbar sind. Er brachte aber sozialen Aufstieg, wie es das in Deutschland zuvor noch nicht gegeben hatte.

Ein außenpolitisches Ereignis erschütterte die Herrschaft Konrad Adenauers und brachte für seine Führung und die Partei der CDU eine Zerreißprobe. Es war der Freundschaftsvertrag, den Charles de Gaulle und Konrad Adenauer im Januar 1963 zum Abschluss brachten. Er brachte Konrad Adenauer und Ludwig Erhard in einen Gegensatz und spaltete die CDU in „Atlantiker“ und „Gaullisten“. Der Vertrag wurde mit einer Präambel versehen  und verwässert, was in Frankreich Enttäuschung auslöste. Aber auch außerhalb Deutschlands stellten sich große Teile der westlichen Welt gegen diesen Vertrag. Presseorgane und Publizisten gingen soweit, De Gaulle mit Hitler auf eine Stufe zu stellen, obwohl De Gaulle die Seele des französischen Widerstandes gegen Hitler gewesen war.

Die Entscheidung fiel als Helmut Schmidt Kanzler wurde. Er setzte auf ein engeres Verhältnis zu Frankreich. In dieser Partnerschaft bekam Frankreich das stärkere politische und diplomatische Gewicht. Europa gelangte zu mehr Eigenständigkeit. Airbus und Weltraumforschung sind ein Zeugnis dafür.

Noch ein anderer sozialdemokratischer Kanzler, nämlich Gerhard Schröder, wagte etwas, was vor ihm noch nie so richtig ein deutscher Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik gewagt hatte: Erstellte sich dem amerikanischem Machtanspruch entgegen, wenn auch noch einwenig zaghaft. Die Tat löste Entsetzen aus innerhalb und außerhalb Deutschlands. Am meisten in Deutschland selbst.

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber glaubte sogar, in seiner Rede zum politischen Aschermittwoch am 5. März 2003 Analogien zu Hitler und Kaiser Wilhelm II.  entdecken zu müssen und sprach von einem „Deutschen Sonderweg“.                                              

 In nicht weniger als fünf Ausgaben betrieb der „Spiegel“ einen Schröder- Verriss..

Außenminister Fischer schwenkte auf eine nationale Linie ein und forderte für Deutschland einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Ihm wurde es ebenso wenig gegönnt. Eine „Visa- Affäre“ wurde inszeniert, um seinen Sturz herbeizuführen. Was Außenminister Fischer angelastet wurde, hatte zur Regierungszeit Helmut Kohls viel umfassendere Ausmaße angenommen, ohne dass sich jemand daran gestört hätte.

„Bundeskanzler der Alliierten“ hatte der SPD Vorsitzende und Oppositionsführer, Kurt Schumacher, in einer Sitzung des 1: Deutschen Bundestages 1949 dem Bundeskanzler Adenauer entgegengeschleudert. Die Reaktion verlief tumultartig, und sie war unangemessen. Kurt Schumacher wurde für 20 Sitzungen vom Deutschen Bundestag ausgeschlossen. Nationales Empfinden hatte zu der Zeit einen anderen Stellenwert.

Identitätsfindung  und Stiftung war in der Deutschen Geschichte oft ein schwieriger Prozess. Die geographische Lage Deutschlands in einem Mittelpunkt des Geschehens, immer „eingebettet“ , und entweder von Freunden oder von Feinden umgeben, hat wesentlichen Einfluss auf die historische Entwicklung ausgeübt.

Mit einer spezifisch germanisch- deutschen Mentalität begann es schon vor zweitausend Jahren. Im Jahre 9 n. Chr. besiegte Arminius- später Hermann der Cherusker- die Römer im Teutoburger Wald. Es war eines jener Ereignisse in der Menschheitsgeschichte, die einen Wendepunkt markieren. Die Frage, was gewesen wäre, wenn Germanien römisch geworden wäre, ändert nichts am Lauf der Geschichte. Arminius hatte unter den Germanen einen einflussreichen Gegner, Segestes, sein späterer Schwiegervater. Auch eine Frau tritt am Beginn germanischer Geschichte wirksam und prägend in Erscheinung.. Segestes und Arminius waren beide römische Staatsbürger und bekleideten als solche Führungspositionen. Segestes hatte den römischen Feldherrn Varus vor Arminius gewarnt, und ihm angeraten, ihn in Ketten zu legen. Varus, der frech geworden und nach Deutschlands Norden gezogen war,. schenkte Segestes keinen Glauben, er vertraute dem Arminius, der zeitweise sein Tischgenosse gewesen war. Nach der Schlacht im Teutoburger Wald nahm sich Arminius die Tochter des Segestes, Thusnelda, zur Frau gegen den Willen des Vaters. Segestes holte sie sich zurück mit militärischer Unterstützung der Römer, und übergab sie mit dem noch ungeborenen Sohn den Römern. In Rom sah Segestes seine Tochter noch einmal, gemeinsam mit anderen Größen der römischen Gesellschaft, wie sie im Triumphzug durch  Rom geführt wurde, den dreijährigen Sohn des Arminius an der Hand.

Segestes war ein „Realpolitiker“ reinsten Wassers. Er hatte für das Streben seines Schwiegersohnes für ein freies von Rom unabhängiges Germanien kein Verständnis. Er hielt solche Pläne für „unrealistisch“ und sah Germaniens Zukunft am besten unter römischer Obhut gewährleistet. Er war beeindruckt von römischer Zivilisation und Organisation.

Arminius selbst nahm ein unrühmliches Ende. Er fiel einem Giftanschlag zum Opfer. Nicht römische Agenten oder sonstige geheimnisvolle germanenfeindliche Mächte, sondern ein rein germanischer Giftmischer vollbrachte die Tat.

Die Märtyrerin Thusnelda verliert sich im Dunkel der Geschichte. Lange glänzte sie als Heldin im deutsch- germanischem Gedenken, bis auch dieser Stern erlosch.

Die älteste überlieferte Quelle über die Germanen verdanken wir dem römischen Historiker
Tacitus (55- 120). Er lobt ihre Tugenden, vor allem ihre Treue in der Ehe.

Kaiser Tiberius (14- 37) gab alle Pläne auf, Germanien für Rom zu unterwerfen und das Reich durch eine weitere Provinz zu arrondieren. Er setzte seine Hoffnung auf einen Streit der Germanen untereinander. Eine Hoffnung, die nicht ganz unberechtigt war, sich aber später dennoch nicht erfüllte.( Alles nachzulesen in S. Fischer-Fabian: „Die ersten Deutschen“ Bergisch- Gladbach 2003)

Zurück in die neuere Geschichte.

Rolf Hochhuth, ein Schriftsteller der Gegenwart mit nationalem und internatonalem Bekanntheitsgrad, hat die Forderung erhoben, auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude ein Bismarckdenkmal zu errichten. Begründet hat Rolf Hochhuth seinen Vorschlag mit der Sozialpolitik Otto von Bismarcks, er habe, so Hochhuth, die Grundlagen für den modernen Sozialstaat gelegt.

In jüngster Zeit ist gegen Bismarck der Vorwurf erhoben worden, er habe mit seinen Sozialmaßnahmen die Arbeit teurer gemacht. Das trifft nur sehr bedingt zu. Bismarcks ursprünglicher Plan war, die Kosten zu dritteln. Ein Drittel Arbeitnehmer, ein Drittel Arbeitgeber und ein Drittel aus Steuermitteln. Diese Absicht ist an der Liberalen Mehrheit(!) im Reichstag gescheitert. Für das verbliebene Konzept musste Bismarck hart ringen, so schickte er den alten Kaiser Wilhelm I. ins Gefecht, der an die Abgeordneten des Reichstages den dringenden Appell richtete, den geplanten Gesetzen zur Sozialversicherung ihre Zustimmung nicht zu versagen.

Bismarck wollte noch mehr, er wollte das Recht auf Arbeit gesetzlich festschreiben. Ein Gesetz, das es bisher in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat.

Bismarck hat 1895 in einem Pressebeitrag die Befürchtung geäußert, er sehe den Tag kommen, an dem das Sozialversicherungswerk einem schrankenlosen Anspruchsdenken zum Opfer fallen werde. Es hat hundert Jahre gedauert, bis diese prophetische Ahnung  in Erfüllung ging. Zwei Kriege uns zwei Inflationen hatte es zuvor überdauert.

Ludwig Erhard hat am Ende seiner Amtszeit 1966 eindringlich gemahnt und gewarnt, das Erreichte nicht durch Maßlosigkeit zu gefährden. Er wurde ausgelacht, Schilder wurden ihm in der Öffentlichkeit entgegengehalten mit spöttischen Aufschriften. „Der Dicke spinnt“, hieß es dazu. Ludwig Erhard hatte sicher nicht das Charisma, um eine überzeugende Durchschlagskraft zu bewirken. Aber selten in der Geschichte sind sich Charisma und Vernunft auf einer Ebene begegnet. Deutschland musste also durch Erfahrung zur nötigen Erkenntnis gelangen, und die wiegt schwer im Jahre 2005, und sie wird in naher Zukunft noch viel schwerer wiegen.

Jeder stößt den Nächsten Beiseite und denkt zuerst an sich, denkt, mich wird es schon nicht treffen. Das große Geld geht ohnehin ins Ausland und liegt auf der Lauer und wartet auf die großen Spekulationsgewinne.

Als den Großbanken durch ein Gesetz des Bundesfinanzministers Eichel die Möglichkeit eröffnet wurde, Unternehmensbeteiligungen  steuerfrei zu veräußern, geschah das in der naiven Hoffnung, die freiwerdenden Milliarden könnten zu mehr Investitionen führen. Eine Fehleinschätzung.

Es gibt nur einen alles entscheidenden Grund, warum Deutschland im Jahre 2005 an einem Abgrund angekommen ist. Ein Sturz in die Tiefe ist nicht ausgeschlossen. Den Menschen in Deutschland bedeutet die Nation nichts. Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten in einen geschichtslosen Zustand versetzt worden. Diese Grundhaltung hat alle gesellschaftlichen Schichten der Bevölkerung ergriffen.

Der antike Historiker Polybios( um 200 v. Chr.) hat hierzu eine Aussage gemacht, die den Zustand, in dem sich Deutschland befindet, treffend beleuchtet:

Ein Mensch ohne Geschichte, ist wie ein Gesicht ohne Augen. Was für ein Individuum gilt, gilt auch für die Nation, die als ein Individuum als Kollektiv angesehen werden kann. Deutschland ist orientierungslos.

Es ist in Deutschland unerwünscht, in historischen Zusammenhängen zu denken. Orientierung an deutscher Geschichte wird verleidet, wenn jemand danach trachtet. Der Nationalsozialismus hat die Deutsche Geschichte im Sinne seiner Ideologie interpretiert und sie sich so dienstbar gemacht. Diese Methode ist in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt worden, wenn auch aus anderen Beweggründen. Die Geschichte wird im Sinne machtpolitischer Interessen entsprechend zugeschnitten.

Eine Debatte am 15. November 1949 in der 17. Sitzung des ersten Deutschen Bundestages gibt das zu erkennen. Erste Ansätze einer zukünftigen europäischen Integration findet sich in den vorgetragenen Argumenten wieder. Es ging um das Ruhrstatut, Demontage deutscher Industriebetriebe oder die Kontrolle über das Zentrum deutscher Wirtschaftskraft, was das Ruhrgebiet zu dem Zeitpunkt immer noch war. Misstrauen und Befürchtungen bei Deutschlands unmittelbaren Nachabern waren politisch gegenwärtig.

Neben dem Ruhrstatut war das Petersberger  Abkommen ein erster Schritt, Deutschland in das politische Spiel der Kräfte einzubinden.

In dieser Bundestagssitzung gerieten Bundeskanzler Adenauer und Kurt Schuhmacher als Oppositionsführer und SPD- Vorsitzender hart aneinander. Der in dieser Auseinandersetzung gepflegte politische Stil hat sich in der Geschichte der Bundesrepublik fortgesetzt.. Ein Stil, der Deutschland in einen geistig- politischen Abgrund gezogen hat.

Beide Politiker bemühten sich in einem politischen Schlagabtausch sich gegenseitig mit Ereignissen der Deutschen Geschichte zu identifizieren, an denen beide gerade keinen Anteil gehabt hatten.

Adenauer war zur Zeit der NS- Herrschaft harten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt und Kurt Schuhmacher hat zehn Jahre in Konzentrationslagern der NS- Machthaber zugebracht. Beide hatten also nicht die geringste Veranlassung sich gegenseitig zu verdächtigen.

Kurt Schuhmacher nahm in seiner Antwort auf die Rede Bundeskanzler Adenauers Bezug auf deutsche Expansionspolitik während des Kaiserreiches schlug einen Bogen über die NS- Herrschaft und sah die Gefahr neuer Ansätze und Ambitionen einer Anknüpfung an vergangene Zeiten.

Ein Zitat: „ Meine Damen und Herren, die Kreise, die heute die Träger der neoeuropäischen Agitation sind, sind doch dieselben Kreise, die schon im Kaiserreich und in der Republik Gelegenheit zum Abschluß von großen Wirtschaftsabkommen speziell zwischen den Kräften der Schwerindustrie, in den Ländern Frankreichs und Deutschlands gehabt haben. Diese Wirtschaftsabkommen haben diese Herrschaften noch nie daran gehindert, auch ganz solide und verdienstreiche Kriege gegeneinander zu führen.“

Und weiter: „Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist in ihrer inneren Tiefe und äußeren Weite eine Idee von großer Tradition. Aber es ist die Tradition der Freiheit und der Völkerversöhnung und nicht die Tradition der europäischen Schwerindustrie.“

Schuhmacher sah hier eine Gefahr heraufdämmern, aber er sah sie nicht nur bei den Deutschen.

Konrad Adenauers Antwort ließ nicht auf sich warten. Er zitiert aus einer Presseveröffentlichung Kurt Schuhmachers: „Angebote des Bundeskanzlers Adenauer, deutsche Interessen an der Saar und an der Ruhr zu opfern und ausländisches Kapital zu einem Machtfaktor der deutschen Schwerindustrie zu machen, um sie schließlich vor der Änderung der Besitzverhältnisse und vor der Sozialisierung zu schützen.“

Nach diesem Schuhmacherzitat leitet Adenauer über zu einem Zitat des nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Gregor Strasser, der in einer Rede dem sozialdemokratischen Reichskanzler Müller mit dem Vorwurf begegnete: „Sie haben gesprochen für die internationalen Weltbankiers, die allein an dieser letzten Versklavung des deutschen Volkes ein Interesse
 haben.“ Mit diesem Zitat wollte Adenauer eine Analogie zwischen Schuhmacher und Strasser herstellen.

Welch ein Verwirrspiel gegenseitiger Bezichtigungen, und alles nur, weil die wirkliche historische Entwicklung in ihrem Kern unberücksichtigt bleiben musste, genau wie nach dem Ersten Weltkrieg, wo Völker Europas in schuldig und unschuldig unterteilt wurden, was dann zur größten Katastrophe in der europäischen Geschichte führte.

Konrad Adenauer und Kurt Schuhmacher stehen am Beginn der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und gaben den Anstoß zu einer außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte, aber ihr Verhalten in besagter Bundestagssitzung ist tadelnswert.

Seiten Anfang45

Verantwortlich für den Inhalt der Seiten,Copyright © 2003-2005: Heinz Drews

weiter